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18.09.2019 von Stefan Boss

Klimastreik verleiht Divestment neuen Schub

Die Bewegung zum Rückzug von Investitionen aus fossilen Energieunternehmen hat in der Schweiz Fahrt aufgenommen. So zogen einige öffentlich-rechtliche Pensionskassen ihre Gelder zumindest aus der besonders klimaschädlichen Kohle zurück. Bei den Grossbanken tut sich hingegen nichts.

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Illustration: Claudine Etter
Ich treffe meinen Gesprächspartner in einem Strassencafé mitten in Bern. Gleich gegenüber lag früher ein renommiertes Briefmarkengeschäft, in dessen Schaufenster heute ein Reisebüro für Destinationen wirbt, die nur mit dem Flugzeug zu erreichen sind. Während die Welt vor 40 Jahren in Form von Briefmarken zu uns kam, reisen wir heute selbst um die Welt. Immerhin ist mittlerweile medial zum Thema geworden, dass Flugreisen das Treibhaus Erde aufheizen.

Der Mann mit weissem Rundumbart und gestreiftem Hemd, der mir gegenübersitzt, setzt sich dafür ein, dass auch die klimaschädlichen Auswirkungen der Finanzindustrie stärker in den Fokus kommen: Sandro Leuenberger ist bei der Klima-Allianz Schweiz verantwortlich für die Kampagne, die Pensionskassen und Banken zum Rückzug ihrer Gelder aus fossilen Energieunternehmen (Kohle, Erdöl und Erdgas) auffordert. «Einer der drei Pfeiler des Pariser Klimaabkommens von 2015 verlangt die Umlenkung der Finanzflüsse zu einer grünen Wirtschaft», begründet der 68-Jährige sein Engagement. Er ist überzeugt, dass die Schweiz mit ihrem gewichtigen Finanzplatz deutlich mehr machen müsste.

Finanzplatz als grösster Hebel fürs Klima
Auch der Bund hat erkannt, dass etwas geschehen muss. 2015 publizierte das Bundesamt für Umwelt die Studie «Kohlenstoffrisiken für den Finanzplatz Schweiz», die den Einfluss von Aktienfonds der Banken und Pensionskassen aufs Klima untersuchte. Fazit der Studie ist, dass allein die Investitionen der Schweizer Pensionskassen so viele Treibhausgasemissionen finanzieren, wie die Schweiz im Inland produziert (Haushalte, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft zusammen).
Auf dieser Basis rechnete die Klima-Allianz hoch, dass der gesamte Schweizer Finanzplatz Treibhausgasemissionen finanziert, die 22-mal höher sind als der jährliche Ausstoss im Inland. «Der Finanzplatz ist mit Abstand der grösste Hebel, den die Schweiz zur Bewältigung der globalen Klimakrise hat», sagt Leuenberger.

Wenn der Kampf gegen die Klimaerhitzung erfolgreich sein soll, muss ein Grossteil der fossilen Energievorräte im Boden bleiben, davon sind Leuenberger und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter überzeugt. «Wir wollen mit unserer Kampagne das Geschäftsmodell fossiler Energieunternehmen angreifen», erklärt er. Erdölunternehmen wie Exxon Mobil in den USA (mit dem Esso-Benzin) sollten sich entweder anders aufstellen und erneuerbare Energien fördern oder ihre Geschäftstätigkeit aufgeben, fordert er.
Auch Glencore mit Sitz in der Schweiz ist im Fokus, da die Firma einen Grossteil ihres Umsatzes mit Kohle erwirtschaftet. Wenn immer mehr Investoren aussteigen, sinken die Börsenkurse – und die Unternehmen kommen auch ökonomisch unter Druck, ihr Geschäftsmodell zu ändern, lautet das Argument. Von den grossen Erdölfirmen sei bisher nur die frühere Statoil in Norwegen (heute Equinor) ernsthaft daran, ihr Geschäftsmodell auf erneuerbare Energie auszurichten, sagt er.

Pensionskassen öffentlich bewertet
Ihren Anfang nahm die Bewegung zum Rückzug aus fossilen Investitionen (kurz Divestment) an US-amerikanischen Hochschulen. Nach dem Vorbild der Kampagne gegen das Apartheidregime in Südafrika in den Siebzigerjahren soll heute weltweit Druck auf fossile Energieunternehmen ausgeübt werden. Vor vier Jahren erfasste die Divestment-Bewegung auch die Schweiz: Die kleine NGO Fossil Free lancierte eine Petition, welche die grössten Pensionskassen zum Divestment aufforderte. Mit dabei war damals auch Sandro Leuenberger, der Aktivmitglied bei Fossil Free ist.
Inzwischen ist er bei der Klima-Allianz als Freiwilliger engagiert. Auf deren Website führt er eine etwas langfädige, aber sehr informative Liste, welche die Investitionen der Schweizer Pensionskassen auf ihre Klimaverträglichkeit hin beurteilt. Leuenberger verwendet ein Ampelsystem, bei dem Rot für «nicht klimaverträglich» steht, Orange für «erste Schritte wurden eingeleitet», und Grün bedeutet, dass die Investitionen mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar sind.

Die meisten Pensionskassen stehen zwar auf Rot, dennoch hat sich einiges bewegt, seit Publica, die Pensionskasse des Bundes, vor drei Jahren ihre Investitionen aus der Kohle zurückzog. Die kantonalen Pensionskassen in Zürich und Genf taten es ihr gleich. Die Pensionskasse der Stadt Zürich geht einen Schritt weiter, weil sie ihre Investitionen generell in Unternehmen verlagert, die weniger CO2 ausstossen oder verursachen. Die Pensionskasse des Kantons Luzern verfolgt gemäss Leuenberger einen noch klimafreundlicheren Ansatz, da sie auf ihrem Weg zur Dekarbonisierung auch Obligationen berücksichtigt. «Wir prüfen deshalb ihre Umstellung auf Grün», sagt er.

Angst vor der Kohlenstoffblase
Die Klima-Allianz gründete in der Deutschschweiz und in der Romandie 16 Kontaktgruppen, in denen die Versicherten mit ihrer Pensionskasse über eine klimaverträgliche Anlagestrategie reden können. Leuenberger wurde schon von einigen Pensionskassenverantwortlichen eingeladen, um sein Anliegen vorbringen zu können. «Die öffentlich-rechtlichen Kassen sind dabei eher zu Änderungen bereit als die privaten», zieht er Bilanz – für diese sei es besonders wichtig, möglichst gut dazustehen.
Noch mehr sticht aber bei den institutionellen Anlegern das ökonomische Argument: Wenn als Konsequenz des Pariser Abkommens die Staaten künftig verstärkt auf Klimaschutz setzen, könnten diese Investments, namentlich in Kohle, auf einmal deutlich an Wert verlieren. Es ist die Furcht vor dieser Kohlenstoffblase («carbon bubble»), welche die Publica zu einem Rückzug aus der Kohle veranlasste.

Bei den Banken bewegt sich dagegen praktisch nichts. Die Alternative Bank Schweiz, die seit jeher strenge Ausschlusskriterien anwendet und nicht in fossile Energie investiert, stellt eine grosse Ausnahme dar. Im Juli blockierten rund 50 Aktivistinnen und Aktivisten in Zürich und Basel die Hauptsitze von CS und UBS und schafften es damit in die Schlagzeilen einiger Deutschschweizer Medien.
Mitbeteiligt an der Aktion war Greenpeace. Gemäss einem ihrer Berichte gehören die beiden Schweizer Grossbanken europaweit zu den zehn grössten Geldgebern für besonders klimaschädliche Unternehmen. Der Umweltökonom Philippe Thalmann von der EPF Lausanne bezeichnete die UBS und die CS in der Gratiszeitung «20 Minuten» als «wichtige internationale Player, wenn es um die Finanzierung von klimaschädlichen Kohlebergwerken, Ölplattformen, Pipelines und Raffinerien geht».
Die Geldhäuser kommen auch von der Politik unter Druck. So reichte die grüne Nationalrätin Adèle Thorens (VD) eine parlamentarische Initiative ein, die von der Nationalbank eine klimafreundliche Investitionspolitik fordert. Generell stösst Divestment auch in der französischen Schweiz auf Resonanz. So gibt es im Kanton Waadt eine starke Bewegung (Divest Vaud), die von Jacques Dubochet unterstützt wird – er erhielt vor zwei Jahren den Nobelpreis für Chemie.

Support gibt es zudem von der katholischen Kirche: Das Bistum Lausanne, Genf und Freiburg überprüfte seine Investitionen und spricht sich in einer Mitteilung vom Juni 2019 ebenfalls für Divestment aus. Dies steht im Einklang mit der Umweltenzyklika «Laudato Si» von Papst Franziskus, in der er zu einem ökologischen Umdenken aufgerufen hat.
Welche Bedeutung haben die Klimastreiks der Schülerinnen und Schüler für die Divestment-Bewegung? Sie führten sicher zu einer Beschleunigung, ist Leuenberger überzeugt: Gewisse Pensionskassenverantwortliche hätten ihm mit Verweis auf die Klimajugend erklärt, dass man nun wohl handeln müsse. Zurzeit seien einige der Kassen daran, ihre Anlagestrategie zu ändern. Auch freut ihn, dass der Schweizer Pensionskassenverband in seinem Leitfaden neu Klimarisiken berücksichtigt. Leuenbergers Fazit lautet deshalb: «Der Klimastreik wirkt!»

Breite Allianz fürs Klima

Die Klima-Allianz ist ein Zusammenschluss von rund 80 NGOs für den Klimaschutz. Sie wurde 2004 gegründet und umfasst Gruppierungen aus den Bereichen Umwelt, Gewerkschaften, Entwicklung, Jugend und Kirche. Mit von der Partie sind auch grosse Umweltorganisationen wie Pro Natura, WWF und Greenpeace. Für den 28. September 2019 ruft die Klima-Allianz zu einer nationalen Klimademo in Bern auf.
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