Wie viele Bäume gibt es auf der Welt? Manche Wissenschaftler scheuen vor solchen Fragen zurück, weil sie zu gross und zu unspezifisch sind. Andere wie Tom Crowther stürzen sich auf sie. Der junge ETH-Professor mag es, gross zu denken, und er hat das entsprechende Daten- und Modellrechnungs-Know-How für solche Schätzungen. Auf 3 Billionen (oder 3 Millionen Millionen) summieren sich demnach die Bäume der Welt – eine Zahl die Crowther gleich in der renommierten Fachzeitschrift «Nature» publizieren konnte. Es sollte sein Durchbruch als systemisch denkender Ökologe werden.
Eine Fläche von der Grösse Chinas bewalden?
Vier Jahre später legte Crowther nach: Wie wäre es, dem Klimawandel mit einer weltweiten Aufforstungs-Kampagne zu begegnen? In einem spektakulären Forschungspapier berechnete er, dass mit einer zusätzlichen Billion Bäume zwei Drittel aller menschlichen CO2-Emissionen aus der Atmosphäre entfernt werden könnten. Die Pressemitteilung der ETH titelte: «Wie Bäume das Klima retten könnten». Was nicht so deutlich darin stand: Die nötige neu zu bewaldende Fläche hätte ungefähr die Grösse Chinas. Das Forschungspapier schlug hohe Wellen und löste auch viel Kritik von Klimaforschenden aus: Der Vorschlag sei zu simpel und blende umweltpolitische Realitäten weitgehend aus. Die ETH korrigierte nach, neu heisst die Pressemitteilung: «Wie Bäume helfen könnten, das Klima zu retten». Und auch Crowther ruderte zurück, publizierte eine Richtigstellung und liess den «Guardian» wissen: «Ich habe nie gesagt, dass wir eine Billion Bäume pflanzen sollten.»
Inzwischen wurde der Vorschlag von anderen aufgenommen, unter anderen vom prominenten Klimaforscher und Systemtheoretiker Hans Joachim Schellnhuber. Er ist Initiator des «Bauhaus der Erde», das sich als Keimzelle einer globalen Bewegung zur nachhaltigen Transformation der gebauten Umwelt versteht. Schellnhuber will Gebäude zu Kohlenstoffsenken machen, da im Bauholz jenes CO2 gespeichert ist, das die Bäume zuvor aus der Luft aufgenommen haben. Schaffen könnte man die Transition mit einer intensivierten Bewirtschaftung der bestehenden Forstflächen, glaubt Schellnhuber, er schlägt aber auch Plantagen vor, um den Holzbedarf zu decken, vor allem den Anbau von schnell wachsendem Bambus in tropischen und subtropischen Regionen.
Zweifel vom Waldexperten
Solche Ideen kommen bei vielen Politikerinnen und Politikern gut an, weil sie eine technische Lösung des komplexen sozioökonomischen Problems «Klimaerwärmung» versprechen. Schellnhuber: «Ohne radikale Bauwende auf Basis einer bio-basierten Kreislaufwirtschaft wird das Pariser Klimaabkommen scheitern.» Diese Radikalität gefällt allerdings nicht allen. Unlängst hat sich Schellnhuber im GEO einen Schlagabtausch mit dem Waldexperten Pierre Ibisch geliefert. Der Einwand von Ibisch: Wenn der Wald sowieso in einem prekären Zustand und überbeansprucht ist (durch die ökonomischen Ansprüche und durch die immer heisseren, trockeneren Sommer), dann wäre es grundfalsch, ihm noch weitere Aufgaben aufzubürden. Werden die Ideen von Schellnhuber Realpolitik, dann ist die Gefahr gross, dass bestehende Forste noch stärker unter ökonomischen Druck kommen. «Wenn der Einsatz von Bauholz stark gesteigert werden soll, ist der Schutz der Wälder vor nicht nachhaltiger Abholzung [...] entscheidend wichtig», betonte Schellnhubers Co-Autor Christopher Reyer deshalb im Communiqué zur entsprechenden Publikation. «Unsere Vision für eine nachhaltige Bewirtschaftung und Regulierung könnte aber die Situation der Wälder weltweit tatsächlich sogar verbessern, da diesen dann ein höherer Wert zugemessen wird.»
Tatsächlich scheint ein «Wertewandel» pro Wald schon im Gange, allerdings nicht als Klimapolitik von oben, sondern in der Form von Grassroots-Aufforstungsprogrammen wie die globale «Trillion Tree Campaign», die Ecosia-Suchmaschine, das «Green Belt Movement» in Kenia, die deutsche «Plant for the Planet»-Bildungsinitiative. Die Sache ist komplex, wenn es um den Wald als Ganzes geht, aber eines ist sicher: Einen Baum zu pflanzen ist nie schlecht fürs Klima.