Gig-Economy

Die neue Wirtschaftsform verbreitet sich global und unterläuft arbeitsrechtliche Standards.
Welche Bedeutung hat sie in der Schweiz?

Illustrationen: Claudine Etter

Moneta #3-2021
Editorial

Uber & Co. in die Pflicht nehmen

Gig-Economy, die Vermittlung von Dienstleistungen über digitale Plattformen, auch Plattformökonomie genannt, hat sich im letzten Jahrzehnt vom Silicon Valley aus über den Globus ausgebreitet. Befeuert wurde ihr Siegeszug von der fortschreitenden Digitalisierung des Alltags und der Arbeitslosigkeit nach der Finanzkrise von 2008/2009. Einige der prominentesten Plattformunternehmen wie Airbnb und Uber wurden während der Krise gegründet und erlebten im darauffolgenden Jahrzehnt ein enormes Wachstum. Inzwischen werden in zahlreichen Branchen Leistungen via Online-Plattformen angeboten, neben den in der Pandemie boomenden Lieferdiensten auch Bürotätigkeiten wie Textarbeiten oder Programmierung, aber auch technische Supportleistungen, Reinigung oder Zügeln.

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Wie viele Erwerbstätige heute als sogenannte Gig-Worker gelten, ist unklar – für die USA gehen Schätzungen inzwischen von über 30 Prozent aus –, aber es fehlen verlässliche Zahlen dazu, auch in der Schweiz. Dies liegt unter anderem daran, dass der Begriff «Gig-Economy» nicht klar definiert ist. Im engeren Sinn bedeutet er, dass diese Plattformen keine langfristigen Jobs, sondern nur kurzfristige Aufträge vermitteln (deshalb «Gig», in Anlehnung an den Auftritt von Musikschaffenden). Die Bezahlung erfolgt nicht pro Stunde, sondern pro Auftrag. Wem die Plattform keinen «Gig» zuweist, der verdient nichts. Auch fehlen Sozialleistungen wie bezahlte Ferien, Arbeitslosenversicherung oder Beiträge an die Altersvorsorge. Zudem müssen die Arbeitnehmenden für ihre Ausrüstung (etwa ein Auto, E-Bike oder Laptop) selbst aufkommen.
Diese Aushöhlung von arbeitsrechtlichen Standards ist möglich, weil Plattformbetreiber wie Uber und Co. sich nicht als Arbeitgeber, ­sondern als Arbeitsvermittler definieren. Die Arbeitnehmenden betrachten sie entsprechend nicht als Angestellte, sondern als selbständige Erwerbstätige, die das unternehmerische Risiko selbst tragen müssen.

Gegen diese Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen regt sich in vielen Ländern Widerstand, in den USA, in Grossbritannien und auch in der Schweiz: Als erster Kanton hat Genf Uber dazu verpflichtet, seine Taxifahrerinnen und Essenskuriere als Angestellte anzuerkennen – wogegen das US-Unternehmen Widerstand leistet. Was diese Auseinandersetzung für die Schweiz bedeutet, ja, wie wichtig die Gig-Economy in der Schweiz überhaupt ist, welche Branchen betroffen sind und welche arbeitsrechtlichen Lösungsansätze jetzt diskutiert werden, lesen Sie in dieser moneta.

Katharina Wehrli,
Redaktionsleiterin
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