Die Schweiz hat einen enorm hohen Rohstoffverbrauch, was Umwelt und Klima belastet. Die Umstellung auf Kreislaufwirtschaft kann Abhilfe schaffen und neue ökonomische Perspektiven eröffnen. Doch wie weit sind Unternehmen und Gesellschaft mit dieser Transformation?
Es war ein riesiger Erfolg für die Jungen Grünen: 89 Prozent der Zürcher Stimmbevölkerung sagten am 25. September 2022 Ja zum neuen Kreislauf-Artikel in der Kantonsverfassung. Dieser sieht vor, dass Kanton und Gemeinden günstige Rahmenbedingungen «für einen schonenden Umgang mit Rohstoffen, Materialien und Gütern sowie für die Schliessung von Stoffkreisläufen» schaffen. Und er verpflichtet sie, Massnahmen «zur Vermeidung von Abfällen sowie zur Wiederverwendung und stofflichen Verwertung von Materialien und Gütern» zu treffen.
«Niemand findet es toll, viel Abfall zu produzieren», erklärt Julian Croci die hohe Zustimmung der Bevölkerung für die Verankerung der Kreislaufprinzipien in der Verfassung. Er ist Gemeinderat in Dübendorf und war Präsident des Initiativkomitees der kantonalen «Kreislauf-Initiative» , die 2019 von den Jungen Grünen eingereicht wurde. «Das fehlende Recycling, beispielsweise für Plastik, ist etwas, das viele Leute bewegt», so Croci weiter. Mit ihrer Initiative strebten die Jungen Grünen aber nicht nur verbesserte Recycling-Möglichkeiten an, sondern ganz grundsätzlich eine Abkehr von der Wegwerfgesellschaft. «Wir wollten das gesellschaftliche Umdenken vorantreiben und die Konsumgesellschaft angehen», sagt Croci. Gemäss Initiativtext sollten Kanton und Gemeinden damit beauftragt werden, «Anreize für einen ressourcenschonenden Konsum» zu schaffen.
Zustimmung von links bis rechts
Effektiv abgestimmt hat die Zürcher Bevölkerung aber nicht über die Initiative, sondern über den Gegenvorschlag des Regierungsrats . Denn dieser befand, dass die Initiative mit ihrem Fokus auf den individuellen Verbrauch zu eng gefasst sei. Unter Federführung von Baudirektor Martin Neukom wurde die Vorlage erweitert und nahm die gesamte Versorgungs- und Wertschöpfungskette in den Blick. «Damit wird ein ganzheitlicher Ansatz von Rohstoffgewinnung, Produktion über Konsum bis zum Abfall umgesetzt», begründete der Regierungsrat den Gegenvorschlag. Dieser richtete den Fokus insbesondere auf die Bauwirtschaft; denn dort ist der grösste Hebel, wenn man Abfall vermeiden und Stoffkreisläufe schliessen will: Rund zwei Drittel der 4,2 Millionen Tonnen Abfall, die jährlich im Kanton Zürich anfallen, stammen aus diesem Bereich. Die gigantische Menge ist für Klima und Umwelt belastend, nicht zuletzt, weil für neue Deponien Wald gerodet werden muss – wogegen sich regelmässig Widerstand regt, zuletzt in Rümlang im Zürcher Unterland. «Mit einer Umstellung auf Kreislaufwirtschaft lässt sich auch die ganze Deponie-Frage elegant lösen», betont Julian Croci.
Der Einbezug der Bauwirtschaft war denn auch ein wichtiger Grund dafür, dass die Jungen Grünen ihre Initiative zugunsten des Gegenvorschlags zurückzogen. Dieser wurde im Kantonsrat schliesslich einstimmig (!) angenommen und kam dann – ohne Gegenkampagne – vors Volk. Dass auch die rechten Parteien das ursprünglich linke Anliegen unterstützten, war nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass hiesige Unternehmen durch die neuen Kreislaufprinzipien gestärkt werden können. Wenn Stoffkreisläufe geschlossen werden, entsteht lokal mehr Wertschöpfung und Beschäftigung. Auch sinkt die Abhängigkeit von Rohstoffimporten. Zudem stellte der Regierungsrat in Aussicht, Unternehmen mit innovativen Ansätzen, die einen Beitrag zur Schliessung von Stoffkreisläufen leisten, gezielt zu fördern.
Mit «Urban Mining» Materialkreisläufe schliessen
Doch wie wird der neue Verfassungsauftrag jetzt umgesetzt? Unmittelbar nach Annahme des Kreislauf-Artikels wurde im Kantonsrat vor allem von grünen Ratsmitgliedern ein ganzes Paket an Umsetzungsvorschlägen eingereicht. Sie forderten beispielsweise die konsequente Anwendung von Kreislaufprinzipien bei der öffentlichen Beschaffung oder eine flächendeckende Grünabfallsammlung und -verwertung. Für die Baubranche verlangten sie etwa gesetzliche Vorgaben zur Wiederverwendung von Bauteilen und -materialien oder zur Senkung der grauen Energie von Neubauten. Der Ball liegt jetzt beim Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft der Baudirektion (AWEL), das eine kantonale Strategie zur Kreislaufwirtschaft erarbeitet. Diese soll Anfang 2024 vom Regierungsrat verabschiedet werden; Auskünfte zum genaueren Inhalt kann die Direktion deshalb noch nicht geben.
Auf Anfrage hebt AWEL-Mediensprecherin Isabelle Rüegg aber das grosse Potenzial des «Urban Mining» hervor. Der Ansatz betrachtet dichtes Siedlungsgebiet als riesiges Rohstoff- und Materiallager und verfolgt das Ziel, Rohstoffe aus Produkten und Infrastrukturen nach deren Gebrauch möglichst weiter zu verwenden. Rüegg verweist zudem darauf, dass der Kanton Zürich im Juni 2023 zusammen mit elf weiteren grossen Schweizer Bauauftraggebern eine «Charta kreislauforientiertes Bauen» unterzeichnet hat. Die zwölf Bauriesen, zu denen neben dem Kanton auch die Stadt Zürich, der Bund sowie private Grossunternehmen gehören, bekennen sich zum Ziel, bis 2030 die Verwendung von nicht erneuerbaren Primärrohstoffen um 50 Prozent zu reduzieren sowie die grauen Treibhausgasemissionen beim Bauen stark zu verringern.
Wenn es dem Kanton gelingt, seine eigene Bautätigkeit nach Kreislaufprinzipien zu organisieren, erfüllt er eine wichtige Vorbildfunktion und setzt Anreize für hiesige Bauunternehmen, in zirkuläre Prozesse zu investieren. Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen er für Private schaffen wird, damit kreislauffähiges Bauen und Wirtschaften für alle möglich oder gar verbindlich wird, wird sich Anfang 2024 mit der kantonalen Umsetzungsstrategie zeigen.
Günstige Angebote für Reparatur und Wiederverwendung sind zentral
Auch die Stadt Zürich bekennt sich zur Kreislaufwirtschaft. Sie ist im Sommer 2022, kurz vor der Abstimmung zum neuen Verfassungsartikel, als erste Schweizer Stadt der «Circular Cities Declaration» beigetreten. Dabei handelt es sich um ein internationales Netzwerk von aktuell 66 Städten, die sich von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft entwickeln wollen. Aus der Anfang 2023 veröffentlichten Strategie «Circular Zürich» wird ersichtlich, dass auch die Stadt das zirkuläre Bauen vorantreiben will. Zudem strebt sie eine weitere Verbesserung von Abfallwertung und Recycling an, namentlich von organischen Abfällen und Kunststoffen. Viel Potenzial sieht die Stadtverwaltung auch bei der Erforschung und beim Design von kreislauffähigen Materialien und Produkten: Als wichtiger Hochschul- und Unternehmensstandort ist Zürich hier in einer guten Position, um den Wissensaustausch zu fördern und innovative Start-ups gezielt zu unterstützen.
Besonders viel Handlungsbedarf ortet die Stadt im Bereich Konsum und Nutzung: Da die Zürcherinnen und Zürcher einen hohen Pro-Kopf-Konsum haben, können Änderungen im täglichen Verhalten viel zur Schonung von Ressourcen beitragen. Hier sieht auch Selina Walgis ein grosses Potenzial: «Das Wichtigste ist die Langlebigkeit der Produkte», sagt sie. Walgis hat als Vizepräsidentin des Initiativkomitees die «Kreislauf-Initiative» der Jungen Grünen massgeblich mitgeprägt und ist heute Co-Fraktionschefin der Grünen im Zürcher Gemeinderat. Sie ist überzeugt, dass Konsumgüter länger im Umlauf bleiben, wenn die Bevölkerung einen einfachen und kostengünstigen Zugang zu Wiederverwendungs- und Reparatur-Angeboten erhält. Beispielsweise für Kleider, von denen heute viele – manchmal kaum oder gar nicht getragen – in den Zürcher Textilsammelstellen landen. 2000 Tonnen sind es jedes Jahr. Diese enormen Mengen sind ein Problem. Zum einen, weil viele der gesammelten Kleider in afrikanische oder asiatische Länder exportiert werden, wo sie nur teilweise wiederverwendet werden können und dann – oft zum Schaden von Menschen und Umwelt – vor Ort entsorgt werden müssen. Und zum anderen, weil die Kleiderproduktion an sich hohe CO2-Emissionen und Umweltverschmutzung verursacht.
Zusammen mit Anna-Béatrice Schmaltz, ebenfalls Gemeinderätin und seit kurzem Präsidentin der Stadtzürcher Grünen, hat Selina Walgis deshalb ein Postulat eingereicht. Darin schlagen die beiden vor, dass die Stadtverwaltung die Bevölkerung für die negativen Konsequenzen des Kleiderkonsums sensibilisiert und lokale Angebote zur Wiederwendung von Kleidern mitfinanziert. «Secondhand-Angebote sollten mit neuen Produkten konkurrenzieren können; denn heute sind neue Produkte oft günstiger als Secondhand», erklärt Walgis.
Es braucht auch eine nationale Strategie
Die Stadt kann den Weg zur Kreislaufwirtschaft also finanziell unterstützen – Secondhand- und Reparatur-Angebote oder innovative Start-ups –, sie kann den Wissensaustausch zu Kreislaufthemen zwischen Forschung, Wirtschaft und Verwaltung fördern und die Bevölkerung dafür sensibilisieren. Auch kann und will sie wie der Kanton ihr Beschaffungswesen und ihre Bautätigkeit nach Kreislaufprinzipien organisieren. Bei einigen Themen stossen Stadt und Kanton aber an ihre Grenzen: Nämlich dort, wo es für die Privatwirtschaft nationale, wenn nicht internationale Richtlinien braucht, um die Lebensdauer von Produkten zu verlängern und ein Recht auf Reparatur einzufordern, wie es etwa die EU plant. Selina Walgis und Anna-Béatrice Schmaltz sind denn auch überzeugt, dass es jetzt national vorwärts gehen muss. «Es braucht auch auf Bundesebene dringend einen Massnahmenplan für alle Bereiche der Kreislaufwirtschaft», sagt Schmaltz und schliesst: «Die Kreislaufwirtschaft ist ein wichtiger Hebel, mit der wir die Klimakrise abwenden oder zumindest abschwächen können. Deshalb sollte sie in der Schweiz zu dem Prinzip werden, nachdem wir wirtschaften und handeln.»