moneta: Ivo Wallimann-Helmer, die Jugend der Fridays for Future fordert Klimagerechtigkeit. Was bedeutet das genau?
Ivo Wallimann-Helmer: Grundsätzlich bedeutet Gerechtigkeit, Gleiche gleich und Ungleiche ungleich zu behandeln. In Bezug auf das Klima besagt die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, dass wir eine gemeinsame Verantwortung haben, das Klimasystem zu schützen. Es ist jedoch zunächst eine offene Frage, wie wir diese Verantwortung fair untereinander aufteilen, also wer welche Massnahmen ergreifen muss und wer welche Ansprüche auf Entschädigung hat. Es ist naheliegend, dass die grössten Emissionsproduzenten am stärksten in der Pflicht sind. Das ist vor allem der globale Norden.
Wir können doch nicht für die Taten unserer Grosseltern verantwortlich gemacht werden.
Das ist aus liberaler Sicht richtig. Es scheint unplausibel, dass wir heute Lebenden für die Taten unserer Vorfahren zur Verantwortung gezogen werden. Darum sollten wir besser fragen, wer heute von den vergangenen Emissionen am meisten profitiert. Auch in diesem Fall sind wir im globalen, industrialisierten Norden stärker in der Pflicht, etwas zu unternehmen. Aber eben nicht, weil wir die vergangenen Emissionen verursacht haben, sondern weil wir davon profitieren.
Wie meinen Sie das?
Unser heutiger Wohlstand basiert grösstenteils auf Emissionen in der Vergangenheit. Wir profitieren noch heute davon, dass die Industrialisierung unsere Wirtschaft aufgebaut hat. Gleichzeitig profitieren wir davon, dass viele unserer Güter im Ausland produziert werden.
Wo sind denn die ethischen Fallstricke, wenn Klimagerechtigkeit
erreicht werden soll?
Ich bin gegen strikte Vorgaben, wie viel genau emittiert werden darf. Es muss meiner Ansicht nach einen Mechanismus geben, der uns den Einfluss unseres Verhaltens auf den Klimawandel über den Preis mitteilt. Das kann zum Beispiel via Steuern oder in der Form von Zertifikaten geschehen. Allerdings müssen wir bedenken, dass viele Massnahmen wie zum Beispiel Treibstoffe zu verteuern oder die Mehrwertsteuer zu erhöhen, tendenziell dazu führen, dass die sozial Schwächeren ausgeschlossen werden. Klimamassnahmen dürfen nicht zu anderen Ungerechtigkeiten führen.
Die Klimabewegung oder die Gletscher-Initiative sind da radikaler. Sie fordern, dass wir in wenigen Jahren netto keine Treibhausgasemissionen mehr in der Schweiz produzieren dürfen. Und sehen das als ethische Pflicht. Was denken Sie dazu?
Es ist ganz klar, dass wir den Klimawandel verhindern müssen, weil er zu immer mehr Menschenrechtsverletzungen führen wird. Die Bewegung und die Initiative gehen also sicherlich in die richtige Richtung. Ich kann aus meiner wissenschaftlichen Perspektive aber nicht abschätzen, ob sie realpolitisch und wirtschaftlich angemessen sind. Für die Schweiz bedeuten sie eine grosse Herausforderung, zumal das einseitig und ohne Kompensationen im Ausland geschehen soll.
Ist das realistisch?
Wir brauchen auf jeden Fall eine radikale Veränderung unseres Lebensstils. Wir sollten weniger Fleisch konsumieren, weniger Auto fahren, weniger fliegen. Gleichzeitig wird die Schweiz wohl nicht darum herumkommen, auch technische Lösungen zur Filterung von Klimagasen aus der Atmosphäre zu realisieren.
Warum?
Weil zwei Drittel der wissenschaftlichen Modelle, die das Ziel des Pariser Abkommens für möglich halten, davon ausgehen, dass wir mit technischen Mitteln in grossem Stil CO2 aus der Atmosphäre filtern und im Boden verstauen. Eigentlich müssten wir sogar eine negative Emissionssumme anstreben.
Das wird nicht einfach. Also am besten gewisse Lebensstile verbieten oder zumindest extrem teuer machen?
Ähnlich wie bei strikten Vorgaben zu Emissionshöhen glaube ich, dass in liberalen Gesellschaften alle selbst entscheiden können sollten, wie sie ihr Leben führen. Wir müssen vermeiden, dass klimaschädliches Verhalten ein Privileg der Reichen wird, während andere extrem stark in ihren Freiheiten und ihrer Lebensgestaltung eingeschränkt werden.