moneta: Martin Neukom, im bislang bürgerlich dominierten Kanton Zürich ist Unvorhergesehenes passiert. Zuerst wählte die Bevölkerung mit Ihnen einen Klimapolitiker in den Regierungsrat. Kurz darauf rief der ebenfalls grüner gewordene Kantonsrat den Klimanotstand aus. Was bedeutet beides konkret für die Zürcher Klimapolitik?
Martin Neukom: Der Auftrag des Parlaments lautet konkret: Der Regierungsrat muss bis in einem Jahr einen Bericht vorlegen, wie er die Forderung nach netto null CO2-Emissionen umsetzen will. In den kürzlich publizierten Legislaturzielen haben wir als Regierung den Klimaschutz als langfristiges Ziel aufgenommen.
Gemäss «Schweizer Illustrierter» ist für Sie der Kampf gegen den Klimawandel eine Frage der Technik. Tatsächlich?
Ich glaube nicht, dass irgendwann neue Technologien kommen, die das Problem lösen. Auch werden sich nie alle Menschen freiwillig ökologisch verhalten. Die Politik muss das Heft in die Hand nehmen.
Aber Technik spielt schon auch eine Rolle?
Ja, wir müssen die ökologisch sinnvollen Technologien fördern und die schädlichen bremsen. Beispielsweise werden wir in Zukunft vermehrt den Boden als saisonalen Wärmespeicher brauchen, und zwar mithilfe effizienter Erdsonden-Wärmepumpen: Im Sommer wird das Erdreich aufgewärmt mit Solarenergie. Im Winter entziehen wir dem Boden die Wärme und heizen unsere Häuser damit.
Was passiert mit all den Ölheizungen? Kann es sein, dass Hausbesitzerinnen und -besitzer sie in den nächsten Jahren entfernen und durch nicht fossile Systeme ersetzen müssen, noch bevor sie amortisiert sind?
Eine Möglichkeit ist, am Ende der Lebensdauer einer Ölheizung anzusetzen. Dann müssen Hausbesitzerinnen und -besitzer entweder neue Fenster einbauen, dämmen, auf eine Wärmepumpe umsteigen oder sonst eine energetische Massnahme umsetzen. So handhaben das bis jetzt die meisten Kantone. Ich werde mich auch dafür einsetzen, dass jene finanziell unterstützt werden, die besonders viel machen.
Wenn Wohnhäuser saniert werden, steigen die Mieten oft stark an.
Wie lässt sich das vermeiden?
Ich habe leider keine Patentlösung für dieses Problem. Wir müssen Mechanismen entwickeln, die den Anstieg der Mieten nach Sanierungen tief halten.
Falls die CO2-Abgaben deutlich höher sein werden als heute: Wie können jene Leute entlastet werden, die in Mietshäusern mit Ölheizungen leben?
Es kommt darauf an, wie eine zusätzliche CO2-Abgabe umgesetzt wird: Als Lenkungsabgabe wäre sie nicht unsozial, denn diese würde an die Bevölkerung zurückerstattet. Eigentlich ein Nullsummenspiel, aber es würde finanziell interessanter, Energie zu sparen.
Die Stadt Zürich hat sich 2008 zum Ziel gesetzt, eine 2000-Watt-Gesellschaft zu werden. Ist dieses Ziel angesichts der Forderungen nach netto null nun überholt?
Das Anfang der 1990er-Jahre entstandene Modell der 2000-Watt-Gesellschaft war in der Tendenz richtig, aber heute sind wir tatsächlich einen Schritt weiter. Jetzt geht es beim Klimaschutz nicht mehr um die Reduktion von Emissionen. Das Ziel ist eine Umstellung von fossilen auf hundert Prozent erneuerbare Energien, so dass gar keine CO2-Emissionen mehr anfallen. So gesehen ist das Modell der 2000-Watt-Gesellschaft veraltet.
Was braucht es, damit es zu einer «Revolution der erneuerbaren Energien» kommt?
Den politischen Willen. Mit den sichtbaren Erfolgen in der Umsetzung kommt auch die Aufbruchstimmung.
Sind Sie zuversichtlich, dass die Umstellung gelingt?
Global gesehen ist einiges in Bewegung. Nach der grossen Enttäuschung am Klimagipfel in Kopenhagen 2009 hat die Klimabewegung global wieder massiv Fahrt aufgenommen. In China beginnt die Solarenergie die Kohle zu verdrängen. Vieles stimmt positiv. Trotzdem sieht es nicht rosig aus. Wir sind spät dran. Ich rechne mit dem Schlimmsten, hoffe aber das Beste.