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09.12.2020 von Daniel Bütler

Die Fische haben keine starke Lobby

Trotz Bundesgesetz zum Gewässerschutz ­unter­nehmen die Kantone zu wenig, um Bäche und Flüsse zu renaturieren. Dem Bund fehlt es an Personal – und an Druckmitteln.

Artikel in Thema Umwelt im Recht
Die Situation ist dramatisch. Drei Viertel aller einheimischen Fisch- und Krebsarten sind bedroht oder bereits ausgestorben. Genauso über 60 Prozent der Wasserpflanzen. Das Hauptproblem neben Pestiziden aus der Landwirtschaft sind die Verbauungen in Bächen und Flüssen. 1500 Hindernisse versperren den wandern­den Fischen den Weg, und Kraftwerke entziehen den Bächen zu viel Wasser. Die Umweltverbände fordern, dass diese Hindernisse beseitigt werden. So steht es seit 2011 im Gesetz. Damals beschloss der Bund, viele Gewässer zumindest teilweise zu renaturieren. Aus­löser war eine Volksinitiative des Schweizerischen Fischerei-Verbands.
Bisher wurde aber nur jedes fünfzigste Wasserkraftwerk saniert, bei nicht einmal einem Fünftel hat man mit der Planung begonnen, obwohl die Frist bereits 2030 ablaufen wird. «Das Vorgehen ist viel zu langsam, so erreichen wir das Ziel unmöglich», kritisiert Philipp Sicher, Geschäftsführer des Fischerei-Verbands. Verantwortlich für die Misere sind primär die Kantone, monieren verschiedene Expertinnen und Experten. Doch auch der Bund hat ein Problem: Die verantwortliche Stelle beim BAFU ist unterbesetzt. Die Folge sei ein «Vollzugsstau». «Kantone und Kraftwerksbetreiber müssen bis zu zwölf Monate auf die Beurteilung durch den Bund warten», heisst es beim BAFU. 
Das will die Schaffhauser Nationalrätin Martina Munz ändern. «Der Bund untergräbt durch den Personalmangel bewusst seine eigene Gesetzgebung», klagt die SP-Politikerin in einem Vorstoss und will vom Bundesrat wissen, wie er sich zur Situation im BAFU stellt.

Nur eins von zehn Kraftwerken garantiert genug Restwasser

Seit 1975 steht in der Bundesverfassung, dass in allen Gewässern so viel Wasser fliessen muss, dass aquatisches Leben möglich ist. 45 Jahre später garantiert nur eines von zehn Kraftwerken ökologisch vertretbare Restwassermengen. Ein Grund für die Verzögerungen: Eine Sanierung wird erst nötig bei einer Neukonzessionierung. Doch bis dahin kann es Jahrzehnte dauern.

Beim Schutz der Gewässer steht viel auf dem Spiel. Sie zählen zu den artenreichsten Lebensräumen überhaupt.


Um die gröbsten Schäden zu verhindern, müssten die Wasserwerke eine minimale Menge Wasser durchlassen. Mehr als zehn Prozent der Stromunternehmen haben es allerdings versäumt, Massnahmen zu ergreifen – obwohl die gesetzliche Frist nach mehreren Verlängerungen 2012 abgelaufen ist. «Die Kantone erfüllen ihre Pflichten nicht», sagt der auf Gewässerrecht spezialisierte Anwalt Michael Bütler. Das können sie ungestraft tun, Sanktionsmöglichkeiten bestehen keine. «Säumige Kantone sollten zur Rechenschaft gezogen werden und etwa in einen Gewässerschutzfonds einzahlen müssen», fordert Bütler.

Parlament entlastet Stromfirmen von ökologischen Auflagen

Beim Schutz der Gewässer steht viel auf dem Spiel. Sie zählen zu den artenreichsten Lebensräumen überhaupt. Aber der Gewässerschutz steht in Konflikt mit der Wasserkraft und der Landwirtschaft. Und damit mit zwei starken Lobbys. Das zeigte sich zuletzt letzten Dezember, als das Parlament die Stromfirmen von Umweltauflagen entlastete. Wenn sie die Konzession erneuern, müssen sie keine Ersatzmassnahmen mehr leisten, um ökologische Schäden auszugleichen. Der Vorstoss stammte vom damaligen SVP-Präsidenten Albert Rösti, der auch den Wasserwirtschaftsverband präsidiert. Hilfe bekam er von der Energielobby und den Bergkantonen, wo demnächst viele Kraftwerke ihre Konzession erneuern müssen.
Als Konsequenz fehlen den Kantonen mehrere Hundert Millionen Franken, die sie für die Revitalisierung von Gewässern benötigen, heisst es bei der Umweltorganisation WWF. Zudem werde das Verursacherprinzip verletzt. Die Stromfirmen müssten für die Umweltschäden, die sie angerichtet haben, nicht mehr geradestehen.
Einen Lichtblick gibt es für den Gewässerschutz trotzdem: Die Umweltkommission des Nationalrats hat Ende Mai einen Vorstoss eingereicht, nach dem die Stromfirmen doch noch dazu verpflichtet werden können, die Ökomassnahmen zu finanzieren. Allerdings liegt die Betonung auf «können».

Dieser Artikel erschien erstmals im «Beobachter» (Ausgabe 18/2020).
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