Ist Hoffnung angesichts der Klimakrise erlaubt? Auf der Suche nach Antworten unternahm der Journalist Florian Wüstholz zusammen mit dem Fotografen Martin Bichsel 2022 eine klimajournalistische Veloreise. Zwischen Bern und Teheran begegneten ihnen gravierende Folgen der Klimakrise und Ausbeutung der Natur – aber auch Zuversicht: Menschen, die Widerstand leisten, die sich engagieren und trotz allem an eine lebenswerte Zukunft glauben.
Eines der wichtigsten Bücher zur Hoffnung ist Ernst Blochs «Das Prinzip Hoffnung». Der jüdische Philosoph schrieb sein Hauptwerk während des Zweiten Weltkriegs im amerikanischen Exil. Das Buch erschien aber erst neun Jahre nach Kriegsende, 1954. Hanna Gekle war seine letzte Assistentin an der Universität Tübingen, wo Bloch im hohen Alter Gastprofessor war. Gekle befasst sich seit damals als Philosophin mit der zukunftsgerichteten Kraft der Hoffnung, als Psychoanalytikerin interessiert sie sich unter anderem für Traumata und wie diese über Generationen weitergegeben werden. Als sich das Ernst-Bloch-Zentrum dieses Jahr mit Zukunftsängsten und Hoffnung beschäftigte, führte Hanna Gekle ins Thema ein – sie erinnerte dabei daran, dass Bloch sein «Prinzip Hoffnung» in Zeiten grösster Hoffnungslosigkeit schrieb. Für unser Gespräch sitzt sie an ihrem Schreibtisch in Frankfurt am Main, vor ihr der Bildschirm, im Hintergrund Bücher.
moneta: Hanna Gekle, wir leben in einer Zeit der Krisen. Überrascht es Sie, dass die Hoffnung wieder in aller Munde ist?
Hanna Gekle Hoffnung ist eine grundlegende menschliche Eigenschaft und gesellschaftlich gesehen ein Krisenphänomen. In der Geschichte der Menschheit hat es zwar immer schon Untergangs- und Verzweiflungsfantasien gegeben, aber heute ist der Mensch in der paradoxen Lage, dass er die natürlichen Bedingungen seiner eigenen Existenz angreifen kann. Konsequenzen des von Mensch gemachten, fortschreitenden Klimawandels erleiden viele bereits. Hinzu kommen Kriege, die Millionen von Menschen heimatlos gemacht haben. Nein, es überrascht mich nicht, dass die Hoffnung vermehrt zum Thema wird.
Viele verstehen unter Hoffnung etwas Passives. Für Ernst Bloch hingegen war sie die treibende Kraft für Veränderung. Wie kam er darauf?
Bloch schrieb «Das Prinzip Hoffnung» gegen die Verzweiflung von Krieg und Holocaust. Das Buch erschien, als die Menschen nach dem Krieg mit dem Wiederaufbau beschäftigt waren; «das Prinzip Hoffnung» wurde zu einem geflügelten Wort. Einerseits konnte man tatsächlich wieder hoffen, die Nazis waren besiegt. Gleichzeitig fing man erst da an, das ganze Ausmass des Schreckens zu erkennen.
Hoffnung mutet manchmal ziemlich naiv an …
Erst mal ja – und sie kann auch schrecklich naiv bleiben. Aber wir haben die Möglichkeit zu einer begründeten Hoffnung. Indem wir das, was wir wünschen und hoffen, mit dem zusammenbringen, was möglich ist. Seit der Antike gilt die Hoffnung als positives Gut, wenn sie sich realistisch zähmt. Wenn sie nicht auf einer absoluten Wunscherfüllung besteht, sondern bereit ist, mit dem, was sie bekommen kann, zufrieden zu sein. Einer vernünftigen Hoffnung ist der Verzicht eingeschrieben.
Vernünftig ist Hoffnung also dann, wenn sie – aus der heutigen Zeit gesprochen – die Suffizienz beinhaltet?
Die Philosophie wurde immer schon mit der Dimension des Masshaltens in Verbindung gebracht. In der Fülle schwelgen zu können, heisst noch lange nicht, ein gutes Leben zu führen. Konsum ist kein Selbstzweck. Setzt er sich absolut, wird das moralische Prinzip von Mittel und Zweck verkehrt. Es ist im wörtlichen Sinn eine Perversion. Historisch gesehen ist es vor allem die westliche Welt, die die grossen Verschwendungen an Energieressourcen zu verantworten hat. Sie ist aber nicht die einzige denkbare Gesellschaftsform. Ich glaube, dass man sich einschränken und dadurch sogar etwas dazugewinnen kann.
Es gibt in der heutigen Konsumwelt aber wohl wenige Wörter, die für solche Aversionen sorgen wie «Verzicht».
Das stimmt wohl, ist aber seltsam. Denn Verzicht ist konstitutiv für die Menschen, er gehört dazu. Wenn Menschen nicht verzichten können, landen sie in der Sucht. Sucht ist der subjektive Ausdruck davon, dass jemand mit Grenzen nicht umgehen kann.
Die Menschheit droht an ihrer Sucht nach fossiler Energie zugrunde zu gehen – kann Hoffnung da überhaupt noch etwas ausrichten?
Man kann nicht heute in Saus und Braus die Grundlagen künftiger Generationen ruinieren und gleichzeitig sagen, man hoffe auf eine Begrenzung der Klimaerwärmung durch künftige Innovation. So geht es natürlich nicht. Und der Raubbau an der Natur ist kein Kavaliersdelikt. Bei der Verwendung der Möglichkeiten der Technik muss die moralische, die politische und die gesellschaftliche Verantwortung einsetzen. Die Hoffnung muss sich also auf konkrete Möglichkeiten beziehen und die Verantwortung enthalten.
Hoffnung ist grundsätzlich zukunftsgerichtet. Heute ist es aber gerade die Zukunft, die Angst macht, wie auch Sie eingangs andeuteten …
Für die westliche Jugend ist die Situation heute tatsächlich paradox: Sie hat weder Hunger noch Krieg erfahren, aber viele junge Menschen haben das starke Gefühl, keine Zukunft zu haben; es gibt ja Gruppierungen, die sich «last generation» nennen. Gleichzeitig gibt es auch die gegenteilige Sicht, wonach die Menschheit niemals zuvor über so grosse technische Fähigkeiten verfügen konnte.
Wie können auch jene Menschen, die der Technik gegenüber skeptisch sind, hoffnungsvoll bleiben?
Die Menschheit scheint getrieben von einem unbeugsamen Willen zum Leben. Das sieht man gerade auch bei Katastrophen und in Zeiten der Krise, in denen der Mensch die Hoffnung braucht und noch unter den widrigsten Bedingungen an sie glaubt. Man kann ohne Hoffnung schlicht nicht leben.
Was ist es denn genau, was wir aus der Hoffnung schöpfen?
Ich glaube: unsere Lebensfreude. Und Motivation. Wir Menschen sind Wesen, die Ziele und Zwecke brauchen. Wenn wir unsere Pläne umsetzen können, sind wir zufrieden. Hoffnung ist motivierend.
Wenn Hoffnung eine zielgerichtete Kraft ist, die Verantwortung beinhaltet: Dürfen die Ziele auch utopisch sein, vermeintlich unvereinbar mit der Wirklichkeit?
Man muss über das Ziel hinausschiessen, wenn man es treffen will, sagte Bloch. Was heute noch utopisch ist, kann morgen schon realistisch sein. Aber Hoffnung hat, philosophisch gesehen, nicht nur die vitale Kraft eines Affektes, sondern sie kann sich mit dem Denken verschwistern. Sie muss es nicht, aber sie kann. Schon für die Griechen war Hoffnung mehr als blosses Wünschen. Hoffnung sucht nach Verwirklichung ihrer Absicht und muss sich daher auf das, was ist, einlassen, wenn sie es verändern will. Die philosophische Hoffnung ist nach Bloch das Gegenteil vom blossen Wunschdenken, sie erforscht die realen Möglichkeiten und Tendenzen der Gegenwart im Interesse ihrer Utopie. Daher versteht sich eine Philosophie der Hoffnung als praktische Philosophie, die umsetzen will. Karl Marx spielte eine grosse Rolle in Ernst Blochs Philosophie.
Warum Marx?
Weil er ganz konkret über die Analyse der Ökonomie begründen wollte, dass für alle Menschen ein Leben ohne Hunger und Erniedrigung möglich sein könnte. Marx selbst spricht zwar nicht von Hoffnung, aber sein gesamtes Forschen war von der Frage geleitet, welche positiven Optionen die Menschheit hat.
Neben der philosophischen gibt es die religiöse Hoffnung. Wie unterscheiden sich die beiden?
Für das christliche Abendland sind Glaube, Liebe, Hoffnung die drei Kardinaltugenden. Da ist Hoffnung nochmals anders begründet, nämlich über Gott: Wenn wir hoffen können, wenn wir nicht verzweifeln – dann deshalb, weil wir Kinder Gottes sind und ihm diese lebenswichtige Fähigkeit verdanken. Streng genommen ist es am Ende Gott selbst, der in uns hofft. Daraus spricht die christliche Zuversicht, wonach wir aus Gottes Hand nicht fallen können. Die Erfahrung der Shoah hat diesem Glauben allerdings sehr zugesetzt.
Der südkoreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han sagt, Hoffnung beziehe andere stets mit ein und vergemeinschafte. Wie sehen Sie das?
Nicht so eindeutig. Hoffnung kann meines Erachtens auch rein egoistisch bleiben. Aber ja: Wir sind als Menschen von vornherein soziale Wesen. Und damit ist natürlich auch die Hoffnung von vornherein sozial eingebettet. Eltern sehen in ihren Kindern Hoffnungsträger – und das Kind wird aus der Hoffnung der Mutter selber Hoffnung schöpfen. Man weiss, dass schon Kinder oder Säuglinge, die schlecht versorgt sind, depressiv werden können. Soweit der Mensch ein soziales Wesen ist, soweit ist auch die Hoffnung etwas Soziales. Aber sie kann pervertiert werden, wie das Beispiel der Nazis zeigt, die ein Tausendjähriges Reich versprochen haben, das aber ein Reich der Hoffnung nur für Arier gewesen wäre. Daher kann die Hoffnung als blosser Wunsch noch keine moralische Geltung für sich beanspruchen, sondern muss von Verantwortung getragen sein.
Ich möchte kurz bei der Verantwortung bleiben. 25 Jahre nach Ernst Blochs «Das Prinzip Hoffnung» publizierte Hans Jonas, ebenfalls ein deutscher Philosoph, «Das Prinzip Verantwortung»*. Das Buch war auch eine Auseinandersetzung mit Blochs Philosophie. Warum?
Hans Jonas betonte gegenüber dem «Prinzip Hoffnung» das «Prinzip Verantwortung». Das meint zunächst nur, dass der Mensch nicht nur seine eigenen Interessen durchzusetzen versucht und die seiner Familie, sondern dass man sich als Mensch der Menschheit zugehörig fühlt und in Dimensionen der Allgemeinheit denkt, also: Verantwortung übernehme ich nicht nur für mich, sondern auch für die anderen. Diese ethische Dimension ist auch für Bloch selbstverständlich gewesen; Jonas kritisierte aber den grossen Wurf, den das «Prinzip Hoffnung» über die menschliche Welt hinaus auf die aussermenschliche Natur, ja den gesamten Kosmos wagt.
Das verstehe ich nicht.
Hoffnung, so Blochs These, steckt selbst noch in der Natur und ihren ungenutzten Möglichkeiten. Gegen diese Erweiterung der Hoffnung wendet sich das «Prinzip Verantwortung». Diese Kritik von Jonas scheint mir durchaus berechtigt; trotzdem hat seine Erweiterung der Hoffnung es Bloch erlaubt, schon sehr früh einen anderen Begriff von Natur zu fassen. Er fand die Vorstellung einer Beherrschung der Natur zu einseitig und zu feindselig und plädierte stattdessen für eine «Allianztechnik» mit der Natur: Sie soll die ungenutzten Möglichkeiten der Natur entfalten und ihren Eigensinn so weit wie möglich respektieren.
Zum Schluss möchte ich gerne noch wissen, worauf Sie persönlich hoffen.
Na ja, ich wurde Analytikerin, weil ich je länger desto grössere Zweifel an der Vernunft der Menschen bekommen habe. Als Philosophin wiederum setze ich ja gerade auf die menschliche Vernunft. Ich sehe aber, wie schwierig es für uns ist, verantwortungsvoll zu handeln und zu wirtschaften. Und das letzte Jahrhundert hat mit zwei Weltkriegen und dem Holocaust gezeigt, wozu der Mensch fähig ist. Vermutlich schöpfe ich meine Hoffnung aus dem Wissen, dass der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist. Und dass er – egal, welchen Unsinn er macht, und er macht nun wirklich grandiosen Unsinn – immer diese Option der Vernunft hat. Als Mensch bleibt mir nichts anderes übrig, als auf diese Vernunft zu setzen. Oder anders gesagt: Mit der Kraft der Hoffnung und ihrer Liebe zum Leben hoffe ich auf einen vernünftigen Umgang mit den Möglichkeiten und den Grenzen, die uns Menschen gesetzt sind.