Mieten und teilen anstatt besitzen
Für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft spielen zuerst einmal die Konsumentinnen und Konsumenten eine wichtige Rolle. Damit sie tatsächlich Kleider, Elektrogeräte, Möbel und viele weitere Alltagsgegenstände so lange wie möglich nutzen, sie immer wieder reparieren lassen und am Ende so entsorgen, dass sie stofflich verwertet werden können, ist laut Kathrin Fuchs ein gesellschaftlicher Wertewandel notwendig. Oder anders gesagt: Es braucht eine Abkehr vom exzessiven Konsum. Zudem müssen wir die vorherrschenden Eigentumsmodelle überdenken. «Anstatt alle Dinge selbst zu besitzen, ist es nötig, dass wir viele Gegenstände vermehrt mieten oder mit anderen teilen», erklärt die Umweltwissenschaftlerin.
Daraus ergeben sich auch die Geschäftsmodelle, die in einer Kreislaufwirtschaft zentral sind: Die einen basieren auf der Idee der «sharing economy» und die anderen auf jener der Servitization. Setzen Unternehmen auf Letzteres, verdienen sie ihr Geld nicht mehr, indem sie Geräte herstellen und dann verkaufen, sondern indem sie diese herstellen, vermieten, warten, wieder aufbereiten und wenn nötig recyceln. Dabei setzen sie idealerweise auf Produkte, die möglichst ressourcenschonend, langlebig, reparaturfähig, modular und zerlegbar sind und entsprechend entworfen und hergestellt werden. Bei den neuen Geschäftsmodellen bleibt das Recycling ein wichtiger Aspekt, sollte jedoch als letzte Massnahme betrachtet werden. «Das gilt besonders für die Schweiz, die kaum eigene Rohstoffe gewinnen kann», sagt Kathrin Fuchs von CES. Nicht nur die Konsumentinnen und Konsumenten, auch die Unternehmen müssen umdenken. Es brauche einen regen Informationsaustausch zu Herkunft und Zusammenstellung von Komponenten oder auch zum Abfall, der im Produktionsprozess entsteht und möglicherweise weiterverarbeitet werden könne, sagt die Expertin für Kreislaufwirtschaft. «Es erfordert eine neue Form von Kooperation, und die Unternehmen müssen lernen, ganzheitlich zu denken.»
Anders konsumieren, viel bewirken
Auch wenn für die Umstellung auf Kreislaufwirtschaft keine Revolution notwendig ist, zieht sie für Wirtschaft und Gesellschaft doch einiges nach sich. Wobei: «Es ist gar keine 100-prozentige Zirkularität nötig. Eine solche Quote ist rein technisch gesehen auch gar nicht möglich», hält Kathrin Fuchs fest. Mit einer Verdoppelung der Zirkularitätsquote in der Schweiz auf etwas mehr als 12 Prozent könnte der Verbrauch an Primärrohstoffen schon um ein Drittel gesenkt und der CO2-Fussabdruck halbiert werden.
Das grösste Potenzial ortet der Report in der Schweiz bei Konsumentinnen und Konsumenten. Wenn es gelingt, sie von einem kreislauforientierten Lebensstil zu überzeugen – Alltagsgegenstände so lange wie möglich brauchen, mieten und teilen statt kaufen usw. –, liesse sich der materielle Fussabdruck bereits massgeblich senken. Ohne Abstriche beim Lebensstandard geht der «Gap Report» von rund 15 Prozent aus. Zudem sieht der Report grosse Möglichkeiten bei nachhaltigen und zirkulären Produktionsmethoden, bei der Mobilität, der Lebensmittelindustrie sowie beim Bauen und Wohnen. Auf ähnliche Resultate kommt auch eine Analyse des Beratungs- und Planungsunternehmens EBP Schweiz und der Berner Fachhochschule (BFH).
Neue Geschäftsmöglichkeiten
Am richtigen Ort angesetzt, dürfte sich der Aufwand für die Umstellung auf zirkuläre Systeme für die Umwelt relativ rasch bezahlt machen. Und sie bringt auch andere Vorteile: Kreislaufwirtschaft kann dazu beitragen, dass die Schweiz unabhängiger wird von globalen Lieferströmen. «Die Coronapandemie hat deutlich gemacht, wie sehr die weltweite Wirtschaft zusammenhängt und wie fragil das System ist», sagt Kathrin Fuchs. Kann die Schweiz mehr Rohstoffe zurückgewinnen, wird sie auch krisenresistenter. Ein Bericht des WWF und des Beratungsunternehmens PwC streicht auch die wirtschaftlichen Vorteile der Kreislaufwirtschaft hervor und spricht von «milliardenschweren Umsatzmöglichkeit». Diese ergebe sich unter anderem, aus dem Wert der wiedergewonnenen Ressourcen und aus den neuen Geschäftsmöglichkeiten.
Mangelndes Wissen als Hürde
Warum ist die Schweiz trotz diesen möglichen Vorteilen noch nicht weiter mit der Kreislaufwirtschaft? 2022 hat die Berner Fachhochschule 8000 Unternehmen in der Schweiz dazu befragt. Die Umstellung auf Kreislaufwirtschaft wird der Studie zufolge von drei Faktoren gehemmt: Erstens gehen viele Unternehmen davon aus, dass sich ihr Produkt oder ihre Dienstleistung nicht dafür eignen würde. «Die mangelnde Sensibilisierung ist definitiv ein Problem», kommentiert Kathrin Fuchs diese Erkenntnis. «Wir befinden uns noch immer in der Phase, in der Unternehmen über die Möglichkeiten und Vorteile der Kreislaufwirtschaft informiert werden müssen.» Noch haben nicht alle die dringende Notwendigkeit und Potenziale erkannt. Deshalb setzen CES und andere Organisationen wie die Werkstatt Kreislaufwirtschaft ce123.ch an diesem Punkt an. Sie vernetzen Unternehmen und Organisationen, die sich für Kreislaufwirtschaft engagieren, fördern den Austausch und bieten Informationen und Ideen, wie Unternehmen zirkulärer werden können.
Eine zweite wichtige Hürde sind gemäss der BFH-Studie die hohen Investitionskosten. Unternehmen, die bereits weit seien mit der Umstellung, könnten viel Geld in Forschung und Entwicklung investieren. Vor allem für kleine und mittlere Unternehmen hingegen sind die Kosten für die Umstellung zu gross. Die BFH-Studie fordert deshalb wirtschaftspolitische Unterstützung. Auch die Banken spielen eine wichtige Rolle bei der Förderung der Kreislaufwirtschaft. Dazu Kathrin Fuchs: «Sie müssen den Umstieg auf neue, zirkuläre Geschäftsmodelle finanzieren.» Eine dritte Hürde ist laut der BFH-Studie schliesslich, dass es in Unternehmen an Know-how zur konkreten technischen Umsetzung von zirkulären Prozessen fehlt. Deshalb wird gemäss der Leiterin der CES-Geschäftsstelle ein gezielter Austausch innerhalb von einzelnen Branchen zunehmend wichtig.
Wichtige Rolle des Staates
Neben Sensibilisierung, Geld und Know-how sind für eine erfolgreiche Transformation aber auch die richtigen politischen Rahmenbedingungen notwendig. Der «Gap Report» kommt zum Schluss, dass der Staat strategisch vorgehen muss, und zwar über alle politischen Felder hinweg und auf allen staatlichen. Inhaltlich fordern die Autorinnen und Autoren, sich auf die Vermeidung von Abfall zu konzentrieren anstatt auf dessen Bewirtschaftung. Weil die Umstellung auf Kreislaufwirtschaft die Unternehmen kostet und rezyklierte Rohstoffe teurer sind als Primärrohstoffe, bestehe ein Wettbewerbsnachteil für Unternehmen, die auf Kreislaufwirtschaft setzen. Der Staat könnte diesen Nachteil beispielsweise mit Steuererleichterungen ausgleichen. Ergänzend wäre gemäss dem Report ein «Recht auf Reparatur» sinnvoll. Zudem müssten die Hersteller zu Transparenz verpflichtet werden, was den Konsumentinnen und Konsumenten ermöglichen würde, vorzugsweise zirkuläre Produkte zu kaufen.
Der Staat kann also eine gewichtige Rolle spielen – und dies nicht nur mit passenden Rahmenbedingungen für Private, sondern auch mit entsprechenden Richtlinien fürs öffentliche Beschaffungswesen. «Wenn der öffentliche Sektor möglichst nur noch bei Unternehmen einkauft, die auf Kreislaufwirtschaft setzen, gibt er diesen die nötige Sicherheit, um die notwendigen Investitionen zu tätigen», erklärt Kathrin Fuchs. Deshalb freut sie sich darüber, dass beispielsweise der Kanton Zürich vorangeht. Dort hat die Bevölkerung kürzlich die Transformation hin zur Kreislaufwirtschaft in der kantonalen Verfassung verankert (siehe «Zürich macht vorwärts mit der Kreislaufwirtschaft» auf moneta.ch). Der Kanton muss nun zusammen mit der Wirtschaft und der Bevölkerung Lösungen entwickeln. «So kann er zum Labor werden für all die Experimente, die im Bereich Kreislaufwirtschaft mehr als nötig sind.»