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02.12.2022 von Esther Banz

Glück und Aktivismus

Rund um den Globus engagieren sich Menschen gegen die drohende Klimakatastrophe und für eine bessere, gerechtere Welt. Sie tun dies oft unter grossem persönlichem Einsatz und gegen zahlreiche Widerstände. Was bedeutet dieses Engagement für sie persönlich? Macht es sie glücklich? Oder, im Gegenteil, unglücklich? moneta hat bei sechs Aktivistinnen und Aktivisten aus der Schweiz und Grossbritannien nachgefragt.

Artikel in Thema Glück
Asti Roesle, Klima- und Umweltaktivistin. Promovierte in Forstwissenschaft und Jus. Nach 14 Jahren als Campaignerin bei Greenpeace ist sie jetzt bei der Klima-Allianz Senior Project Manager mit Fokus Nationalbank. Lebt mit ihrer Familie in Zürich.

«Ich kann nicht sagen, dass mich mein Engagement glücklich macht – einfach, weil man sich dabei meistens mit Missständen auseinandersetzt. Aber umgekehrt wäre ich unglücklich ohne Engagement. Die Vorstellung, all die negativen Informationen und Entwicklungen einfach dulden zu müssen, ohne selber etwas dagegen zu tun: Das wäre für mich unerträglich. Das bräuchte eine Taktik von Ignoranz, Verdrängen und mich nur auf das konzentrieren, was mir gerade guttut. Das ist keine Option für mich, jedenfalls keine freiwillige. Aktivistisch und engagiert zu sein, ist ja das Gegenteil von Ohnmacht. Das gibt mir Lebenskraft, macht die Umstände aushaltbar.

«Aktivistisch zu sein, ist ja das Gegenteil von Ohnmacht. Das gibt mir Lebenskraft, macht die Umstände aushaltbar.»


Auf der systemischen Ebene gibt es bei den Zielen kaum je den grossen Durchbruch bei den Zielen – wir können alleine mit Aktivismus die Klimaerhitzung und den Biodiversitätsverlust nicht aufhalten. Aber es gibt durchaus Erfolgs- oder Glücksmomente, auch Glücksgefühle. Zu merken, dass man nicht alleine ist, sondern Gleichgesinnte hat, die sich ebenfalls voll einsetzen und daran glauben, dass das, was man tut, etwas bringt. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Von Leuten, die alleine Aktivismus betreiben, weiss ich: Auf diese Weise ist es viel schwieriger, Glück daraus zu schöpfen. 
Ob ich mich an konkrete Glücksmomente erinnere? Ja sicher! Etwa damals vor den olympischen Spielen in Sotschi, Russland. Sie klotzten da im grossen Stil Infrastruktur hin; wir setzten uns dafür ein, dass ein für die Biodiversität wichtiges Gebiet verschont bleibt, unsere Aktionen zielten dabei auch auf das Internationale Olympische Komitee. Ich war ehrlich gesagt nicht sehr zuversichtlich, dass es etwas bringt. Aber dann kam plötzlich die Meldung, dass sie das Gebiet in Ruhe lassen. Glück empfinde ich aber auch, wenn ich nur schon einem einzigen Menschen etwas Hoffnung geben kann.»


Julia Steinberger ist Professorin für ökologische Ökonomie an der Universität Lausanne und Spezialistin für gesellschaftliche Herausforderungen im Zusammenhang mit den Auswirkungen des Klimawandels. Sie ist Co-Hauptautorin des sechsten Sachstandsberichts des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) für die dritte Arbeitsgruppe (Bewältigung des Klimawandels).

«Ich habe an einer Autobahnblockade in der Nähe von Bern teilgenommen, die von der Bewe-gung für zivilen Ungehorsam Renovate Switzerland organisiert wurde. Ich weiss nicht, ob mich mein Aktivismus glücklich macht, aber auf jeden Fall hilft er mir dabei, geistig gesund zu bleiben (zumindest mehr oder weniger). Es ist für mich essentiell, dass ich gemeinsam mit anderen Men-schen – gewöhnlichen oder aussergewöhnlichen – etwas tun kann und dass alle alles tun, was sie können, um sich gegenseitig zu schützen. 

«Es ist schlicht der einzige Weg, den ich kenne, um menschlich zu bleiben.»


Die Frage nach dem Engagement speziell von Forscherinnen und Wissenschaftlern in militanten Bewegungen hat für viele Diskussionen gesorgt. Die negativen Reaktionen, die auf die Aktion folgten, bestärken mich aber erst recht in meinem Engagement: Ein paar Minuten Autobahnstau wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt als unserem Leben!  Für mich ist der Aktivismus eine gute Möglichkeit, der Gesellschaft aufzuzeigen, wo sie ihre Prioritäten setzt. Und für mich selbst ist es die einzige Chance, mit meiner Umwelt, mit diesem Planeten und der Biosphäre im Einklang zu bleiben und mich nicht als Verräterin gegenüber meinen Mitmenschen zu fühlen. Es ist schlicht der einzige Weg, den ich kenne, um menschlich zu bleiben, mit beiden Beinen auf dem Boden. Und um nicht verrückt zu werden, angesichts dessen, dass alle ‹normalen› Handlungsweisen völlig unzureichend sind, um die sich auftürmenden Krisen unserer Zeit zu bewältigen.
Die Energie, die frei wird, wenn sich ein Kollektiv an die Arbeit macht, trägt mich enorm. Ich bin überzeugt, dass wir nur auf diese Weise unsere verzweifelte Situation verändern können und mit unseren Träumen und Taten eine Welt gestalten, die voller Leben, gerecht und frei von Katastrophen ist.»


Nino Preuss, 18 Jahr alt, war bis vor kurzem Gymnasiast in Zürich und im Klimastreik aktiv. Aktuell baut er mit Gleichgesinnten ein Onlinemagazin mit unabhängigem Journalismus von Jungen für Junge auf: Voraussichtlich im Januar 2023 geht www.indieZ.ch live. 

«Mein Engagement gibt mir die Möglichkeit, selbstbestimmt für das zu kämpfen, was mir wichtig ist. Die Möglichkeit, nicht nur News zu konsumieren und von der Welt hergetrieben zu werden. Sondern die News selber zu machen, gegen die tägliche Flut an Bullshit anzukämpfen. Wahrscheinlich nicht zu gewinnen, aber vielleicht zu verändern.

Es gibt im Engagement Momente, die Hoffnung machen. Oder, eher, Menschen, die Hoffnung machen. Momente mit Menschen. Wenn du spätnachts, vor einem wichtigen Ereignis, in Gesichter blickst. Gesichter von Menschen, die dir genug vertrauen, um mit dir verrückte Dinge zu tun. Die in diesem Moment genauso durchgedreht sind wie du. Denn richtiges Engagement ist durchgedreht, ist verrückt. Eine richtige Aktion ist auch Jahre nach der Aktion noch so surreal wie am Abend davor. Über richtige Projekte redet man auch viel später noch mit einem leicht ungläubigen Lächeln auf den Lippen. Über die wahnsinnigen Ideen, die Mitstreitenden, die guten Ratschläge, die so wichtig waren. Und die Ratschläge, die ignoriert wurden – was genauso wichtig war.

«Wenn du spätnachts vor einem wichtigen Ereignis in Gesichter blickst.»


Wenn Engagement aber weder Freude noch Hoffnung hervorruft, weder Wut noch Verzweiflung, dann ist es Zeit, etwas am Engagement zu verändern. Aktivismus kann alles sein, nur nicht alltäglich.
Engagement kann traurig, wütend, verzweifelt, machen. Macht es mich glücklich? So einfach ist es nicht. Manchmal beneide ich das simplere Leben ohne den permanenten Gedanken ans grosse Ganze. Respektiere es, «Fuck off, not my Problem» zu den Hinterlassenschaften anderer Generationen zu sagen. Wäre ich glücklicher, wenn ich all das nicht täte? Ich wäre ein anderer Mensch. Vielleicht unbeschwerter, vielleicht fröhlicher. Und doch unzufriedener, leerer. Irgendwo tief drin. Hoffe ich zumindest.»


Simona Isler ist Historikerin mit Schwerpunkt Frauengeschichte und Mutter einer Tochter und eines Sohns. Sie hat Gosteli-Stiftung inne, die sich um das Archiv der schweizerischen Frauenbewegung kümmert. Zudem ist sie Teil der Eidgenössischen Kommission dini Mueter (EKdM), die sich für gute Bedingungen rund um Kinderbetreuung einsetzt und neben klassischem Aktivismus zum Beispiel auch Rätinnen und Räten in Sachen feministische Mütterpolitik berät.

«Aktivismus, das ist für mich verbunden mit einem breiten Gefühlsspektrum: glücklich, aber auch ermüdend, frustrierend, überfordernd. Ich hatte schon diverse Jobs inne, die mit Gleichstel-lung zu tun hatten – den Aktivismus wollte ich daneben aber nie aufgegeben, vor allem das Engagement bei der Eidgenössischen Kommission dini Mueter (EKdM). Ja, auch weil er glücklich macht, der soziale Aspekt ist dabei zentral: Die Freundschaften, die bei der aktivistischen Arbeit entstehen, die Lust am Ausprobieren, die simple Freude beim Transparente malen, dieser kollektive Aspekt des Aktivismus hat eine grosse Glückskomponente.

«Der soziale Aspekt ist zentral: die Freundschaften, die bei der aktivistischen Arbeit entstehen, die Lust am Ausprobieren.»


Was wohl auch mit zum Glück gehört: die Freiheit des aktivistischen Engagements, gerade weil es nicht-professionell ist. Aktivismus mache ich nicht im Auftrag von irgendjemandem, sondern weil und wie ich es will. Das bedingt in meinem Fall, dass er nebenberuflich und nebenfamiliär passiert – so viel zum Thema Ermüdung. Insofern gibt es viele gute Gründe, auf eine Professionalisierung aktivistischer Tätigkeiten/Anliegen hinzuarbeiten, aber es ist klar, dass sich die politische Arbeit verändert, wenn sie institutionalisiert wird. Ich empfinde es trotz Doppelbelastung als Luxus, beides zu haben: die Freiheit des Aktivismus und die Sicherheit eines Jobs. Wenn wir bei der EKdM auf einmal eine Menge Geld angeboten bekämen, um unser Anliegen zu unterstützen, dann würden wir gut überlegen, was wir damit tun, und vielleicht würden wir auch Nein sagen.»


Rop Hopkins ist ein britischer Umweltaktivist und Begründer der Transition-Town-Bewegung, die seit 2006 mit Nachhaltigkeitsinitiativen in vielen Städten und Gemeinden der Welt den Übergang in eine postfossile und relokalisierte Wirtschaft gestaltet. Hopkins ist Lehrer für Permakultur, Dozent und Autor zahlreicher Bücher, darunter «Stell dir vor ... Mit Mut und Fantasie die Welt verändern» (2021).

«Es ist eine interessante Frage, ob und wie mich mein Aktivismus glücklich macht. Ich denke, ich habe bis jetzt nicht viel darüber nachgedacht, es ist einfach etwas, das ich tue. Es gibt sicherlich viele glückliche Momente, etwa wenn ich Menschen mit tollen, inspirierenden Projekten treffe oder wenn ich Workshops organisiere und das Gefühl habe, dass mein Beitrag bei den Teilnehmenden wirklich ankommt und meine Ideen mit Begeisterung aufgenommen werden. Manchmal halte ich Vorträge in grossen Sälen vor viel Publikum, und danach stehen alle noch stundenlang draussen herum und diskutieren über die präsentierten Ideen, zu aufgeregt, um nach Hause zu gehen. Einmal kam ich mit dem Boot in einer italienischen Stadt an und wurde von der Stadtkapelle empfangen, die mich dann ins Stadtzentrum führte. Manchmal treffe ich Bürgermeisterinnen oder Bürgermeister, die sagen, sie hätten eins meiner Bücher gelesen und es habe ihre Herangehensweise an ihre Aufgabe verändert. Manchmal treffe ich «Transition»-Gruppen, die begeistert sind, dass ich sie besuche, und wir feiern eine tolle Party, trinken lokales Bier und machen gemeinsam Musik. Es gibt Momente, in denen ein Projekt, an dem ich beteiligt bin, einen grossen Schritt vorwärts macht, und alle spüren ein gemeinsames Gefühl der Freude und des Erfolgs. Es gibt viele solcher Momente, und sie machen mich sehr glücklich.

Mein Aktivismus hat natürlich auch andere Seiten, die viel schwieriger sind und nicht von grossen Glücksgefühlen begleitet werden. Wenn Züge Verspätung haben, wenn ich erschöpft bin, wenn mir alles zu viel wird. Oder wenn ich an Projekten in meiner Stadt beteiligt bin, die ich liebe, die aber viele Sitzungen, viel Entschlossenheit und viele nicht so aufregende E-Mails erfordern, auch viel Geduld, Ausdauer und Hartnäckigkeit. Manchmal muss man für ein Projekt auch viel Kritik einstecken, Angriffe von Leuten, die nicht verstehen, was es bezweckt, oder die ein persönliches Interesse an seinem Scheitern haben. Und natürlich haben die sozialen Medien dies viel einfacher und giftiger gemacht. Was mir in solchen Zeiten hilft, ist die Unterstützung der Menschen um mich herum, die Solidarität und die gute Arbeitskultur, die wir gemeinsam geschaffen haben, unsere Bereitschaft, zu fragen: «Geht es dir gut?», und jene Unterstützung zu suchen, die wir brauchen. Und ein fester Glaube an die Richtigkeit dessen, was wir tun.

Aber wäre ich glücklicher, wenn ich mich nicht so engagieren würde, wie ich es tue? Wenn ich in einer Welt leben würde, in der ich nicht wüsste, was vor sich geht, quasi in glückseliger Ignoranz? Das glaube ich nicht. Aldo Leopold, einer der ersten Menschen, die wir als Ökologen bezeichnen können, schrieb 1949, dass «eine der Strafen für eine ökologische Ausbildung darin besteht, dass man in einer Welt voller Wunden lebt ... Ein Ökologe muss entweder seine Schale abhärten und glauben, dass die Folgen der Wissenschaft ihn nichts angehen, oder er muss der Arzt sein, der die Spuren des Todes in einer Gemeinschaft sieht, die sich selbst für gesund hält und das Gegenteil nicht hören will». Ich habe nicht die Absicht, meine Schale auf diese Weise zu «härten». Wenn man einmal wirklich gesehen und verinnerlicht hat, was Martin Luther King «die unerbittliche Dringlichkeit des Jetzt» nannte, den Klima- und Umweltnotstand, die wachsende Kluft der sozialen Ungleichheit, den Rückschlag des Patriarchats, der weissen Vorherrschaft und des Kolonialismus, dann glaube ich nicht, dass man das einfach abschalten kann. Einmal gesehen, kann man es nicht mehr vergessen. Es ist so, als ob Sie, während Sie in Ihrem Haus schlafen und Ihre Kinder im Nebenzimmer sind, aufwachen und Rauch riechen. Sie könnten sich nicht einfach umdrehen und wieder einschlafen. Es würde mich mehr Energie kosten, mich abzulenken und meine Stunden mit sinnlosen Aufgaben und Aktivitäten zu füllen, als das zu tun, was ich tun kann, um zu hel-fen. Das wäre irgendwie psychologisch anstrengender. Natürlich handeln alle auf ihre Weise. Ich mache «Transition», meine Frau wird mit Extinction Rebellion verhaftet, manche Leute gehen für Just Stop Oil ins Gefängnis, manche pflanzen Bäume. Alle finden ihren eigenen Weg.

«Es fühlt sich an, wie wenn meine Vision einer kohlenstoffarmen, gerechten und freundlichen Welt ein bisschen näher gerückt wäre.»


Meine Herangehensweise ist wesentlich geprägt von den drei Jahren, die ich mit Anfang 20 in einem unglaublichen tibetisch-buddhistischen Kloster in Italien verbrachte. Ich war sehr beein-druckt vom buddhistischen Konzept des Bodhisattva. Das Wort bezeichnet Menschen, deren Mitgefühl so gross ist, dass sie – anstatt selbst erleuchtet zu werden – aus ihrer mitfühlenden Motiva-tion heraus so vielen anderen Menschen wie möglich helfen, Erleuchtung zu erlangen. Die Lehren, die sich damit befassen, sind wunderschön. Sie sprechen davon, ein Leben im Dienst an anderen zu führen, für das Glück anderer zu arbeiten und nicht für sich selbst. Und doch ist die Ironie, dass die grossen Meditierenden und Lehrer, denen ich begegnete und die dieses Prinzip am meisten verkörperten, die glücklichsten Menschen waren, die ich je getroffen habe. Aus dieser Zeit meines Lebens und aus dieser Philosophie heraus sehe ich meine Arbeit als Ausdruck dieses Geistes. Wenn man Aktivismus betreibt, um sein eigenes Glück zu finden, wird es einen nicht glücklich machen. Wenn man diese Arbeit mit der Motivation macht, andere Menschen glücklich zu machen, wird sie einem viel mehr geben. Es wird einem nicht immer glücklich machen, aber wenn es das tut, ist es wunderschön.

Wenn ich dieses Glück erlebe, fühlt es sich an, als wäre ich im Fluss mit der Welt, die sich in die richtige Richtung bewegt. Ich habe das Gefühl, dass ich im Dienst des Lebens, des Glücks, der Schönheit, der Freude und der Verbundenheit stehe. Es fühlt sich an, wie wenn meine Vision, wie aussergewöhnlich eine kohlenstoffarme, gerechte und freundliche Welt sein könnte, irgendwie ein bisschen näher gerückt wäre und wir sie klarer sehen können. Als wäre der Schleier zwischen unserer jetzigen und jener Welt ein wenig dünner geworden. Als würden die Hände meiner noch nicht geborenen Enkelkinder in meine gleiten und sie dankbar drücken. Es fühlt sich an, als könnte ich mir selbst im Spiegel ins Gesicht schauen und sagen, dass ich alles gegeben habe, was ich konnte. Es fühlt sich richtig an.»


Marcel Hänggi ist Wissenschaftsjournalist und Buchautor. 2019 lancierte er mit dem Verein Klimaschutz Schweiz die Gletscher-Initiative, die den Ausstieg aus Erdgas, Erdöl und Kohle bis spätestens 2050 verlangt. Das Parlament verabschiedete in der Herbstsession 2022 einen indirekten Gegenvorschlag. Das vorgeschlagene Gesetz ermöglicht einen wirksamen und raschen Klimaschutz in der Schweiz, weshalb das Initiativkomitee die Gletscher-Initiative bedingt zurückzog. Da die SVP ein Referendum ankündigte, wird die Schweizer Stimmbevölkerung voraussichtlich 2023 über das Gesetz abstimmen.

«Es ist erfüllend, einen sinnhaften Beruf auszuüben. Meine Arbeit für die Gletscher-Initiative ist spannend und ich mache sie gerne – aber Glück ist mir dafür ein zu grosses Wort. Es gibt natürlich Glücksmomente, etwa als wir im Ständerat waren und er den indirekten Gegenvorschlag verabschiedete, das war ein schöner Erfolg und ein glücklicher Moment. Vor allem kurz danach, als uns Leute gratulierten, die schon sehr lange in der Politik tätig sind: Da realisierte ich eigentlich erst, wie gross der Erfolg in den Massstäben des hiesigen Politbetriebs war. Schön und neu ist für mich auch unsere Teamarbeit. Wir haben bei der Gletscher-Initiative ein gutes, schlagkräftiges Team. Manchmal gibt es Dinge, die wir besprechen und die uns zunächst unmöglich erscheinen, und dann entscheiden wir trotzdem, sie umzusetzen – und es geht! Zum Beispiel: Am Mor-gen, bevor die SVP viel zu früh das Referendum gegen den indirekten Gegenvorschlag ankündigte, hörten wir die ersten Gerüchte, dass sie es tun würden. Da rannten wir als Team und konnten noch am selben Tag gut darauf reagieren. Das sind schon tolle Momente. 

Auf der anderen Seite bin ich durch meine Arbeit natürlich ständig damit konfrontiert, wie verzweifelt die Lage ist. Mein Engagement wurzelt ja darin, dass ich gegen eine Situation ankämpfe, die zunächst einmal gar keine Glücksgefühle auslöst. Ich finde die aktuelle Situation extrem schwierig, vor allem für Jugendliche. Wenn ich mich an die Zeit erinnere, als ich so alt war wie meine Kinder heute: Damals löste sich die Sowjetunion auf, der Kalte Krieg ging zu Ende – und plötzlich schien ganz vieles möglich. Gleichzeitig hatte man die Matura und das Gefühl, die Welt warte nur auf einen – das war ein euphorisches Lebensgefühl. Und wenn ich denke, wie Jugendli-che heute aufwachsen, mit der Klimakrise, mit dem Krieg und allem anderen. Das finde ich happig und schwierig für mich, damit umzugehen, auch gegenüber den eigenen Kindern. Ich will ihnen nichts vormachen und gleichzeitig möchte ich ihnen ja nicht die Lebenshoffnung nehmen.

«Wir müssen die Welt umgestalten, und wenn uns das gelingt, dann können wir eine bessere Welt machen.»


Bei meiner Arbeit für die Gletscher-Initiative machen mir manche politischen Gegnerinnen und Gegner Mühe. Die einen kann man respektieren, aber wenn die SVP einfach drauflos lügt, kann man nicht sagen: Das ist eine andere Sichtweise. Sondern das ist schlicht und einfach gelogen. Mit solchen Leuten streite ich mich nicht gern. Auch zu merken, wie wahnsinnig träge die ganze Politmaschinerie ist, finde ich manchmal schwierig. Allerdings entstand der Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative innerhalb eines Jahres, das ist sehr schnell, und ich konnte hinter den Kulissen auch einiges bewirken. Als ich diese Initiative lancierte, dachte ich, die Rolle des Initianten ist: Du lancierst eine Initiative, reichst sie ein, und dann wird abgestimmt. Aber effektiv ist es – vor allem, wenn es um einen Gegenvorschlag geht – sehr stark auch Verhandlungssache. Darin hat es natürlich ein spielerisches Element. Man muss pokern: Wenn du zu hoch pokerst, gewinnst du nichts. Wenn du zu tief pokerst, bekommst du zwar, was du verlangt hast, aber dann hättest du mehr erreichen können. Und man hat immer mit ganz vielen Unbekannten zu tun. Ich kann mir gut vorstellen, dass man das faszinierend findet, wenn man gerne spielt. Aber unser Projekt ist eines, das nicht scheitern darf, und das ist oft belastend. Auch die Verantwortung und der Druck: Manchmal, wenn Entscheide anstehen, die sehr weitreichend sind, merke ich, wie gross die Verantwortung ist, und es gibt Player, die massiv Druck ausüben, dass wir im einen oder anderen Sinn entscheiden.

Bevor ich die Gletscher-Initiative lancierte, arbeitete ich als Journalist und Buchautor. Im Vergleich dazu schätze ich, dass ich jetzt direkt etwas bewirken kann. Bei der Arbeit an diesem Ge-setz war das sehr handfest: Ich hatte die Rolle eines Vermittlers zwischen Wissenschaft und Politik, und es ging ganz konkret darum, wie wir wissenschaftliche Erkenntnisse in die Politik einbringen können. Das ist etwas ganz anderes, als nur darüber zu schreiben! Auf der anderen Seite war ich als Journalist freier und unabhängiger als heute. Ich konnte schreiben, was ich wollte und was ich für richtig hielt. Ich konnte kritisch sein – ohne Rücksicht darauf, ob meine Position mehrheitsfähig ist. Und in der Politik muss man immer versuchen, Positionen zu vertreten, mit denen man Mehrheiten gewinnen kann. Das ist okay, denn Journalismus und Politik haben andere Aufgaben und funktionieren nach anderen Regeln. Aber manchmal merke ich, dass darunter die Unabhängigkeit meines Denkens leidet: Ich ziehe schon gar nicht mehr in Betracht, was nicht mehrheitsfähig scheint. Die Gletscher-Initiative und der Gegenvorschlag verlangen ja eigentlich beide zu wenig, gemessen am Ausmass der Bedrohung – es ist zu wenig, zu spät –, und als Journalist würde ich das kritisieren. Aber es ist das Beste, das wir erreichen können, und es hat ein Potenzial, das mehr daraus wird. Deshalb ist es gut. 

Am meisten glücklich macht es mich, mit jungen Leuten zusammenzuarbeiten, zum Beispiel, wenn ich im Klimaraum der Zürcher Klimastreik-Bewegung bin. Ich bin selten dort, ich bin ja nicht Teil der Klimastreik-Bewegung, aber ich fühle mich dort immer wohl, obwohl ich doppelt oder dreimal so alt bin wie die meisten. Nie hatte ich das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Wie die jungen Klimaaktivistinnen und -aktivisten miteinander umgehen, ist grossartig. Man könnte es, wenn man dieses Modewort brauchen will, achtsam nennen oder auch liebevoll. Auch die Intensität der Klimastreik-Bewegung ist ein Glücksfaktor – und ein anderer natürlich: Wenn es uns gelingt, die Klima-Katastrophe abzuwenden, dann ist das eine riesige Chance. Wir müssen die Welt umgestalten, und wenn uns das gelingt, dann können wir eine bessere Welt machen.»
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