1625
18.03.2020 von Mirella Wepf

Für einen guten Zweck

Erbschaften werden für gemeinnützige ­Organisationen zu einer immer wichtigeren Einnahmequelle. Das neue Erbrecht, das demnächst im Nationalrat zur Debatte steht, könnte diesen Trend unterstützen.

Artikel in Thema Erben
Illustration: Claudine Etter
«Hilfswerke und Stiftungen erben eine Milliarde», titelte die «NZZ», als eine Nationalfondsstudie über Erbschaften von Non-Profit-Organisationen (NPO) schweizweit für Aufsehen sorgte. Das war vor 15 Jahren. Wie hoch mag diese Summe wohl heute sein? Präzise beantworten lässt sich diese Frage nicht, denn die damalige Erhebung lässt sich nicht wiederholen. «Wir stützten uns auf die Erbschaftssteuerdaten», erklärt Heidi Stutz, Co-Autorin der Studie. Seither wurden Erbschaftssteuern für direkte Nachkommen in den meisten Kantonen abgeschafft. 
Ein paar aufschlussreiche Zahlen gibt es trotzdem: Laut einer 2019 veröffentlichten Untersuchung der Universität Lausanne hat sich die Summe der vererbten und geschenkten Vermögen in den letzten 15 Jahren auf insgesamt 95 Milliarden Franken pro Jahr verdoppelt. Das lässt vermuten, dass auch die gemeinnützigen Organisationen mehr erben. Ein Blick in den Schweizer «Spendenreport» 2019 bestätigt diese Einschätzung: Die Summe der Legate ist angestiegen – allerdings um weniger als den Faktor zwei.

Non-Profit-Organisationen erben immer mehr

Der «Spendenreport» wird vom Berufsverband Swissfundraising und der Stiftung Zewo herausgegeben. Letztere vergibt ein Gütesiegel an Spenden sammelnde Organisationen. Derzeit tragen rund 500 NPO das Zewo-Siegel. Schweizweit gibt es aber über 7000 gemeinnützige Stiftungen, deshalb lassen sich die Zahlen des Reports nicht direkt mit der Nationalfondsstudie vergleichen. 2018  haben die Zewo-zertifizierten Organisationen Spenden im Wert von insgesamt 1,1 Milliarden Franken eingenommen (die Zahlen zu 2019 werden erst im 3. Quartal 2020 publiziert). 151 Millionen Franken, also rund 14 Prozent, waren Legate von Privatpersonen (testamentarisch verfügte Vermächtnisse).
«Legate gewinnen für Non-Profit-Organisationen zunehmend an Bedeutung», sagt Martina Ziegerer, Geschäftsleiterin der Zewo. Seit 2015 wiesen die Erbschaften jeweils Rekordergebnisse auf. Die Spenden von Privatpersonen stagnierten dagegen bei jährlich leicht über einer halben Milliarde Franken. Der «Spendenreport» führt dies unter anderem darauf zurück, dass die Teuerung nur teilweise durch Lohnanpassungen kompensiert worden ist. Das für Spenden entscheidende, frei verfügbare Haushaltseinkommen ist also kaum gewachsen.

Neues Erbrecht: eine Chance

Da immer mehr Vermögenswerte vererbt werden, dürfte die Bedeutung von Erbschaften für Non-Profit-Organisationen weiterhin ansteigen. Mit der Revision des Erbrechts, die Bundesrat und Parlament im Moment erarbeiten, könnte sich der Trend zusätzlich verstärken: Heute fliesst ein Grossteil der Hinterlassenschaft zwingend an die Familie. Mit der Revision werden voraussichtlich die Pflichtteile für Kinder und Eltern stark reduziert. Damit würde die sogenannte freie Quote – ­jener Teil des Vermögens, den Erblasserinnen und Erblasser frei irgendwelchen Personen oder Organisationen zusprechen können – grösser werden.
Ob die Hilfswerke tatsächlich von dieser Neuerung profitieren werden, hängt davon ab, wie viele Erblas­serinnen und Erblasser ein Testament verfassen und darin eine gemeinnützige Organisation berücksichtigen. Liegt kein Testament vor, fällt auch die freie Quote an die Verwandten. Wenn keine Erben vorhanden sind, geht das Geld an den Staat.

Nur ein Viertel macht ein Testament

Drei Viertel der Schweizer Bevölkerung hält ein Testament für etwas Wichtiges. Doch nur jede vierte Person hat tatsächlich eines verfasst. Dies zeigt eine Umfrage, die Demoscope 2018 im Auftrag des Vereins Myhappyend durchführte. Auf die Frage, warum sie ein Testament verfassen wollen, antworteten 58 Prozent: zur Absicherung ihrer Familienangehörigen. Lediglich drei Prozent gaben an, dass sie mit dem Nachlass «Gutes tun» möchten, indem sie auch gemeinnützige Organisationen berücksichtigen. Dass das Schweizer Erbrecht diese Möglichkeit explizit vorsieht, wissen aber 70 Prozent der Befragten.

Wer «tut Gutes»? Und warum?

Muriel Bonnardin arbeitet seit bald 30 Jahren für Greenpeace und gehört zu den erfahrensten Fundraiserinnen der Schweiz. «Einnahmen aus Erbschaften sind für Hilfswerke extrem unberechenbar», sagt sie. «In der Regel erfährt Greenpeace erst nach einer Testamentseröffnung von einem Legat.» Auch die grösste Erbschaft, welche die Umweltorganisation jemals erhalten hat, war eine solche Überraschung: Im Jahr 2008 hinterliess eine sehr vermögende Frau Greenpeace eine siebenstellige Summe, obwohl sie die Umweltorganisation zuvor nie unterstützt hatte. Laut ihrem Nachlassverwalter wählte sie bewusst eine Organisation, die sich weltweit gegen Atomversuche einsetzt.
Die Geschichte dieser Grande Dame ist nur eine von vielen, die Muriel Bonnardin emotional berührten. 2008 schrieb sie deshalb das Buch «Geld & Herzblut» mit ­Porträts von 16 Personen, die in ihrem Testament Non-Profit-Organisationen begünstigen. Die porträtierten Menschen sind so vielfältig wie die Gründe für ­ihre Nachlassregelung. Es handelt sich um Junge, Alte, Männer, Frauen mit völlig unterschiedlichen Charakteren und Lebensläufen. Einzig der Gedanke, ihr Geld nach dem Tod für einen guten Zweck einzusetzen, verbindet sie. Bonnardin: «Es gibt Personen, die bis zu 25 Organisationen bedenken, andere setzen nur eine als Alleinerbin ein.» Ihr Buch sei sicher nicht repräsentativ, betont sie, es falle aber auf, dass viele Erblasserinnen und Erblasser, die eine Organisation begünstigen, alleinstehend seien oder keine Kinder hätten.

Hilfswerke bemühen sich um Erbschaften

Vor allem die grösseren und etablierten Non-Profit-Organisationen wie Fastenopfer, WWF oder Amnesty International haben schon vor Jahrzehnten professionelle Teams zur Mittelbeschaffung aufgebaut. Neben Spendenmailings und Benefizanlässen setzen sie auch auf Fachleute, die interessierte Mitglieder oder Einzelspenderinnen und -spender beim Verfassen eines Testaments beraten. «Für komplexere Fälle – etwa bei Patchworkfamilien – ziehen wir zusätzlich einen Anwalt bei», erzählt Bonnardin. Auch Testament-Ratgeber auf dem Internet gehören für viele Organisationen längst zum Standard. Sie bewerben dieses Thema in ihren Mitgliedermagazinen und organisieren Informationsveranstaltungen. 
Und eines ist sicher: Spätestens am nächsten Internationalen Tag des Testaments (13. September) werden die Non-Profit-Organisationen wieder mit grossem ­Effort auf die Möglichkeit hinweisen, dass man mit ­einem Legat nachhaltige Spuren in der Welt hinterlassen kann.

Online-Testament-Ratgeber: myhappyend.org

Vor rund 10 Jahren riefen mehrere namhafte Schweizer Non-Profit-Organisationen den Verein Myhappyend ins Leben. Mit einer gemeinsamen Dachkampagne warben sie regelmässig bei der Bevölkerung dafür, per Testament einen Teil des Vermögens für einen gemeinnützigen Zweck zu spenden. Ende 2019 löste sich der Verein auf; 2020 wird ein Grossteil der ­beteiligten NPO unter dem Namen Allianz für das Gemeinwohl eine neue Organisation mit einem etwas ­breiteren Tätigkeitsfeld lancieren. Die Website myhappyend.org bleibt vorerst aktiv. Sie ­bietet allen Interessierten die Möglichkeit, die per­sönliche ­Nachlasssituation zu über­prüfen. Mit wenigen Klicks wird ersichtlich, welche ­Verwandten wie viel Anspruch auf einen Erbanteil haben. ­Zusätzlich enthält die Homepage einen Ratgeber, der ­aufzeigt, wie ein Testament gestaltet werden muss, in­klusive Testament-Vorlagen zum Download. 

2015 wurde ein vergleichbares Konkurrenzangebot ins Leben gerufen. Mehr dazu auf deinadieu.ch.
Artikel ausdrucken
Verwandte Artikel

Vermächtnis für die Zukunft

Die Meili-Erben investieren schon länger in Projekte, die sie für gesellschaftlich relevant halten. Tobias Rihs wurde erst kürzlich durch ­Erbe zum Multimillionär. Nun macht die Klima­erhitzung sie alle zu Aktivisten.
18.03.2020 von Esther Banz

«Ein Erbe ist ein Auftrag»

Die Kulturwissenschaftlerin Ulrike Langbein analysiert Erbstücke und versteht das ­Erben als kulturelle Praxis: ein Prozess, in dem nicht nur ma­terieller ­Besitz weitergegeben wird – er offenbart elementare Werte ­unserer Gesellschaft.
18.03.2020 von Roland Fischer