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01.12.2022 von Fabio Peter

«Es ist wichtig, dass wir Glück nicht als Egotrip verstehen.»

Nadja Buser arbeitet für Helvetas und ist Kuratorin der Wanderausstellung «Global Happiness». Im Interview mit moneta spricht sie über nachhaltiges Glück und was daran erstrebenswert ist.

Artikel in Thema Glück
Illustration: Claudine Etter

moneta: Frau Buser, was macht Sie glücklich?

Nadja Buser: Mein Beruf ist meine Leidenschaft. Er hat einerseits mit Ausstellungen zu tun, also mit Kreativität, und andererseits mit Entwicklungszusammenarbeit. Zuerst war ich in der humanitären Hilfe tätig. Mit der Zeit merkte ich, dass mir etwas fehlt. Mit 40 Jahren gab ich eine gute Position auf und machte eine Weiterbildung zur Ausstellungsmacherin und Kuratorin. Das hat zu meiner Zufriedenheit beigetragen.

Und abgesehen von der Arbeit?

Der Austausch und die vielfältigen Aktivitäten mit meinem Partner sind wichtig für mich. Und ich liebe es zu malen; das ist gut für die Balance. Auf einer übergeordneten Ebene macht es mich glücklich, in einem Land zu leben, in dem ich nicht von Krieg bedroht bin und in dem die Rahmenbedingungen gut sind.

Das war nicht immer der Fall. Sie haben in verschiedenen Konfliktregionen wie Kolumbien, den Philippinen, dem Südsudan oder Ruanda gelebt und gearbeitet. Ist es für die Einwohnerinnen und Einwohner solcher Länder überhaupt möglich, glücklich zu sein?

In diesen Ländern war ich im Auftrag des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz oder von Médecins sans frontières. Die Menschen leiden dort unter Konflikten. Trotzdem finden viele Personen auf unterschiedlichen Wegen Zugang zu Glück. Sie legen eine Resilienz an den Tag, die mich immer sehr beeindruckt hat.

Was macht Menschen in diesen Ländern glücklich?

Die Glücksforschung zeigt, dass viele Menschen in lateinamerikanischen Ländern glücklicher sind, als ihr wirtschaftlicher Standard es erwarten lässt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben das auf die Qualität ihrer sozialen Beziehungen zurückgeführt. Das konnte ich in Kolumbien selbst erleben. Auf den Philippinen bin ich dem Konzept von Hyia begegnet, was übersetzt Scham bedeutet. Bei diesem Konzept geht es darum, soziale Erwartungen zu erfüllen und niemanden zu verletzen, also mit der Gemeinschaft in Einklang zu leben.

In der Helvetas-Ausstellung «Global Happiness» sprechen wir aber nicht von verschiedenen kulturellen Konzepten, weil das überholt ist. Klar gibt es Unterschiede. Aber die gibt es auch zwischen den Altersgruppen. Meine Grossmutter hatte eine andere Definition von Glück als ich.

Gibt es Dinge, die uns alle glücklich machen?

Die Glücksforschung ist sich einig, dass es universelle Faktoren gibt. Erstens die persönliche Situation: Hat eine Person Geld, Arbeit, Entfaltungsmöglichkeiten und ist sie gesund? Zweitens das soziale Umfeld: Kann sie gute und zufriedenstellende soziale Beziehungen pflegen? Drittens die Institutionen: Herrscht Frieden, gibt es ein Bildungswesen, ein Justizwesen und Möglichkeiten zur politischen Mitbestimmung? Und schliesslich das ökologische Umfeld: Hat eine Person Zugang zu Parks oder zur Natur, einer ruhigen Umgebung und sauberer Luft? Der ökologische Faktor ist noch am wenigsten erforscht.

Die Ausstellung handelt von nachhaltigem Glück. Wie entstand die Idee dazu?

Früher machte Helvetas monothematische Ausstellungen, beispielsweise zu den Themen Ernährung, Wasser oder Baumwolle. In diesen Ausstellungen ging es um die Konsequenzen unseres Verhaltens auf die Länder des globalen Südens. Dieses Mal wollten wir auf Positives setzen und die Ausstellungsbesucherinnen und -besuchern zu einem Wandel inspirieren. So sind wir auf das Thema Glück gestossen. Jede Person kann aus eigener Erfahrung darüber berichten, was sie zufrieden macht. Das ermöglicht eine Diskussion auf Augenhöhe zwischen Besuchern und Wissenschaftlern, aber auch zwischen den Menschen in der Schweiz und im globalen Süden. Das ist nicht bei allen Themen der Fall. Bei einer Ausstellung zur Baumwollproduktion gibt es Expertinnen und Experten, die mehr wissen als die Besucherinnen und Besucher.

Was ist genau mit «nachhaltigem» Glück gemeint?     

Zunächst möchte ich kurz auf das Wort Glück eingehen. Auf Französisch sprechen wir von «bonheur», auf Englisch von «happiness». Diese Begriffe haben im Vergleich zum deutschen Wort Glück eher eine längerfristige Komponente. Eigentlich sprechen wir in der Ausstellung von Wohlbefinden und Lebensqualität. Das Wort Glück fasziniert aber mehr.

Das Konzept des nachhaltigen Glücks stammt von der kanadischen Erziehungswissenschaftlerin Catherine O՚Brien. Wir sind am Anfang unserer Recherche darauf gestossen, als wir noch unsicher waren, ob subjektives Glück das richtige Thema ist. Die Definition von O՚Brien verhalf uns zum Durchbruch.

Und wie lautet diese Definition?

O՚Brien meint mit «nachhaltig» ein Glück, das sowohl individuelles als auch gesellschaftliches und globales Wohlbefinden fördert und andere Menschen, die Umwelt oder kommende Generationen nicht schädigt. Wenn Sie am Morgen Kaffee trinken und wissen, dass der Bauer in Guatemala gut daran verdient hat, ist das ein Beispiel für nachhaltiges Glück. Heutzutage müssen wir uns fragen: Was bedeutet unser Wohlbefinden und auf wessen Kosten geht es? Es ist wichtig, dass wir Glück nicht als Egotrip verstehen.

Auf welche Art und Weise vermitteln Sie das in der Ausstellung?

Nach dem Austausch mit O՚Brien war für uns klar, dass ihr Ansatz die Ausstellungs-DNA sein wird. Analog zu ihrem Konzept gibt es je einen Pavillon zum persönlichen, gemeinschaftlichen und globalen Glück. In Videos kommen Menschen aus Guatemala, Mali, Bhutan und der Schweiz zu Wort. Wichtig war uns, Strasseninterviews mit Passantinnen und Passanten durchzuführen. In verschiedenen Pavillons sprechen auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die einen Teilaspekt von Glück und Zufriedenheit erforscht haben. Im Pavillon zum gemeinschaftlichen Glück gibt es viele Mitmachbeispiele.

Das bedeutet, Sie haben Interviews auf mehreren Kontinenten durchgeführt. Wie lässt sich das mit dem Thema Nachhaltigkeit vereinbaren?

Für die Interviews haben wir und unser Filmteam Torero mit unseren Länderbüros zusammengearbeitet. Wir haben alles von der Schweiz aus koordiniert und lokale Filmteams haben vor Ort gefilmt. Das war aufwendiger als ich im Vorfeld ahnte, aber es hat sich gelohnt.

Die Schweizer Bevölkerung ist gemäss World Happiness Report eine der glücklichsten weltweit. Ist unser Glück nachhaltig?

Überhaupt nicht. Der World Happiness Report ist einseitig. Er misst den ökologischen Fussabdruck nicht, der in der Schweiz viel zu gross ist. Das kann nicht nachhaltig sein. Mit der Ausstellung möchten wir den Besucherinnen und Besucher aufzeigen, dass sie ihren ökologischen Fussabdruck ohne Verlust an Lebensqualität reduzieren können, und sie dazu motivieren, solidarisch mit den Menschen aus dem globalen Süden zu sein. Eine Welt mit vielen Verliererinnen und Verlierern kann keine glückliche Welt sein.

Wie lassen sich glückliche Menschen davon überzeugen, ihren Lebensstil zu ändern?

Ständig erscheinen Glücksrankings mit der Schweiz zuoberst. Wir haben gewisse Errungenschaften wie Menschenrechte, Zugang zu Bildung und ein gutes Gesundheitswesen, die wichtig für das subjektive Wohlbefinden sind. Gleichzeitig wird in der Ausstellung vielen Menschen bewusst, dass sie in ihrem Leben weniger konsumieren und stressfreier leben möchten. Wenn ihnen Global Happiness eine Anregung mitgibt, wie sie das umsetzen können, macht mich das glücklich.


Nadja Buser studierte an der Universität Basel Ethnologie, Kunstgeschichte und nachhaltige Entwicklung. Nach einem exec. MBA arbeitete sie als Delegierte des IKRK in Liberia und den Philippinen sowie im Südsudan für Ärzte ohne Grenzen. Danach war sie für Caritas Schweiz als Länderverantwortliche Ruanda, Uganda und Kolumbien tätig. Seit 2016 arbeitet sie als Ausstellungsverantwortliche bei Helvetas.

Globales Glück – die Ausstellung

Seit 2019 tourt die Ausstellung «Global Happiness: Mit Nachhaltigkeit zum Glück» der Entwicklungsorganisation Helvetas durch die Schweiz. Letzte Station ist die Umweltarena Schweiz in Spreitenbach, wo «Gobal Happiness» vom 11. November 2022 bis am 30. April 2023 zu sehen ist. In dieser Zeit stehen verschiedene Anlässe und Führungen für Schulklassen auf dem Programm.

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