Bäume «schlucken» beim Wachsen CO2 und speichern es im Holz. Hätten wir damit einen effizienten Hebel in der Hand, um die Emissionen zu senken? Eine Geschichte von grossen Ideen und noch grösseren Flächen.
Stadtplaner und Stadtverwaltungen in vielen europäischen Metropolen setzen auf Bäume, um gegen Hitzeinseln in unseren verdichteten und asphaltierten Städten anzugehen. In Paris sollen fünf Stadtwälder entsehen, Mailand hat angekündigt, bis 2030 nicht weniger als drei Millionen Bäume zu pflanzen. Diese spektakulären Zahlen werfen Fragen auf: Wie und wo sollen solche Mengen an Bäumen im dichten, urbanen Raum einen Platz finden? Auch in der Westschweiz gibt es ehrgeizige Ziele: 150'000 Exemplare in 10 Jahren für Genf und seinen Kanton, 30 Prozent der Stadtfläche mit einem Kronendach bis 2030 für die Stadt Lausanne - also 10 Prozent mehr als heute. Sind die entprechenden Zahlen bescheidener und damit realistischer?
Urbanes Baumdach
«Ganz ehrlich: Wir wissen es nicht», sagt Benjamin Rudaz. «Aber wir haben auch nicht wirklich eine Wahl. Wir müssen alles tun, um die Auswirkungen der Hitzewellen abzumildern, die in den kommenden Jahren zur Regel werden.» Rudaz ist Leiter der Abteilung Bäume und Wald bei der Stadt Lausanne, die 2022 ein traumatisches Jahr erlebt hat. Viele alte und neue Bäume litten schwer unter der Dürre.
Wohin also mit zusätzlichen Bäumen? Freie Flächen sind rar. Mal abgesehen von Parks stehen Bäume sofort im Konflikt mit oberirdischer Infrastruktur wie Bus- und Tramleitungen, vor allem aber mit Netzen, die man gar nicht wahrnimmt : den überbeanspruchten Untergrund (Kanalisation, Kommunikations- und Stromleitungen, Fernwärme, Tiefgaragen etc.). So sind einige dicht bebaute Gebiete schlichtweg unmöglich zu bepflanzen, ausserdem ist die Öffnung des Bodens teuer. «Wir versuchen meist, die Bepflanzung mit Tiefbauarbeiten zu verbinden, den Planungsprozess grosser Baustellen zu begleiten und so die verschiedenen Interessen zu bündeln. Es braucht viele Diskussionen zwischen den verschiedenen Akteuren der Baumassnahmen, das macht die Pflanzungsprojekte komplex.» Eine Komplexität, die durch die Hitzewellen nicht weniger wird.
Die Abteilung Bäume und Wald ist verantwortlich dafür, das im Klimaplan der Stadt verabschiedete «Canopy Goal» (siehe moneta 1/2021, autofrei) zu erreichen: Die Kronenfläche auf dem Stadtgebiet von Lausanne soll bis 2040 verdoppelt werden, mit einem Zwischenziel von 30 Prozent Laubanteil bis 2030, im Vergleich zu heute rund 20 Prozent. «Das heisst einerseits mehr Bäume, aber auch grössere Exemplare.»
Mediterrane Arten
Das Pflanzziel liegt bei 4000 Bäumen alle drei Jahre, was 2021 übertroffen wurde (1454 gepflanzte Bäume), ebenso 2022 (weitere 1602). «Wir haben nach sogenannten Ökotypen gesucht und bevorzugen Individuen, die aus Samen oder Eicheln stammen, um geklonte Bäume zu vermeiden und damit das Risiko der Anfälligkeit für Krankheiten oder andere Schädlinge zu begrenzen.» Eine im Bulletin der Société Vaudoise des sciences naturelles publizierte Studie modelliert die Eignung von rund 110 Arten für das für Lausanne im Jahr 2070 vorhergesagte Klima. Demnach werden mediterrane Arten aus dem Balkan oder dem Kaukasus sowie aus Südfrankreich und Italien die Lösung sein, die heissen und trockenen Sommern, aber auch Frost widerstehen können. Mitunter handelt es sich dabei auch um «einheimische» Arten, also solche die bereits in der Schweiz vorkommen, von denen aber Individuen ausgewählt werden, die weiter südlich vorkommen und daher bereits angepasst sind.
Die Bäume spenden nicht nur Schatten, sie kämpfen vor allem mit dem Prinzip der Verdunstung gegen Hitzeinseln an. Damit die Krone ihre Funktion erfüllen kann, müssen die Exemplare eine ansehnliche Grösse erreichen. Und das bedeutet: Sie brauchen Platz in der Erde. Je nach Standort und Baumart erweist sich die derzeitige Norm von 9 Kubikmetern pro Baum als zu wenig, sagt Rudaz. «Ist der Raum im Boden zu knapp, wächst der Baum nicht mehr als 15 bis 20 Jahre. Das aber ist das Alter, in dem ein Baum gerade erst beginnt, die gewünschten Auswirkungen auf seine Umgebung zu haben.» Also arbeite man in Lausanne darauf hin, in Abstimmung zwischen den für die Baustellen verantwortlichen Abteilungen das Bodenvolumen, das den Bäumen zur Verfügung steht, zu vergrössern. Eine weitere Herausforderung für die Stadtbegrünung stellt das Wassermanagement dar: «Wir müssen das Regenwassermanagement zugunsten von Pflanzen optimieren, anstatt das Wasser einfach über die Kanalisation abzuleiten.»
Eine «territoriale Revolution»
Der Lausanner Architekt Laurent Guidetti hat weit radikalere Ideen: Für ihn ist die Stadt von heute einfach nicht für Bäume gemacht. «Ohne in philosophisch-esoterische Debatten abzudriften – ein Baum ist ein lebender Organismus, der ein ganzes Ökosystem und Interaktionen mit dem Boden braucht, um optimal zu wachsen und so seine Rolle zu erfüllen. Man kann zwar ein paar kümmerliche Bäumchen pflanzen und hohes Gras um ihre Stämme herum wachsen lassen, aber so wird das nur marginale Wirkungen auf das Stadtklima haben.» Sein Vorschlag: «Hören wir auf, einzelne Bäume in der Stadt zu pflanzen, pflanzen wir Wälder!»
Tönt schön, aber natürlich bleibt das Problem dasselbe: wohin damit in der heutigen Zeit der extremen Verdichtung? Laurent Guidetti will die Vorzeichen umkehren, er fordert einen «Waldurbanismus», bei dem die Natur im Vordergrund stehe. In seinem 2021 erschienenen Manifest für eine territoriale Revolution schlägt er eine radikale Massnahme vor, die nicht jedem gefallen wird: den Autos Platz wegnehmen und ihn den Bäumen geben. Seine Berechnungen sind einfach: Jedes Auto beansprucht etwa 9 Quadratmeter Grundfläche, zu denen Laurent Guidetti und seine Kollegen von TRIBU architecture die Flächen hinzufügen, die für den Zugang zum Auto erforderlich sind, also die Rampen der Parkplätze und die Zufahrtswege. Die tatsächliche Fläche, die von einem Fahrzeug beansprucht wird, beträgt somit mindestens 25 Quadratmeter. Da es in Lausanne 96210 Parkplätze gibt und von den 149000 Einwohnern nur ein gutes Drittel ein Auto besitzt, rechnet der Architekt schnell nach: «Wenn wir 44209 Parkplätze von Nicht-Lausannern abschaffen, würden wir 111 Hektar Fläche freimachen. Und wenn die LausannerInnen ihre Autos teilen würden, wie es in den BewohnerInnen-Kooperativen der Fall ist, würden sogar 180 Hektar frei werden. Das ist die gute Nachricht: Die Bodenreserve für die Schaffung von Wäldern ist unter den Autos verfügbar!»
Wie klein kann ein Wald sein
Wir müssen also die Raumverteilung in der Stadt überdenken. Nicht einfach Fussgänger oder Velofahrer gegen Autoverkehr, sondern versiegelter versus entsiegelter öffentlicher Raum. Das erfordert eine radikale Neukonzeption dessen, was in fast zwei Jahrhunderten entstanden ist. Die Trägheit des städtebaulichen Komplexes ist legendär, aber es entstehen immer mehr Projekte, die zumindest versuchen, die Verkrustungen aufzubrechen. So kündigte die Stadt Genf Anfang des Jahres drei Projekte zur Begrünung auf Kosten von Parkplätzen an: Das Parkhaus Eaux-Vives wird redimensioniert, indem 52 der 149 vorhandenen Parkplätze gestrichen werden, 18 Parkplätze an der Rue de Villereuse werden neu 800 Pflanzen beherbergen und die 12 Plätze im Viertel Grottes werden ebenfalls mit Bäumen bepflanzt.
Für diese Art der verdichteten Bepflanzung gibt es Vorbilder in ganz verschiedenen Teilen der Welt. Der von dem japanischen Botaniker Akira Miyawaki entwickelte «Mikrowald» ahmt die Dynamik natürlicher Primärwälder nach, indem er die Arten auf wenigen Quadratmetern verdichtet und untereinander mischt. Genf hat in den vergangenen Jahren zwei solcher Wälder gepflanzt, auch im Zürcher Seefeld läuft ein ähnliches Projekt. Und in Lausanne wurden unlängst rund 600 Bäume in der Mitte des Maladière-Kreisels gepflanzt, rund 30 Arten in verschiedenen Grössen.
Auch wenn die Versuche erfolgreich waren, haben die Massnahmen etwas anachronistisches. Einen Mikrowald mitten im dichten Verkehr zu planen - packt man das Problem da nicht am falschen Ende an? «Es geht hier eindeutig um Massnahmen zur Bekämpfung von Lärm und Umweltverschmutzung. Die Mikrowälder sind bei weitem kein Allheilmittel oder eine Wunderlösung, aber mit der Zeit werden sie dichte und interessante Bestände bilden», sagt Benjamin Rudaz, der jede aktive Massnahme gegen den Klimastress befürwortet. Die Stadt stellt übrigens einen Anstieg der Projekte zur Begrünung von Strassen fest, die meist von Anrainervereinigungen getragen werden. Auch auf der Seite der Bauherren ist einiges in Bewegung: Im Stadtteil Plaines-du-Loup wurde soeben eine grosse Pflanzung angekündigt (siehe moneta 1/2022: Bauen, Wohnen und Klima). Dort sollen 1800 Bäume gepflanzt werden, wodurch letztendlich ein Wald mitten in Lausanne entsteht.
Wird dies ausreichen? Für Benjamin Rudaz ist die wirklich gute Nachricht auf gesetzlicher Ebene zu finden. Mit dem Inkrafttreten des «Loi sur la protection du patrimoine naturel et paysage» (Natur- und Landschaftsschutzgesetz) am 1. Januar dieses Jahres hat sich die Interessenabwägung eindeutig zu Gunsten der Bäume verschoben. «Nun haben wir auf kantonaler Ebene ein echten Hebel, um Baumfällungen zu verhindern und um solche, die wirklich notwendig sind, angemessen zu kompensieren.» Den Wald in unsere Städte zu holen bedeutet letztlich wohl das Ende des Privatautos. Wie schnell werden wir diese Trendwende schaffen?