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13.09.2023 von Simon Rindlisbacher

«Man sollte mit etwas beginnen, das einem leichtfällt»

Für eine gelingende Kreislaufwirtschaft braucht es grosse ­Veränderungen im Konsumverhalten. Aber wo setzt man am besten an? Verhaltens­wissenschaftlerin Bettina Höchli von der Univer­sität Bern gibt Auskunft.

Artikel in Thema Kreislaufwirtschaft

moneta: Bettina Höchli, wann haben Sie sich zum letzten Mal etwas Neues gekauft?
Bettina Höchli Kürzlich wurde mein Velo gestohlen, ­deshalb habe ich mir ein neues gekauft. 


Hätte es nicht auch ein gebrauchtes Velo sein können?

Eigentlich schon. Aber ich habe keines gefunden, das mir gepasst hat – insbesondere von der Grösse her. ­Irgendwo im St. Galler Hinterland gab es eines, aber dieses von Bern aus abzuholen, war mir zu viel Aufwand.


Heisst das, Sie sind um einen nachhaltigen ­Lebensstil bemüht?
 
Ich mache mir viele Gedanken dazu und achte darauf, nachhaltig zu leben.


Wie schneiden Sie im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt ab?

Ich würde natürlich sagen, dass ich etwas besser bin als der Durchschnitt (lacht). Aber da bin ich wahrscheinlich Opfer des sogenannten Overconfidence-Bias und gehöre ­damit zu den wohl 90 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz, die ihr Verhalten nachhaltiger ein­schätzen, als es ist. Auch bei mir gibt es sicher noch viel Luft nach oben. 


Verschiedene Studien legen nahe, dass wir in der Schweiz zu exzessiv konsumieren und damit entscheidend zum viel zu grossen ökologischen Fussabdruck des Landes ­beitragen. Warum kaufen wir so gerne und so oft ein?

Zuerst einmal, weil wir es können, da wir in der Schweiz im Durchschnitt viel verdienen. Dann gibt uns etwas Neues in der Regel eine sofortige Belohnung und löst Glücksgefühle aus – wobei die ja oft nicht lange an­halten. Schliesslich ist auch entscheidend, welches Konsumverhalten wir als normal anschauen: Bin ich in einem Umfeld, wo man sich einmal im Jahr eine neue Hose kauft? Oder ist es eher jeden Monat?


Wie lässt sich unser Konsumverhalten ­verändern?

Dafür ist es wichtig, dass die Anreize für das gewünschte Verhalten gestärkt und die Hürden abgebaut ­werden. Beides ist aber für jedes Verhalten und jede Zielgruppe unterschiedlich. 


Welche sind das?

Nehmen wir den Fleischkonsum als Beispiel: Die einen essen Fleisch, weil es ihnen gut schmeckt und sie es ­gewohnt sind. Andere, weil es in der Cafeteria am Arbeitsplatz nichts anderes zu essen gibt, und wieder andere finden es vielleicht besonders männlich. Je nachdem braucht es also eine Änderung der Gewohnheiten, des Angebotes oder sogar des Selbstbildes.


Und wer muss die Veränderungen anstossen? Der Staat? Die Wirtschaft? Oder die Konsumentinnen und Konsumenten selbst?

Wichtig ist, dass man überall gleichzeitig ansetzt. ­Zurzeit schieben sich die gesellschaftlichen Akteure noch zu oft gegenseitig den Ball zu. Darum geht die Entwicklung in Richtung mehr Nachhaltigkeit nicht schnell ­genug voran.


Was könnte denn die Rolle des Staates sein?
 
Der Staat kann verschiedene Akteure an einen Tisch bringen, eine gemeinsame Vision schaffen und Ziele festlegen. Davon ausgehend kann er nachhaltiges ­Verhalten einfacher und wirtschaftlich attraktiver machen und unerwünschtes erschweren. Das geht per ­Gesetz, aber auch im Dialog etwa mit Branchenverbänden. Diese können sich dann beispielsweise selbst zu Massnahmen verpflichten, etwa dazu, standardmässig die nachhaltige Variante eines Produktes anzubieten. Beim Strom wird das oft schon gemacht: Wer nicht aktiv ein anderes Produkt verlangt, wird mit nachhaltigem Strom beliefert. So bewegt man insbesondere die unentschlossene Mehrheit, die einfach mit dem Flow geht. Allerdings ist es wichtig, dass man in Bereichen ansetzt, die tatsächlich viel bewirken. 


Was meinen Sie damit?

Wenn der Staat zum Beispiel Trinkröhrli aus Plastik ­verbietet, kann das ein Signal senden. Aber der positive ­Effekt auf die Umwelt dürfte sich in Grenzen halten. Und bringt ein Problem mit sich: Es kann Leute dazu verleiten, sich zu früh zurückzulehnen. In der Fach­sprache braucht man dafür den Begriff «lizenzieren»: Man macht einen kleinen Schritt in die richtige Richtung und nimmt diesen als «Lizenz», etwas zu tun, das nicht nachhaltig ist. Wenn wir zum Beispiel alle auf Trink­röhrli aus Plastik verzichten und dafür auf die Malediven in die Ferien fliegen, sind wir nicht weiter. 


Welche Möglichkeiten haben Unternehmen, Menschen zu mehr Zirkularität zu bewegen?

Sie können zirkuläre Produkte zugänglicher, attraktiver und populärer machen. Wären beispielsweise Reisen mit dem Zug nicht so viel teurer als Flugreisen, wären sie zugänglicher und würden eher als Alternative in ­Betracht gezogen. Damit ein Produkt attraktiv ist, muss unter anderem auch die Ästhetik stimmen. Ein nach­haltiges Produkt, das nicht gut aussieht, erreicht in der ­Regel nur eine kleine Gruppe von Überzeugten, mit ­entsprechend geringer positiver Wirkung. Am breiten Markt wird es sich nicht durchsetzen.


Und was hat es mit der Popularität auf sich?

Unternehmen können die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten auch erhöhen, indem sie sie populärer ­machen, beispielsweise mit entsprechenden Werbekampagnen. Damit können sie auch ganz neue ­Narrative ­prägen.


Das heisst?

Im Moment gilt zum Beispiel für viele Menschen: Für richtig gute Ferien muss man weit reisen. Das ist das vorherrschende Narrativ. Ein neues wäre: Auch Ferien in der Nähe sind schön. Werbung kann solche Narrative prägen, genauso wie Filme, die Medien, berühmte Personen und sogar die Musik.


Unternehmen können also einiges bewirken. Wie können sie zum Handeln bewegt werden?

Sie müssen sich fast zwangsläufig bewegen. Denn der verantwortungsvolle Umgang mit Natur und Umwelt wird ihrer Kundschaft und ihren Mitarbeitenden immer wichtiger. Allerdings bringt die Kreislaufwirtschaft viele Unternehmen in einen Zielkonflikt: Ihr Geschäfts­modell ist oft darauf ausgelegt, möglichst viel zu verkaufen. Gerade in der Kreislaufwirtschaft soll der Verkauf jedoch gedrosselt werden. Stattdessen sollen langlebigere Produkte über den Ladentisch gehen. Die notwendige Transformation gelingt den Unternehmen daher nicht allein, sondern nur Hand in Hand mit dem Staat und den Konsumentinnen und Konsumenten. 


Und wie können wir als Konsumentinnen und Konsumenten unser Verhalten verändern?

Am besten beginnt man damit, sich selbst zu beobachten: Welche meiner Gewohnheiten sind nicht nach­haltig? Dann kann man sich fragen, was das Motiv hinter diesen Gewohnheiten ist und wie man nachhaltiger zum gleichen Ziel kommt. Wenn mein Motiv ist, dass ich schnell und günstig von A nach B kommen will, dann brauche ich nicht zwingend ein eigenes Auto. Das geht auch mit dem Zug oder mit einem Auto einer Car-Sharing-Genossenschaft. Will ich an einem einzelnen Anlass, beispielsweise an einer Hochzeit, schön ­aus­sehen, kann ich ein Kleid vielleicht auch ausleihen, anstatt ein neues zu kaufen. Man sollte mit etwas ­be­ginnen, das einem leichtfällt.


Also sollte man sich selbst nicht überfordern?

Wenn Aufwand und Verzicht zu gross sind, fällt es den meisten Menschen schwer, sich neue Gewohnheiten ­anzueignen. Ein einzelner kleiner Schritt in die richtige Richtung reicht zwar nicht, aber er ist ein guter Anfang. Wichtig ist, nicht zu denken, man könne sowieso nichts machen, weil die Herausforderung zu gross sei.


Woher weiss ich, wo ich beginnen soll?

Informationen gibt es eigentlich genug. Die meisten Menschen könnten wahrscheinlich etwas nennen, wenn man sie fragt, wie sie ihren Alltag verändern könnten. Konkret kann man prüfen, wie man sich fortbewegt, wie man wohnt und heizt, wie man sein Geld investiert, wie man isst.


Wie realistisch ist es, dass genügend Menschen ihr Verhalten überprüfen und ändern?

Es ist realistisch, aber herausfordernd. Denn für eine Verhaltensänderung braucht es Zeit und Energie. Wenn man rund um die Uhr arbeiten muss, bleibt kaum Zeit, innezuhalten und sein Verhalten zu überdenken. 


Bedeutet das, dass ein nachhaltiges Leben etwas ist, das sich nicht alle leisten können, ein Luxus?

Ich finde, jede und jeder sollte den Beitrag leisten, den sie oder er leisten kann. Der ökologische Fussabdruck nimmt mit dem Einkommen zu. Das bedeutet, dass jene, die besonders viel zu mehr Nachhaltigkeit beitragen sollten, auch eher die Mittel dazu haben. Wer mehr Ressourcen hat, soll auch mehr in die notwendigen Ver­änderungen investieren. 


Foto: zvg
Dr. Bettina Höchli 
ist Forscherin an der Universität Bern und Expertin für Verhaltens­änderungen im Bereich Gesundheit und Nachhaltigkeit. Ihre Ansätze stammen aus den Be­reichen Verhaltens­ökonomie, Verhaltenswissenschaften und Social Marketing. Ihr Ziel ist es, das Verhalten von Zielgruppen zu verstehen und Verhaltensänderungen zu fördern – sodass sowohl das Individuum wie auch die ­Gesellschaft profitieren.

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