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19.06.2020 von Pieter Poldervaart

Die Klimakrise kommt in der Finanzwelt an

Beitrag der ABS
Dank der Klimabewegung findet «netto null» auch in der konventionellen Finanzwelt Resonanz. Doch die Herausforderungen sind gross, wie Ende Februar in Bern eine Konferenz der ABS und des WWF Schweiz aufzeigte. Viele traditionelle Geldhäuser geben den Schwarzen Peter an die Kundschaft oder den Regulator weiter, statt selbst die Initiative zu ergreifen.

Artikel in Thema In eigener Sache
Alle Fotos: Jean-Christophe Dupasquier
Nicht die Rendite steht zuoberst, sondern eine positive Wirkung für Gesellschaft und Umwelt: Über sechzig Banken weltweit geschäften ähnlich wie die ABS. Ihr inter­nationaler Verband, die Global Alliance for Banking on Values (GABV), hielt Ende Februar im Hotel Bellevue Palace in Bern seine Jahrestagung ab. Im Rahmen dieser Tagung luden der WWF Schweiz und die ABS zu einer Konferenz, an der neben Vertreterinnen und Vertretern der GABV-Banken auch NGO, Politik, Bildungsinstitutionen, die Klimajugend und konventionelle Schweizer Finanzhäuser vertreten waren. Thema war, was die Finanzbranche zum Klimaschutz beitragen kann.
Dass selbst kleinste Differenzen bei der Erderwärmung grosse Unterschiede machen, unterstrich Margaret L. Kuhlow, Finance Practice Leader beim WWF International. So würde weltweit jeder vierte Mensch und nicht bloss jeder zehnte von Hitzewellen betroffen, wenn die Erwärmung auf 2 statt der angestrebten 1,5 Grad ­limitiert werde. Aber aktuell sei man selbst vom 2-Grad-Ziel weit entfernt: «Unsere heutigen Emissionen lassen eine Erderwärmung von 3 bis 4 Grad erwarten», rechnete Kuhlow vor – mit katastrophalen Folgen, auch für die Artenvielfalt. Doch sieht die Finanzexpertin auch hoffnungsvolle Zeichen. So nahmen an der Klimakonferenz von Madrid im vergangenen Herbst erstmals zahlreiche Finanzminister und -ministerinnen der Vertragsstaaten teil – für die WWF-Expertin ein Indiz, dass global erkannt wird, wie wichtig ein Umdenken der Finanzbranche für den Klimaschutz ist.
Zudem zitierte Kuhlow aus dem Bericht «Der grüne Schwan», den die Bank für Internationalen Zahlungs­ausgleich (BIZ) mit Sitz in Basel Anfang 2020 publiziert hatte. «Finanz- und Klimastabilität können als zwei mit­einander verbundene Güter betrachtet werden», so die Einsicht der Banker, die im selben Papier warnten: «Ohne eine effektive Politik gegen den Klimawandel werden die Notenbanken schlicht nicht mehr in der Lage sein, Preis- und Finanzstabilität zu sichern». Der Bericht fordert deshalb die nationalen Notenbanken zum Engagement auf. Das kommt bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) schlecht an, wie Vizepräsident Fritz Zurbrügg an der Tagung klarmachte: «Das ist ein delikates Thema. Die SNB arbeitet unabhängig von der Politik.» Als Zentralbank müsse man alle ­Risiken einbeziehen, so sein Votum – das offenliess, wie stark sein Institut den Klimawandel und seine Folgen ­gewichtet. Auch beim Abbau von Subventionen etwa für fossile Treibstoffe müsse man vorsichtig sein, warnte ­Zurbrügg: «Mit der abrupten Verteuerung von Brot oder Treibstoff wurden in der Vergangenheit schon Regierungen gestürzt …»

Kein Notfallplan für die Klimakrise

Ganz anders und ziemlich harsch tönte es von Sandrine Dixson-Declève, der Co-Präsidentin des Club of Rome. Die französisch-belgische Doppelbürgerin beurteilte die Diskussion an der Tagung als «viel zu flauschig» angesichts der Tatsache, dass es heute ums Ganze gehe. Die 20 Grad in der Antarktis, die eine Woche vor der Tagung zum ersten Mal überhaupt zu dieser Jahreszeit gemessen worden waren, hätten gezeigt, dass das Klima erste Priorität haben müsse. Es könne nicht um mehr oder weniger an CO2 gehen, die Menschheit müsse schlicht den fossilen Pfad verlassen – und das gehe nur, wenn man sich endlich vom Glauben an ein unbe­grenztes Wirtschaftswachstum verabschiede. Damit ­einhergehen müssten Strategien, Energie und Ressourcen statt Arbeit zu besteuern und Berufsleute aus fos­silen Branchen umzuschulen – der Klimawandel habe auch eine brennende soziale Komponente. Vielen konventionell operierenden Banken warf sie Unglaubwürdigkeit und ein «Sowohl-als-auch» vor: «Wer in Fabriken für effiziente Autobatterien investiert, aber nicht gleichzeitig aus der Petroindustrie aussteigt, hat das Problem nicht verstanden.» Und wer heute klage, es fehle eine grüne Taxo­nomie, also eine allgemein anerkannte Systematik zur Bewertung von Aktien bezüglich ihrer Klima­relevanz, sei heuchlerisch: Die EU sei längst an einem solchen Katalog dran, und die Europäische Zentralbank habe 2019 beschlossen, aus Kohle auszusteigen. Zu­warten gelte also nicht mehr.
Wie wichtig das Zugpferd EU in dieser Diskussion ist, machte Dixson-Declève mit ihrem Hinweis deutlich, dass der 2019 verabschiedete «European Green Deal» auch die hiesige Finanzwirtschaft tangieren werde. «Die Schweizer Finanzindustrie ist gut beraten, sich dem «Green Deal» anzuschliessen, sie ist dafür in einer optimalen Situation.» Doch statt sich mit Kleinigkeiten aufzu­halten und ein weiteres grünes Produkt zu lancieren, müsse sich ein Finanzinstitut umfassend neu positionieren und dies mit einer Vision auch öffentlich deklarieren. Mit Blick auf das Ende Februar gerade aufkommende Coronavirus schloss die Co-Präsidentin des Club of ­Rome, jede Firma und jeder Staat habe Notfallpläne für unzählige Situationen – nur für die grösste Bedrohung, den Klimawandel, gelte das offenbar nicht.

Die Zahlen liegen auf dem Tisch

Jede Schweizer Bank bietet heute grüne Anlageprodukte an. Doch wie realistisch ist es, dass die hiesige ­Branche bis 2030 komplett klimaneutral geschäftet, wie dies im Zukunftsbild steht, das die ABS mit dem WWF Schweiz und Menschen des Klimastreiks für die Kon­ferenz erarbeitet hat?
Simon Rindlisbacher von der ABS präsentiert gemeinsam mit Stephanie Wyss vom Klimastreik und Marco Tormen vom WWF Schweiz das gemeinsam erarbeitete Zukunftsbild 2030 für einen klimaneutralen Finanzplatz Schweiz.
In einer der vier Gruppendiskus­sionen wurde klar, dass hier dieselben Hemmnisse ­gelten, wie sie einzelne Unternehmen oder auch Privatpersonen kennen: Ein konsequenter Ausschluss klimaschädlicher Aktivitäten erfordert Mut und zwingt zu Verhaltensänderungen. Ausreden, warum der Zeitpunkt für einen radikalen Wechsel noch nicht da sei, gibt es zuhauf. Vor diesem einschneidenden Schnitt solle man es mit gutem Zureden probieren; in der Finanzwelt nennt man diese direkte Einflussnahme «Engagement». Weiter wurde an der Diskussion der Mangel an robustem Zahlenmaterial zur Klimaverantwortung einzelner Unternehmen angeführt. Dieser Behauptung widersprach Martin Rohner, Vorsitzender der ABS-Geschäftsleitung: «Bei der ABS überprüfen wir seit vier Jahren ­unser gesamtes Anlageportfolio auf seine Klimaverträglichkeit, und das geht. Wir haben heute schon 200 Titel in unserem Anlageuniversum, die unseren Kriterien entsprechen.»

«Halbwahrheiten und Greenwashing»

Um besonders klimaschädliche Industrien wie Kohle oder Erdöl aus dem eigenen Portfolio zu entfernen und geordnet abzuwickeln, wurde die Möglichkeit einer «Brown Bad Bank» angeführt (vgl. Infobox unten). Denn während einige dieser Firmen ihr Geschäftsmodell neu orientieren könnten, stünden andere schlicht am ­Ende ihres Lebenszyklus, meinte etwa Stephanie Wyss vom Klimastreik Schweiz: «Gewissen Firmen muss man klar zu verstehen geben, dass sie keine Zukunft haben.» An die Vertreterin der Credit Suisse richtete die Aktivistin den Vorwurf, man könne nicht Fracking unterstützen und gleichzeitig behaupten, man engagiere sich für Klimaschutz, das seien Halbwahrheiten und Greenwashing. Die so angegriffene Laura Canas da Costa, zuständig für Sustainable Finance Policy bei der Credit Suisse, meinte, es gebe durchaus Vertreter von «braunen Branchen» wie etwa Stahlfabrikanten, die das Klima deutlich ­weniger belasteten als ihre Mitbe­werber. Im Übrigen wünsche man sich klarere Signale der Politik. Dazu gehöre eine langfristig verbindliche CO2-Steuer, aber auch der Stopp von Subventionen für klimaschädliche Wirtschaftsformen. «Dass den Unter­nehmen die von ihnen verursachten gemeinwirtschaftlichen Kosten ­auferlegt werden, damit können wir gut leben», so Canas da Costa.

Wer macht den ersten Schritt?

Einig war sich die Runde, dass es vor allem in der jungen und weiblichen Generation eine steigende Nachfrage nach klimabewusstem Anlegen gibt. Doch Geld­geschäfte sind für viele Menschen ein Buch mit sieben Siegeln, ein Wechsel der Hausbank wird selten in Er­wägung gezogen. Wie bringt man die Branche also auf einen klimaneutralen Kurs? Immer wieder wurde der Ruf nach klaren regulatorischen Signalen laut. Doch als Martin Rohner dazu aufrief, gemeinsam beim Bundesrat für schärfere Vorschriften zu lobbyieren, war die Resonanz klein. Die Vertreterin der CS etwa plädierte dafür, man wolle lieber zusammen mit der Kundschaft und Partnern daran arbeiten. Zudem solle man nicht einfach «top-down» agieren, sondern «es kommt darauf an, wie die Kundschaft auf solche Ideen reagiert».
In vier Diskussionsrunden vertieften die Teilnehmenden den Austausch. Links im Bild: Laura Canas da Costa von der Credit Suisse.
Immerhin war an der Veranstaltung allgemein akzeptiert, dass ein Grossteil der Realwirtschaft an der Klima­krise mit schuld ist. Ermutigend sei auch, dass sich ­immer mehr Institute der Partnership for Carbon Accounting Financials (PCAF) anschlössen, sagte Rohner. Der Plattform sind bereits über sechzig Finanzinstitute weltweit beigetreten. Sie bekennen sich zur einheitlichen Berechnung der klimarelevanten Emissionen und zur Senkung der CO2-Emissionen. «Statt weiterhin den Schwarzen ­Peter dem Regulator oder der Kundschaft zuzuschieben, sollten die Banken in Sachen Klimaschutz aktiver werden und bereit sein, stärker zusammenzuarbeiten», forderte Rohner. Das unterstrich auch Marco Tormen, Senior-Berater für nachhaltige Finanzen beim Co-Organisator WWF Schweiz: «Die Tagung war ein hervorragender Auftakt, weil es gelang, neben den üblichen Fach­leuten auch Grossbanken und die SNB an einen Tisch zu bringen.» Natürlich dominiere die Corona-Krise derzeit Politik und Gesellschaft. Doch der Klimawandel bleibe die zentrale Herausforderung, biete aber gleichzeitig auch Chancen, betonte Tormen: «Die Sanierung von ­Gebäuden oder die Versorgung mit saisonalen Lebensmitteln zeigen, dass Nachhaltigkeit durchaus mit lokaler Wertschöpfung kombiniert werden kann.»

Zukunftsbild 2030

Das im Text erwähnte Zukunftsbild für einen klimaneutralen Schweizer Finanzplatz bis 2030 finden Sie unter: abs.ch/zukunftsbild

«Brown Bad Bank»

Das Konstrukt der «Bad Bank» (der «schlechten Bank») ist von den internationalen Finanzkrisen bekannt, wo staatliche Institute faule Kredite übernahmen und so dafür sorgten, dass die Geschäftsbanken überlebensfähig blieben. Mit «Brown» werden nun Klima-Kreditrisiken aus dem Bereich von CO2-intensiven Branchen umschrieben. Machen bestehende Banken Ernst mit dem Ausstieg aus fossilen Energien, müssen sie in grosser Zahl Titel abstossen, die mit Kohle, Erdöl oder Gas in Verbindung stehen.

Bloss: Der Verkauf an Dritte hilft dem Weltklima nicht, weil sich vorderhand genügend Interessenten für «braune» Aktien finden. Das bedeutet, dass die klimaschädlichen Branchen weiterhin an Geld kommen und ihre Aktivitäten aufrechterhalten können. Um zum Beispiel die Fracking- und Kohleindustrie vom Geldfluss abzuschneiden, wäre eine «Brown Bad Bank» zumindest theoretisch ein mögliches Vehikel: Die öffentliche Hand kauft die Aktien von Klimasündern, strebt eine Aktienmehrheit an und hat in dieser Position die Möglichkeit, die Geschäftstätigkeit klimaneutral auszurichten. Ist dies strukturell nicht möglich, etwa bei gewissen Rohstoffkonzernen, würde die öffentliche Hand die Firma geordnet Konkurs gehen lassen. Mit dem Verschwinden der klimaschädlichen Firma gingen die CO2-Emissionen zurück – ausser ein Konkurrent übernimmt dieses Geschäftsgebiet.
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