moneta: Frau Admati, wie schätzen Sie die derzeitige Stabilität an den Finanzmärkten ein?
Anat Admati: Seit der Finanzkrise hat sich wenig verändert. Banken sind überschuldet und setzen damit Wirtschaft und Gesellschaft einem grossen Risiko aus. Banken sind privilegiert und geniessen unfaire Wettbewerbsvorteile. Sie können sich wesentlich stärker verschulden als andere Unternehmen. Sie können damit rechnen, dass sie im Notfall vom Staat gerettet werden. Das kommt einer Subventionierung gleich.
Wo sehen Sie die grössten Risiken am Finanzmarkt?
Ich sehe mehrere. An erster Stelle ist die Eurozone zu nennen, deren strukturelle Probleme nicht gelöst sind. Derzeit hält die Europäische Zentralbank dieses Konstrukt zusammen. Tatsache aber ist, dass viele europäische Banken «Zombie-Banken» sind. Sie sind hoch verschuldet und wären ohne implizite Staatsgarantie längst zahlungsunfähig. Der Derivatemarkt bleibt ebenfalls eine grosse Gefahr, da die komplizierten Verträge schwierig zu bewerten sind. Albträume bereitet mir auch das Thema Cybersecurity. Da geht es um Datenschutzverletzungen, aber auch um systemrelevante Hackerangriffe, die eine Krise auslösen könnten.
In Ihrem Buch, das Sie zusammen mit dem deutschen Ökonomen Martin Hellwig verfasst haben, schlagen Sie eine Eigenkapitalquote von mindestens zwanzig Prozent vor. Das ist viel mehr, als im Moment gesetzlich verlangt wird.* Banken werden einwenden, dass Ihr Vorschlag die Kreditvergabe verteuert und die Wirtschaft schädigt.
Das ist das Perverse an der Situation. Das ist so, wie wenn wir die Chemie-Unternehmen subventionieren würden und sie weiter unsere Flüsse verschmutzten. Und wenn wir sie aufforderten, die Verschmutzung zu beseitigen, würden sie sich beschweren, dass dies Kosten verursache.
Die Schweiz hat vor einigen Monaten über die Vollgeld-Initiative abgestimmt. Wäre dies nicht eine Alternative zu wesentlich höheren Eigenkapitalquoten?
Die Idee, dass alle Bürgerinnen und Bürger bei der Zentralbank ein Konto führen können, finde ich gar nicht so schlecht. Im digitalen Zeitalter sollte dies auch technisch kein Problem sein. Insgesamt aber würde die Einführung von Vollgeld die systemischen Risiken nicht ganz wegnehmen. Gerade in einem Umfeld mit niedrigen Zinsen versuchen Investoren immer, höhere Renditen zu erwirtschaften. Das geht über Hedgefonds und andere hochspekulative Anlagen, die ausserhalb der Kontrolle eines nationalen Vollgeldsystems stehen würden.
Sie sind Professorin in Stanford und nah am Silicon Valley dran. Wie schätzen Sie den Einfluss der grossen Technologiekonzerne, wie Google, Amazon und Facebook, auf das Bankenumfeld ein?
Die interessieren sich nicht gross für Banking. Anders als die Banken, verfügen sie über immer mehr Kapital. Was Technologie angeht, sehe ich aber insgesamt schon neue Impulse für den Bankenmarkt. Ich meine die Fintech-Unternehmen. Sinnvoll finde ich, wenn Überweisungen schneller und preiswerter abgewickelt werden. Man muss allerdings auch sehen, dass in diesem Segment oft nur neue Wörter für Altbekanntes erfunden werden, beispielsweise wenn von «Coins» die Rede ist, um damit vorzutäuschen, es seien Münzen einer neuen Währung. Dabei handelt es sich letztlich um eine Wertschrift, für die es längst Regeln gibt.
Oft scheint es darum zu gehen, Regulierung zu umgehen, weil sie gute Geschäfte verhindert.
Ja, Regulierung kommt oft schlecht weg, manches ist auch schiefgelaufen. Dabei brauchen wir Regeln. Wenn sie einfach und umfassend sind wie im Fall der Eigenkapitalquote, funktionieren sie auch. Da sollten wir uns von den Banken nichts vormachen lassen. Gute Regulierung hilft den Märkten, fair und effizient zu arbeiten.
* In der Schweiz wird ab 2019 von Banken eine Eigenkapitalquote von 4,5 Prozent für den Normalbetrieb verlangt. Diese einfache Form der Quote setzt das vorhandene Eigenkapital zur ungewichteten Bilanzsumme ins Verhältnis. Die ABS erreichte Ende 2017 eine Quote von 8,13 Prozent.