moneta: Cordelia Bähr, Sie vertreten die Klimaseniorinnen, verfassten eine Beschwerde gegen die Finanzmarktaufsicht und die Schweizerische Nationalbank wegen mangelhafter Berücksichtigung von Klimarisiken, befassen sich aber auch mit Pestiziden und Wasser …
Cordelia Bähr: Ja, das Umweltrecht ist sehr vielseitig, und als Umweltrechtsanwältin muss ich mir auch immer wieder neues Sachwissen aneignen.
Welches sind die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen zum Schutz der Umwelt?
Das sind in der Bundesverfassung Artikel 73, 74 und 76 bis 79: Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Wasser, Wald, Natur- und Heimatschutz sowie Fischerei und Jagd.
Und das Klima?
Es gehört derzeit thematisch zum Umweltschutz und ist in der CO2-Gesetzgebung geregelt. In der Verfassung ist das Klima aber nicht erwähnt; das will die Gletscher-Initiative ändern. Der in Art. 74 BV verankerte Umweltschutz hat übrigens einen rein menschenzentrierten Ansatz.
Was heisst das?
Es geht nicht um den Schutz des Klimas oder überhaupt der Umwelt an sich, sondern um den Schutz der Menschen in ihrer Umwelt – das betrifft beispielsweise Luft, Boden, Lärm, Abfälle. In der Bundesverfassung steht es so: «Der Bund erlässt Vorschriften über den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen.» Die natürliche Umwelt – wie das Klima – ist also mitgeschützt.
Und im Naturschutz?
Der Bund muss gemäss Verfassung Vorschriften zum Schutz der Natur erlassen, um ihrer selbst willen also. Mit Naturschutz ist der Biotop- und Artenschutz gemeint.
Haben die Arten also ein Grundrecht, ein Recht auf Leben?
Nein, in der Schweiz können nur wir Menschen uns auf die Grundrechte berufen, die in der Verfassung verankert sind, wie beispielsweise das Recht auf Leben.
Die Luft so sauber, das Wasser so rein, die Landschaft so schön ... Unser Natur- und Umweltschutz hat ein gutes Image. Zu Recht?
Das ist ein Mythos, der bröckelt. Der schlechte Zustand der Biodiversität und die schleichende Zerstörung der Lebensräume von Tieren und Pflanzen werden von der Öffentlichkeit immer mehr wahrgenommen und zeigen, dass das Instrumentarium mangelhaft ist. In der EU muss übrigens jeder Mitgliedsstaat den Zustand seiner Gewässer innert einer bestimmten Frist verbessern, bis ein «guter Zustand» erreicht wird. Ein vergleichbares Gesetz gibt es hierzulande nicht – und unsere Gewässer sind nicht in besserem Zustand als jene in europäischen Ländern.
Ist die Natur hierzulande generell unzureichend geschützt?
So pauschal kann man das nicht sagen. Ein guter Schutz braucht immer gute Rechtsgrundlagen und eine gute Umsetzung. Es ist ein komplexes Zusammenspiel vieler Faktoren, das schliesslich bestimmt, was wir draussen in der Natur sehen. Besonderen Schutz geniessen sicherlich die in der Verfassung explizit erwähnten Moore sowie die in einem Inventar erfassten Landschaften und Naturdenkmäler. Trotzdem stehen die Moore unter Druck, und je länger, je mehr auch der Wald, der lange als Positivbeispiel für den Schweizer Umweltschutz galt.
Inwieweit gibt es im Naturschutz auch eine Abwägung mit wirtschaftlichen Interessen?
Dieses Abwägen findet statt, zum Beispiel wenn der Bau eines Wasserkraftwerks geplant ist. Es geht aber nicht nur um wirtschaftliche Interessen, sondern beispielsweise auch um jene an der Energieversorgung. Meistens erachten die Behörden solche Nutzungsinteressen als wichtiger als den Naturschutz. Eine Gesamtschau hierzu wäre interessant.
Manchmal verschwinden Hecken oder Trockenmauern, die für die Artenvielfalt wichtig sind, langsam und unbemerkt – obwohl sie explizit geschützt sind. Wie kann das sein?
Die Behörden müssen darüber wachen, dass das nicht passiert. Aber beim Vollzug fehlen die Ressourcen. Es bräuchte in den Gemeinden und den Kantonen viel mehr Stellenprozente. Dass sie diese oft nicht haben, ist ein grosses Problem. Viele Umweltorganisationen übernehmen hier wichtige Aufgaben, indem sie etwa die Behörden auf Missstände hinweisen.