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19.06.2020 von Stefan Boss

Die Nationalbank redet den Klimawandel klein

Die Klimaerhitzung könnte zu einer Finanzkrise führen, die schlimmer wird als die von 2008, warnt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in einer Studie und fordert die Zentral­banken zu einem Strategiewechsel auf. Die Schweizerische Nationalbank investiert trotzdem weiterhin kräftig in Ölfirmen. 

Artikel in Thema Systemwandel - aber wie?
Illustration: Claudine Etter
Das Hauptgebäude der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) am Basler Centralbahnplatz versprüht einen speziellen Charme. Der 19-stöckige braune Glasturm aus den 1970er-Jahren hat die Form eines AKW-Kühlturms. Über die BIZ koordinieren die sechzig wichtigsten Zentralbanken der Welt ihre Geldpolitik; ausserhalb der Branche sorgt die als «Zentralbank der Zentralbanken» bezeichnete Finanzorganisation selten für Aufsehen. Ende Januar hat sie jedoch einen Bericht publiziert, der es in sich hat. Der mit «The green swan – Central banking and financial stability in the age of climate change» betitelte Report fordert nämlich die Zentralbanken zu einem Strategiewechsel auf: Sie sollen endlich die Risiken stärker berücksichtigen, die der Klimawandel für die Wirtschaft und überhaupt für das Leben des Menschen auf dem Planeten mit sich bringt.
Damit ist die Klimakrise in der Hochfinanz angekommen. Die Divestment-Bewegung, die seit Jahren zu einem Rückzug aus Investitionen in fossile Energieunternehmen auffordert (englisch: «Divestment»), erhält durch diesen Report Unterstützung von ungeahnter Seite. Ein zentrales Argument der Divestment-Aktivistinnen und -Aktivisten war stets, dass Investitionen in Erdöl und Kohle bei verstärkten Anstrengungen für den Klimaschutz rasch an Wert verlieren könnten. Die fünf Autoren der BIZ-Studie teilen diese Einschätzung – und gehen noch einen Schritt weiter: «Der Klimawandel (…) könnte die Ursache der nächsten systemischen Finanzkrise sein», schreiben sie. Sie befürchten, dass die Klimakrise die Welt ins Chaos stürzen könnte und Ereignisse eintreten, welche die Risikoanalystinnen und -analysten der Banken überhaupt nicht auf dem Radar haben. Ähnlich wie die Finanzkrise von 2008 nicht vorausgesehen wurde. Sie bezeichnen diese extremen Klimarisiken als «grüne Schwäne», in Anlehnung an den Begriff der «schwarzen Schwäne» des Publizisten Nassim Nicholas Taleb, mit dem er unerwartete Ereignisse charakterisierte (Schwäne sind in der Natur ja in der Regel weiss). «Klimakatastrophen sind sogar noch gefährlicher als die meisten systemischen Finanzkrisen», halten die BIZ-Autoren fest.

SNB ignoriert Umweltkriterien

Mit dieser Einschätzung stehen sie in einem ziemlichen Gegensatz zur Schweizerischen Nationalbank (SNB). So sagte das Direktoriumsmitglied Andréa Maechler im November 2019 an einem Vortrag: «Die Klimarisiken insgesamt, die in der Schweiz die Stabilität der Wirtschaft und des Finanzsystems beeinflussen könnten, scheinen zurzeit nach unserer Einschätzung mässig zu sein.» An diesem Befund habe sich seither nichts geändert, schreibt die Medienstelle der SNB auf Anfrage.
Damit die Klimaerhitzung nicht zu einer neuen Finanzkrise führt, empfehlen die Autoren der BIZ-Studie, Notenbanken sollten bei ihrem Auftrag als Finanzaufseher dafür sorgen, dass Banken und Versicherungen ihre Klimarisiken angemessen managen. Die Aufsicht der Banken obliegt in der Schweiz jedoch der Finanzmarktaufsicht Finma, die SNB steht hier also nicht in der Verantwortung. Wiederum brisant in Bezug auf die Nationalbank ist dagegen die in der Studie ebenfalls thematisierte Frage, ob die Zentralbanken ökologische Kriterien bei ihren Anlagen berücksichtigen sollen. Die Autoren loben explizit die Banque de France und die niederländische Zentralbank als vorbildhaft, weil sie das schon tun, wie der «Tages-Anzeiger» Ende Januar berichtete. Die Schweizerische Nationalbank dagegen ignoriert bisher Umweltkriterien in ihrem Aktienportfolio ziemlich beharrlich.
So verfolgt diese laut Thomas Moser, stellvertretendes SNB-Direktoriumsmitglied, bei den Aktien einen «passiven und neutralen Ansatz» und betreibt keine Titelselektion – zum Beispiel für mehr Klimaschutz. Moser machte seine Äusserungen am gleichen Anlass wie Maechler Ende November. Die SNB betont zwar, dass sie seit 2013 auf Investitionen in Unternehmen verzichtet, die international geächtete Waffen produzieren oder «systematisch gravierende Umweltschäden verursachen». «Eine aktivere Bewirtschaftung auf dem Gebiet der Umwelt» lehnte Moser aber ab. Der Auftrag der Bank sei es, in der Schweiz für Finanz- und Preisstabilität zu sorgen.
Im Klartext bedeutet dies, dass die SNB kräftig in Erdölfirmen investiert wie zum Beispiel Chevron und Exxon (Esso-Benzin). Dies hat Artisans de la Transi­tion, eine NGO mit Sitz in Fribourg, in diversen Berichten zutage gebracht. Und es stellt sich die Frage, warum die Bank der Eidgenossenschaft den exzessiven Aus­stoss von Treibhausgasen gemäss ihren eigenen Kriterien nicht als «gravierenden Umweltschaden» einstuft. In der Schweiz droht beispielsweise wegen der globalen Erhitzung bis in achtzig Jahren fast das komplette Abschmelzen des Aletschgletschers – und das mitten im Unesco-Welterbe Jungfrau-Aletsch!

Weit entfernt von den Pariser Klimazielen

Marc Chesney, Professor für Finanzwirtschaft an der Uni Zürich, teilt den Befund des BIZ-Berichts. «Die Klimarisiken sind gross, es sind Hauptrisiken, und die Zentralbanken sollten sie unbedingt stärker berücksichtigen», sagt er in einem Gespräch per Videotelefon. Chesney setzt sich seit Längerem mit den Problemen der CO2-getriebenen Wirtschaft auseinander. Überdies lancierte er im Februar zusammen mit Ex-Bundesratssprecher Oswald Sigg und zwei ehemaligen Bankern die Volksinitiative «Mikrosteuer auf dem bargeldlosen Zahlungsverkehr».

Die Schweizerische Nationalbank hat zurzeit ein Portfolio, das auf einen Temperaturanstieg von 4 bis 5 Grad hinausläuft.»
Marc Chesney

Klar sei es gut, dass die SNB für Finanz- und Preisstabilität sorge, hält Chesney fest. Gerade wegen ihres Stabilisierungsauftrags müsste die SNB aber aktiv werden, denn: «Der Klimawandel könnte in Zukunft zum Beispiel zu mehr Dürren und damit zu einer abrupten Verteuerung von Lebensmitteln führen.» Deshalb sei es wichtig, dass die SNB sofort handle und diese Risiken verkleinere. Die Schweiz habe sich mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens von 2015 verpflichtet, ihre Finanzflüsse anzupassen. Das Ziel des Abkommens ist, den weltweiten Temperaturanstieg auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. Für die Umsetzung seien alle gefordert, «der Staat, Institutionen wie die Nationalbank und auch die Bürger».
Die Schweizerische Nationalbank hat Chesney zufolge zurzeit ein Portfolio, das auf einen Temperaturanstieg von 4 bis 5 Grad hinauslaufe. Das beeinträchtige auch das Leben künftiger Generationen. Er würde es deshalb begrüssen, wenn die Nationalbank fortan ganz auf Investitionen in Kohle und Erdöl verzichten würde. «Das wäre ein wichtiges Signal für Banken und andere Zentralbanken, es ihr gleichzutun.»

Droht ein böses Erwachen?

Laut dem Ende April veröffentlichten jüngsten Bericht von Artisans de la Transition finanziert die SNB mit ihrem Aktienportfolio nach wie vor fast so viele Treibhausgasemissionen, wie die Schweiz pro Jahr im Inland ausstösst: 43 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Die SNB ist weltweit einer der grössten institutionellen Investoren. Laut dem Report hat sie ihre Investitionen in Erdölfirmen wie Exxon und Chevron in den letzten zwei Jahren zwar reduziert, gleichzeitig aber steigerte sie die Investments in Kohle (wenn auch in deutlich geringerem Mass). Artisans de la Transition sieht dahinter jedenfalls keinen Bewusstseinswandel für mehr Klimaschutz, und auch die Äusserungen der Nationalbank legen diese Interpretation nahe. Pointiert heisst es im Report der NGO: Statt als Leuchtturm zu agieren, «benimmt sich die SNB wie ein Wachmann, der im Bett liegt und schnarcht, während sich an der Küste ein verheerender Sturm zusammenbraut».
Wenn der Wachmann schläft, sollte ihm vielleicht die Politik auf die Sprünge helfen. So fordert SP-Natio­nalrätin Jacqueline Badran in einer Motion, dass die SNB ihre Anlagepolitik auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens ausrichtet. Investitionen in Unternehmen, die gravierende Klimaschäden verursachen, würden dadurch ausgeschlossen. Trotz der Stärkung des grünen Lagers bei den letzten Wahlen dürfte es die Vorlage im Parlament nicht leicht haben. Generell haben sich durch das Coronavirus «die politischen Prioritäten etwas verschoben», stellt Badran fest. Der Druck der Zivilgesellschaft wird also weiterhin nötig sein.

Kommentar der Alternativen Bank Schweiz

Die Diskussion um Risiken greift zu kurz

«Unverhofft kommt oft», sagt der Volksmund, und etwa so verhält es sich mit Krisen im ­Finanzsystem. Das Finanzsystem ist seit jeher verletzlich. Nicht von ungefähr ist es eine der zen­tralen Aufgaben der Schweiz­erischen ­Nationalbank (SNB), für Finanzstabilität zu sorgen. In der Corona-Krise und wegen der drohenden Rezession wandern nun wieder besorgte Blicke in Richtung Finanzsystem. Hustet die Wirtschaft, wird schnell die Temperatur der Banken gefühlt. Die Corona-Pandemie hat uns noch etwas vor Augen geführt: die Auswirkung von exponentiellem Wachstum. Wo es nicht gelingt, die Epidemie schon im Ansatz zu bremsen, sind dramatisch höhere Todesfallraten die Folge. So verhält es sich auch mit dem Wirtschaftswachstum, das in «normalen» Zeiten exponentiell verläuft. Unbegrenztes Wachstum in einer begrenzten Welt muss zum Kollaps führen, warnte bereits 1972 der Club of Rome in seiner berühmten Publikation «Die Grenzen des Wachstums».

Damit sind wir beim Klimawandel und dem «grünen Schwan» angelangt: Die SNB sollte, um ­ihrer Aufgabe gerecht zu werden, ein viel stärkeres Interesse daran haben, dass Finanzdienstleister Klimarisiken ermitteln und aufzeigen. Zudem sollten alle Finanzdienstleister und die SNB offen­legen müssen, mit welchen Risikominderungsstrategien sie dem Klimawandel begegnen. Und schliesslich sollte die SNB ihr Anlageportfolio dekarbonisieren. Aus Sicht von «Normalsterblichen» agiert die Nationalbank mit riesigen Anlagesummen. Das ­bedeutet zum einen, dass die SNB durchaus wirksamen Druck auf die fossilen Industrien ausüben kann. Zugleich ist ein (schnelles) Divestment, also der Abzug von ­Investitionen in fossile Energien, innerhalb des bestehenden Wirtschafts- und Finanzsystems bei diesen Anlagesummen sehr anspruchsvoll. Umso wichtiger ist es, dass die SNB jetzt schnell handelt, um tragfähige Lösungen zu entwickeln.

Bei der Alternativen Bank Schweiz (ABS) schliessen wir «braune» Industrien schon seit der Gründung der Bank vor dreissig Jahren aus. Den CO2-Fussabdruck im ­Anlagegeschäft weisen wir transparent aus. Für uns ist das ein wichtiges Instrument, um zu überprüfen, ob wir (mindestens) auf Kurs des Pariser Klimaabkommens sind. Aber die Dekarbonisierung ist erst der Anfang, und die Diskussion um Risiken greift aus Sicht der ABS viel zu kurz. Wenn schädliches Verhalten erst dann unterlassen wird, wenn es sich bereits zum grossen Risiko für das Geschäft – oder wie im Fall der SNB für die Stabilität des Systems – entwickelt hat, ist das immer spät oder sogar zu spät. Es braucht ­einen Kulturwandel: Die SNB sollte neben finanziellen Zielgrössen auch Mensch und Natur umfassend in ihrer Politik berück­sichtigen. Neben dem Klimawandel gibt es weitere drängende Herausfor­derungen: das fortschreitende Artensterben, Menschenrechte, ­Tierwohl und Gentechnik, um nur einige wenige zu nennen. Die ­Zivilgesellschaft wird den Forderungskatalog gegenüber der SNB in den kommenden Jahren ­erweitern und den Druck erhöhen. Der Trend ist unumkehrbar. Die SNB wird nicht umhinkommen, sich mit diesen Heraus­forderungen auseinanderzusetzen.

Michael Diaz,
Leiter des Bereichs ­Anlegen und Mitglied der Geschäftsleitung der Alternativen Bank Schweiz
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