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19.06.2019 von Esther Banz

«Fliegen ist noch schädlicher als bisher bekannt»

Christoph Meili berechnet das, was andere am liebsten nicht so genau wüssten: was unser Konsum für die Umwelt – und die Nachwelt – bedeutet.

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Foto: zvg

moneta: Herr Meili, können Sie uns ganz kurz erklären, was Sie als Experte für den ökologischen Fussabdruck tagein, tagaus berechnen?

Christoph Meili: Ich erstelle beim Consulting-Unternehmen ESU-services Lebenszyklusanalysen, auch Ökobilanzen genannt. Damit können Umweltauswirkungen abgeschätzt werden, die bei der Produktion, Nutzung und Entsorgung von Gütern wie Nahrungsmitteln oder Urlaubsreisen entstehen.

 

Bereits am 7. Mai dieses Jahres haben wir in der Schweiz so viel von der Natur verbraucht, wie uns bis Ende Jahr zustünde – wenn unser Verbrauch die natürlichen Ressourcen nicht übersteigen sollte. Was schlug so sehr zu Buche?

Unter anderem, dass der Durchschnittsschweizer in den letzten zehn Jahren immer häufiger und weiter geflogen ist. Die Emissionen, die durch das Fliegen entstehen, sind übrigens viel wirksamer, als man ursprünglich angenommen hat.

 

Wie «wirksamer»? Sie meinen: schädlicher?

Ja. Niels Jungbluth, Geschäftsführer von ESU-services, hat diverse Studien ausgewertet, die zeigen, dass die Flugzeugemissionen eine Wolkenbildung verursachen, die zu zusätzlicher Klimaerwärmung führt. Entsprechend haben wir für den Footprint-Rechner des WWF auf methodischer Seite Anpassungen gemacht.

 

Wie stark fällt diese zusätzliche Treibhauswirkung ins Gewicht?

Das hängt von vielen Faktoren ab, etwa wie stark die Wolkenbildung ist und wie lange die Wolken in der Luft bleiben. Die Wirkung ist physikalisch belegt, die wissenschaftliche Debatte dreht sich nun darum, wie stark sie ist. Wir stützen uns auf jene Literaturangaben, die uns am verlässlichsten scheinen.

 

Ist die Erkenntnis, dass Fliegen noch schädlicher ist als angenommen, bei den Leuten angekommen?

In wissenschaftlichen Kreisen, ja. Auch Myclimate rechnet mit dem neuen Faktor, den wir vorschlagen, ebenso der WWF, der VCS und Greenpeace. Das Wissen ist an verschiedenen Orten angekommen, aber noch nicht in allen Publikationen des Bundesamtes für Umwelt. Und auch die Medien haben bis jetzt nicht deutlich darauf hingewiesen.

Man hört von überzeugten Vielfliegern allenthalben, die rege Nutzung von Computer, Handy und Internet sei ebenso schädlich fürs Klima wie das Fliegen. Stimmt das?

Laut einer aktuellen Studie der ZHAW verursacht der durchschnittliche, individuelle Medienkonsum von Jugendlichen – inklusive Herstellung und Betrieb der Geräte sowie des Betriebs externer Rechenzentren – pro Jahr einen Ausstoss von etwa 50 kg CO2-eq. Zum Vergleich: Im Jahr 2015 waren die Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich etwa zwölf Stunden im Flugzeug unterwegs, was einem Ausstoss von zwei Tonnen CO2-eq entspricht. Die sehr grobe Rechnung lautet also: Unsere durchschnittlichen Flugreisen sind um den Faktor vierzig klimaschädlicher als Kleingeräte inklusive Handy. Eine ältere Rechnung schrieb dem Internet eine sehr hohe Belastung zu, aber sie ist überholt; einerseits weil Google, Apple und andere Grosse vermehrt auf erneuerbare Energien setzen und andererseits weil die Geräte effizienter wurden.

 

Der Footprint-Rechner bewertet auch, wie Kleider gewaschen werden. Fällt es sehr ins Gewicht, ob ich mit 40 oder mit 60 Grad wasche?

Auf die Wäschenutzung bezogen: ja. Im Vergleich zu anderen Fragen im Rechner: nein. Viel wichtiger sind Produkte und Aktivitäten, für die Erdöl, Gas oder Kohle verbrannt werden. Elektrisch betriebene Geräte werden laufend effizienter und können dank dem Zuwachs an neuen erneuerbaren Energiequellen, zum Beispiel aus Solar- und Windkraftanlagen, von Jahr zu Jahr noch umweltschonender betrieben werden.

 

Aber weniger waschen hätte schon einen Effekt?

Natürlich. Allgemein gilt: Je weniger Energie- und Ressourcenkonsum desto besser. Nur müssen wir Bilanzierer da aufpassen, dass wir nicht das Öko-Hippie-Stinker-Image heraufbeschwören, was kontraproduktiv wäre. Auch Kalt-Waschen hätte durchaus einen Spareffekt, und mit kaltem Wasser kriegt man die meisten Kleider sauber – aber das glaubt einem niemand, solange auf den Etiketten 30, 40 oder 60 Grad draufsteht.

 

Der WWF-Footprint-Rechner fragt, wie viele meiner persönlichen Ersparnisse, Investitionen und 3a-Vorsorgegelder ökologisch angelegt sind.

Da schummeln wir zugegebenermassen ein wenig. Denn wenn ich mein Erspartes bei der ABS anlege und nicht bei einer der Grossbanken, wirkt mein Geld zwar nachhaltiger, aber berechnet werden nicht meine Emissionen, sondern die der Bank. Footprint-buchhalterisch ist das also am falschen Ort. Denn ich kann zwar mit meinem Geld ein wenig beeinflussen, was finanziert wird, aber ich finanziere nicht selber. Ich kann mir ja auch nicht anrechnen lassen, wenn ich Leute davon überzeuge, auf vegane Ernährung umzustellen. Wir geben auf dem Footprint-Rechner im Infotext einen Hinweis, dass die Frage streng genommen nicht in die Bilanz gehört. Aber wir wollten sie aus Sensibilisierungsgründen trotzdem reinnehmen.

 

Was ist mit der Methode des Footprint-Rechners nicht messbar? Wo sind die Grenzen seiner Aussagekraft?

Im Rechner wird der eigene Konsum betrachtet. Was er nicht bewertet, ist die Wirkung meines politischen Engagements, weil dort das Ergebnis davon abhängt, ob genügend andere sich für dieselbe Sache einsetzen. Auch das Konsumverhalten meiner Familie oder meines sozialen Umfeldes ist nicht einbezogen, obwohl ich darauf sehr wohl einen direkten Einfluss ausüben kann – jede Stimme und jede Diskussion zählt. Der Rechner könnte grundsätzlich noch viel mehr ins Detail gehen. Es ist lediglich eine Frage der Nutzerfreundlichkeit. Dreissig Fragen sind schon viel und drei Aussagen zur Auswirkung ebenso (kg CO2-eq, Planeten, Abfallsäcke).

 

Was liesse sich in einer erweiterten Version des Rechners zusätzlich zeigen?

Einschätzungen zur globalen Auswirkung des Konsums: häufigere Unwetter, Meeresspiegelanstieg, Korallen- und somit Fischsterben, Ernteausfälle und mehr.

 

Und wie exakt kann der Rechner überhaupt sein?

Das hängt auch vom Nutzer ab – ob er seinen Verbrauch kennt und versteht, wie die Fragen genau gemeint sind. Und ob er nur sein Verhalten der letzten Wochen anschaut oder seines ganzen bisherigen Lebens und einen Durchschnitt davon angibt.

 

Sie helfen den Leuten, zu verstehen, was ihr persönlicher Lebensstil für den Planeten bedeutet. Wirkt das?

Es sensibilisiert zumindest. Für selbst motivierte Verhaltensänderungen braucht es jedoch konkretes Handlungswissen und oft eine längere Auseinandersetzung mit dem Thema. Einfacher ginge es, wenn wir zu unserem Glück geschupst würden – wenn die umweltfreundliche Alternative auch die günstigere, sozial angesehenere und bequemere wäre. So wäre es auch einfacher, besonders schädliche Produkte zu verbieten. Um ein solches Umfeld zu schaffen, braucht es gerade heute, wo es diese gesetzlichen Bestimmungen noch nicht gibt, auch die Individuen, die sagen, dass ihnen Nachhaltigkeit wichtig ist, damit sich die Wirtschaft überhaupt ändert.

Weil wir und unsere Vorfahren in der Schweiz deutlich mehr Ressourcen verbraucht haben als Milliarden von Menschen in Entwicklungsländern, wären wir zudem moralisch verpflichtet, unseren Ressourcenkonsum in der Zukunft noch stärker zu reduzieren beziehungsweise für die Schadensbegrenzung in den Entwicklungsländern aufzukommen.

 

Sind Sie optimistischer, seit die Jugend fürs Klima auf die Strasse geht?

Ich bin emotional sehr berührt davon. Und auch optimistischer, ja. Trotz der vielen Gegenpole wie Fake News.

 

Können Sie zwischendurch an etwas anderes als den Klimawandel denken?

Fast nicht, und das ist ein grosser Quatsch (lacht). Meine Arbeit beeinflusst auch meine Freundschaften.

* Das CO2-Äquivalent (kurz CO2-eq) ist eine Messgrösse, die berücksichtigt, wie stark sich verschiedene Treibhausgase auf das Klima auswirken.Über 100 Jahre gesehen belastet z.B. der direkte Ausstoss von 1 kg Methan (Hauptbestandteil von Erdgas) das Klima gleich stark wie 30 kg CO2 und entspricht somit 30 kg CO2-eq.

Der Umweltingenieur Christoph Meili ist beim WWF verantwortlich für den Footprint-Rechner, den er mitentwickelt hat. Zudem arbeitet er für das Consulting-Unternehmen ESU-services, das für Wirtschaft, NGOs und Behörden Ökobilanzen erstellt und weitere Dienstleistungen in dem Bereich anbietet.

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