Ein Akt der Selbstermächtigung
Vielleicht hilft eine weitere Episode aus Psaropouli beim Nachdenken über solche Fragen. Nach einer Nacht im Dorf voller Geschichten des Leids trafen wir am nächsten Tag zufällig Agisilaos Vulgaris. Der 65-Jährige hatte zwei junge Bäume auf seinem roten Pickup geladen und gehörte zu jenen auf der Insel, deren Häuser nicht gerettet werden konnten. Seine Idee: Die Bäume in seinem alten Zuhause anpflanzen – der Start des Wiederaufbaus.
Vulgaris nahm uns mit zu den Ruinen seines alten Lebens. Zwischen verkohlten Baumstämmen standen Mauern, am Boden lagen Glasscherben, überall zerstörte Erinnerungen. «Das hier war mein Vorratsraum», erklärte er und deutete auf ein paar Tassen und Teller, die zersplittert auf einem Metallgestell herumlagen. «Dort drüben stand mein Bücherregal. Und hier war unser Klavier.»
Wir sprachen lange über seine Träume – eine «Alternative zur leistungsorientierten Eigentumsgesellschaft» wollte er ursprünglich hier im Wald aufbauen. «Aber es ist schwierig, mitten im Kapitalismus Kommunist zu sein», sagte Vulgaris lachend. Wie schafft dieser sympathische Mann es, trotz der Zerstörung nicht zu verzweifeln? «Klar, ich habe alles verloren. Aber ich bin Optimist. Das ist das Einzige, worüber ich wirklich selbst entscheiden kann.» Dann nimmt er eine Hacke, gräbt zwei Löcher und pflanzt die jungen Bäume inmitten einer verwüsteten Landschaft.
Für Vulgaris ist Hoffnung ein Akt der Selbstermächtigung. Er kann nicht beeinflussen, wo die nächsten Waldbrände ausbrechen werden. Er kann auch nicht steuern, ob unsere Gesellschaft rechtzeitig die Transformation weg von den zerstörerischen Fossilen schafft. Aber er kann mit einer hoffnungsvollen Haltung durch die Welt gehen und nach vorne blicken. Er nimmt trotz Verzweiflung sein Leben in die Hand und handelt.
Diese Gedanken klingen in mir nach, als ich Monate später das Buch «Die Durchquerung des Unmöglichen» der Philosophin Corine Pelluchon lese. Es gebe keine Hoffnung «ohne die vorherige Erfahrung eines kompletten Horizontverlustes» schreibt sie. Die Hoffnung sei vor allem ein «Ja-trotz-alledem».
Die Strukturen durchbrechen
Aber woher nehme ich meine eigene Hoffnung? Woher die Rechtfertigung für unseren Buchtitel? Natürlich hat meine eigene Hoffnung viel mit Menschen wie Vulgaris zu tun. Mit Menschen, die alles verloren haben und doch nicht aufgeben. Auch mit Menschen, die trotz Widerständen und der vermeintlich aussichtslosen Situation einen schwierigen Pfad beschreiten: jenen des Handelns. Sie haben die Verzweiflung überwunden und schreiten «trotz allem» nach vorne. Sie sind die Vorbilder, zu denen wir emporblicken.
Während der dreimonatigen Recherche zwischen Bern und der Türkei haben wir mit etlichen Menschen gesprochen, die sich «trotz allem» engagieren: für naturbelassene Flüsse, für Solarstrom, gegen Luftverschmutzung, gegen Übertourismus, für Gerechtigkeit, gegen Plastik, für lebendige Wälder und Gletscher.
Ich denke an den Aktivisten Ulaş Baş, den wir in einem kleinen Dorf im Südwesten der Türkei trafen. Monatelang protestierte er mit anderen gegen eine geplante Goldmine – und gewann. Ich denke an die Familie Scaini im Friaul, die unermüdlich für den Schutz des Flusses Tagliamento kämpft – bis heute ist er wild. Ich denke an Vjeran Piršić auf der kroatischen Insel Krk, der eine autarke und nachhaltige Insel erschaffen möchte – mit Solarstrom und ohne fossile Energien.
Sie alle haben sich für das Handeln entschieden, obwohl sie wissen, dass sie alleine das System kaum verändern können. Aber sie haben sich entschieden, die Strukturen – äusserliche, wie innerliche – zu durchbrechen, indem sie sich selbst ermächtigen und einen selbstbestimmten Pfad hin zu einer lebenswerten Zukunft beschreiten.
Hoffnung verlangt ein radikales Umdenken
Das Motto unseres Buches stammt aus dem Lied «Lessons» von Kae Tempest: «How many times must we be shown the outcome of the pattern?» Wie oft müssen wir mit den Auswirkungen der Klimakrise konfrontiert werden, bevor wir unsere Lektionen lernen und ins Handeln kommen? Bevor wir aufhören, bloss optimistisch in die Zukunft zu blicken – und zum Beispiel auf die nächste technische oder politische Lösung zu «hoffen» – und stattdessen die Zukunft verändern? Corine Pelluchon schreibt dazu, dass die Hoffnung uns lehre, «in der Gegenwart zu leben und an die Zukunft zu glauben, jeglichen Groll aufzugeben und die Vergangenheit nicht immer wieder zu wiederholen».
Hoffnung ist keine Perspektive. Darin unterscheidet sie sich auch vom Optimismus und der Zuversicht. Sie sei «keine besänftigende Rede, kein Trostpflaster für den Schmerz oder eine Strategie, die darauf abzielt, den guten Willen nicht zu entmutigen». Hoffen ist kein gutes Gefühl. Für die Hoffnung genügt es nicht, sich von vorbildlichen Aktivistinnen und Aktivsten ein gutes Gefühl geben zu lassen – everything will not be alright. In Zeiten der Klimakrise zu hoffen, verlangt ein radikales Umdenken. Und mindestens so wichtig: Ein ebenso radikales «Umhandeln». Wieso sollten die bisherigen Werkzeuge uns nun plötzlich aus der Bredouille retten?
Sich angesichts der überwältigenden Lektionen – wie die Natur zurückschlägt, wenn wir sie missbrauchen – machtlos zu fühlen, ist dabei keine Schande. Vielleicht ist das die Gemeinheit des fragilen, hoffnungsvollen Blicks in die Zukunft: Dass Hoffnung ständig neu erkämpft werden muss, weil sie nicht von der Konfrontation mit Schmerz und Leid zu trennen ist.
Und so bleibt die etwas ernüchternde Analyse: Wir befinden uns in einer misslichen Lage – wie uns die Menschen in Psaropouli und Bozkurt und vielen anderen Orten der Welt erzählen können –, doch wir sind nun einmal hier. Es liegt nicht in unserer Macht, die Vergangenheit ungeschehen zu machen. Wir können nur das Jetzt gestalten – genau wie die vielen Menschen in unserem Buch. Wenn uns das gelingt, dann bleibt Hoffnung erlaubt.