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14.03.2022 von Daniel Bütler

Holz, Lehm und Beton vereint

Auf dem Weg zu einer Netto-null-Architektur sind Holz und Lehm als Baumaterialien ein grosses Versprechen. Doch Beton wird bleiben. Man muss ihn aber intelligenter einsetzen.

Artikel in Thema bauen. wohnen. klima.
Illustration: Claudine Etter
Der neue Hauptsitz der Swatch Group in Biel öffnet dem Holzbau neue Sphären. Über 240 Meter windet sich das spektakuläre Gebäude. Für das Dach wurden 4600 Holzelemente millimetergenau zu einem Netztragwerk zusammengesteckt. Möglich war die Konstruktion nur dank digitaler Planung und Fertigung. Das «aufsehenerregendste Gebäude, das je in Biel gebaut wurde», trage «das Holz medial in die Welt hinaus», schrieb die Architekturzeitschrift «Hochparterre». Für den preisgekrönten Bau verwendete die Uhrenfirma Schweizer Holz.
Ist dies ein Zeichen dafür, dass sich die Bauwirtschaft bereits ökologisch ausgerichtet hat? So eindeutig ist die Situation nicht. Aber es kommt Bewegung in die Branche. Dazu ist es höchste Zeit. Der Gebäudesektor verursacht laut einer Empa-Studie fast 30 Prozent der Schweizer Treibhausgasemissionen. Zwei Drittel davon stammen vom Betrieb, vor allem von Öl- und Gasheizungen, ein Drittel von den Materialien. Für diese graue Energie ist vor allem der Beton verantwortlich, genauer: der Zement. Die Zementwerke verursachen 9 Prozent der Schweizer CO2-Emissionen, global sind es 6 Prozent. Bei der Dekarbonisierung der Bauwirtschaft kommt Zement, dem meistverwendeten Baumaterial, eine zentrale Rolle zu. Ein Ansatz ist, mehr mit Holz zu bauen. Immerhin wächst es quasi vor unserer Haustür und speichert CO2: rund eine Tonne pro Kubikmeter. 
In der Tat ist der Holzbau am Boomen. Etwa jeder siebte Neubau in der Schweiz ist bereits eine Holzkon­struktion, Tendenz steigend. Dank der Digitalisierung habe es einen gewaltigen technischen Schub gegeben, sagt Michael Meuter vom Dachverband der Holzbranche, Lignum. Holzbauten könnten immer besser und präziser konstruiert werden, und dank Vorfertigung sei die Bauzeit kürzer als bei einem Massivbau. «Die Zukunftsaussichten für den Holzbau sind rosig», ist Meuter überzeugt. «Der Baumarkt verlangt Klimaschutz und Energieeffizienz. Da ist Holz das richtige Material.» Treiber für grössere Projekte sind Genossenschaften und die öffentliche Hand. Aber auch Privatunternehmen setzen auf das natürliche Material, nicht zuletzt aus Imagegründen. V-Zug plant ein Holzhochhaus, der Hauptsitz des Zürcher Medienunternehmens TX Group ist eine Holzkonstruktion.

Verarbeitung und Transport bestimmen die Klimabilanz

Intuitiv halten viele das Material für ökologisch und nachhaltig. Das ist nicht falsch. Holzbauten verursachen laut Studien eine Klimabelastung, die 5 bis 25 Prozent geringer ist als die von Massivbauten. Im Vergleich hätten sie eine gute Umweltbilanz, sagt der Nachhaltigkeitsexperte Gianrico Settembrini von der Hochschule Luzern. «Aber man muss genau hinschauen.» Denn Holz ist nicht in jedem Fall besser als andere Materia­lien. Entscheidend ist, wie stark es verarbeitet ist und woher es stammt. Prozesse wie Verleimen brauchen viel Energie und sind nicht sehr umweltfreundlich. 
Für die Klimabilanz ist entscheidend, welche Art von Energie bei der Verarbeitung eingesetzt wurde. Ein Produkt, das mit deutschem Kohlestrom hergestellt wurde, schneidet weniger gut ab als eines aus der Schweiz mit ihrem relativ sauberen Energiemix. Und von je weiter her das Holz kommt, umso mehr verschlechtert der Transport die Bilanz.
Die Herkunft ist der zweite kritische Aspekt. Da aus verschiedenen Gründen zu wenig Schweizer Bauholz verfügbar ist, werden 70 Prozent importiert, «das meiste aus Nachbarländern, wo nachhaltige Forstwirtschaft betrieben wird», so Michael Meuter von Lignum. Gemäss Zollstatistik wird sehr viel Holz aus Deutschland eingeführt. «Doch die Herkunft ist nicht immer eindeutig», sagt Johanna Michel vom Bruno Manser Fonds. Erfasst sei nur das Land, aus dem das Holz importiert, nicht jenes, in dem es geschlagen wurde. So könne «deutsches» Holz aus osteuropäischen Wäldern stammen – möglicherweise aus nicht nachhaltiger, vielleicht sogar illegaler Forstwirtschaft. Es gebe da zu wenig Transparenz, sagt Michel. Hinzu kommt, dass auch Labels wie FSC keine Garantie für einwandfreies Holz sind. Ob und wie viel Bauholz aus fragwürdigen Quellen hierzulande genutzt wird, ist letztlich unklar. Wer auf der sicheren Seite sein will, entscheidet sich für Holz aus Schweizer Wäldern.

Ein baubiologisches Wundermittel

Letztlich wird Holz das Klimaproblem der Bauwirtschaft kaum lösen – schlicht, weil es nicht genug davon geben dürfte, um den Bedarf zu decken. Einen hervorragenden Klimafussabdruck hat ein anderer natürlicher Rohstoff: Lehm. Der Zürcher Architekt Roger Boltshauser kommt ins Schwärmen, wenn er von dem archaischen Material spricht, mit dem sich so sinnliche Wände erstellen lassen. Wann immer möglich baut Boltshauser mit Stampflehm. Dazu brauche es aber viel Überzeugungsarbeit. «Viele haben grossen Respekt vor Lehm.» Das traditionelle Baumaterial ist in Vergessenheit geraten. Dabei war es in der Schweiz früher verbreitet, etwa in Riegelhäusern. Weltweit lebt gegen ein Drittel der Menschen in Lehmbauten.
Stampflehm muss lediglich getrocknet, nicht gebrannt werden. Doch um eine Wand zu bauen, ist viel Handarbeit nötig. Das geht ins Geld. Eine Lehmmauer kostet doppelt so viel wie eine Betonwand. Zudem sind die Wände feuchtigkeitsanfällig und nur begrenzt tragfähig. Dafür kann das Material beinahe ohne Energiezufuhr verarbeitet werden, ist schadstofffrei und reguliert Temperatur, Gerüche und Feuchtigkeit: ein baubiologisches Wundermittel. Aufgeschlossene Bauherren haben das entdeckt. Zu den Vorzeige-Lehmbauten gehört der Sitz von Ricola in Laufen.
Lehm hat einen weiteren Vorteil: Er ist in grossen Mengen vorhanden, zumindest bei Neubauten. Im Mittelland komme er bei jedem Aushub als Hauptbe­standteil vor, sagt Roger Boltshauser. Heute werde das Material meist deponiert, eine Verschwendung einer wertvollen Ressource. Doch der Architekt räumt ein, es brauche noch viel Forschung, um mit Lehm in grossem Stil bauen zu können. Dass das möglich wäre, davon ist er überzeugt. Grosses Potenzial sieht er vor allem für Hybridbauten, die Lehm mit Beton und Holz verbinden. Dank einer intelligenten Kombination liesse sich viel Beton einsparen. «Man soll Beton nicht verteufeln. Aber man muss ihn intelligent einsetzen.»

Noch ein weiter Weg bis zur Massenproduktion

Von einer ganz betonfreien Bauweise gehen Fachleute nicht aus, denn für manche Zwecke, beispielsweise als Fundament, ist er kaum ersetzbar. Und seine Zutaten, Zement, Sand und Kies, sind weltweit kostengünstig verfügbar. 
Doch die CO2-Emissionen sind nicht wegzubringen aus der Zementproduktion. Das Klimagas entweicht, wenn Kalkstein zu Klinker gebrannt wird. Es wird daher nie Netto-null-Zement geben. Man kann seine Herstellung aber optimieren. Der Chemiker Frank Winnefeld forscht an der Empa in Dübendorf zu CO2-ärmeren Zementsorten. Er sagt, kurzfristig sei der vielversprechendste Ansatz, den Kalkstein mit klimafreundlicheren Materialien zu mischen. Dazu gehören etwa Tone, Schlacken oder Aschen aus Eisen- und Kohleöfen oder magnesiumhaltige Materialien. Längerfristig seien sogar Verfahren möglich, den Beton mit CO2 anzureichern – wodurch sich die Klimabilanz verbessert. Ein Schweizer Start-up testet bereits solche Produktionsprozesse. Auch Recycling spart Emissionen ein, ein Zürcher Unternehmen hat entsprechenden Beton bereits im Angebot. Laut Forscher Winnefeld ist der Weg bis zu einer Massenproduktion von CO2-armen Zementsorten aber noch weit. 
Da sind weitere Ideen gefragt: etwa gar nicht mehr neu bauen oder die Materialien aus bestehenden Gebäuden konsequent wiederverwerten. Von einer drastischen Verkleinerung des Klimafussabdrucks ist die traditionell träge Bauwirtschaft zwar noch weit entfernt. «Das Klimathema ist aber definitiv in der Baubranche angekommen», sagt Architekt Boltshauser. «Für institutionelle Bauherren ist der Klimafussabdruck heute ein wichtiges Kriterium.» Das sei vor wenigen Jahren noch anders gewesen.
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