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15.03.2023 von Esther Banz

Der sensible Waldboden

Um geschlagenes Holz zu ernten, dringen im Mittelland schwere Maschinen in die Wälder vor. Nicht so im aargauischen Suhrental. Dort arbeitet Revierförster Urs Gsell mit Methoden, die den Waldboden schonen.

Artikel in Thema Holz und Wald
Illustration: Claudine Etter

Schwarzbraun ragen die kahlen Äste der Buchen und Eichen zur Waldstrasse hin, dunkelgrün die üppigen Zweige der Fichten und Tannen. Eine feine Schicht frischen Schnees bedeckt die hohen Bäume, und zwischen ihnen steht unscheinbar eines der beiden Betriebsgebäude der Forstgemeinschaft Suhrental-Ruedertal. Im offenen Anbau liegt zugeschnittenes Holz zum Abholen bereit. Förster Urs Gsell führt in sein Büro, dort hängen meterhohe Karten der Reviere, für die er mit seinem Team zuständig ist: Schöftland, Staffelbach, Muhen, Hirschthal, Holziken, Kirchleerau, Moosleerau, Schlossrued, Wiliberg, dazu Privatwald – total über 1500 Hektaren. Bald wird Urs Gsell in Pension gehen – welche Art Wald er der nächsten Generation übergeben wird, beschäftigt ihn aber schon seit dem Jahrhundertsturm Lothar 1999. Damals liess er die unzähligen umgeworfenen Bäume mit den üblichen Maschinen aus dem Wald holen. Die dadurch entstandenen Versehrungen des Waldbodens schockierten ihn. «Da ging mir das letzte Mal eine Maschine ab der Waldstrasse», erzählt der gross gewachsene, kräftige Förster. 

 

40-Tönner verdichten den Waldboden

Der Waldboden sei das Kapital, sagt Urs Gsell. «Es gab Jahrhunderte, da räumten die Menschen jedes Stück Holz, das zu Boden fiel, aus dem Wald heraus – der Boden enthielt dadurch praktisch keine neue Biomasse mehr. Durch die Beweidung im Wald ging auch die bodennahe Krautschicht verloren. Und schliesslich rodete man die Wälder massiv.» Dank der Einführung des strengen Waldgesetzes mit Rodungsverbot habe sich der Wald in den letzten bald 150 Jahren gut erholt: «Wir haben eine grosse Biodiversität. Aber jetzt passiert etwas Ungeheuerliches: Wir fahren mit bis zu 40 Tonnen schweren Maschinen in die Wälder hinein, auf einem Netz von Rückegassen mit Abständen von nur 30 oder 40 Metern.»

 

Rückegassen sind definierte Spurbereiche, auf denen die Förster und die von ihnen beauftragten Unternehmen mit Forstmaschinen in die Wälder hineinfahren dürfen, um das geschlagene Holz herauszuholen. Es sind Monster von Gefährten, und monströs sind auch die Furchen, die sie hinterlassen, insbesondere wenn es zuvor geregnet hat – dann sieht der weiche Waldboden richtiggehend verwüstet aus. Nicht sichtbar ist von blossem Auge, wie die Waldböden durch das Befahren verdichtet werden. «Vor allem die luftführenden Grobporen gehen dabei verloren, was das Wurzelwachstum und die Bodenlebewelt beeinträchtigt», schreibt die Schweizer Forschungsanstalt Wald, Schnee, Lawinen (WSL) und mahnte erst kürzlich: «Ohne gesunden Boden kein gesunder Wald

 

Vielfältiges Leben in den Waldböden

Gesunde Waldböden sind auch für die Menschen relevant, nicht «nur» als riesiger Speicher von Kohlenstoff. «Der Waldboden (…) saugt wie ein Schwamm den Regen auf und lässt das Wasser nur langsam in die tiefen Bodenschichten einsickern. Dieses durch den Boden gefilterte Wasser ist sauber und dient den Menschen als hervorragendes Trinkwasser», schreibt das WSL. Zudem schützt ein gesunder Waldboden vor Hochwasser und Erosion und beheimatet vielfältiges Leben, auch riesige Pilzgeflechte, die die Wurzeln der Bäume über grosse Distanzen miteinander verbinden, man spricht vom «Wood Wide Web». Diese Mykorrhiza-Pilzgeflechte reagieren sensibel auf Druck und Vibrationen. «Nach starker Bodenbelastung ziehen sie sich zurück», zitiert Urs Gsell jüngere Forschung.

 

Wegen des zunehmenden Drucks auf die Wälder durch die Klimaerwärmung und weiterer menschlicher Einwirkungen wächst die Sorge um die Widerstandskraft dieser Ökosysteme. «Wir brauchen resiliente Wälder», sagt Frank Krumm. Er ist spezialisiert auf Walddynamik und Ökosystem-Ökologie und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am WSL. Die Schweiz habe mit ihrem Waldgesetz eine gute Grundlage, denn: «Es verlangt, dass der Wald naturnah bewirtschaftet wird.» Tatsächlich gibt es in der Schweiz praktisch keine reinen Monokulturen, und es wächst insgesamt mehr Wald nach. «Dafür werden wir jetzt ein Stück weit belohnt», sagt Krumm.» Allerdings sei der Nutzungsdruck im Mittelland ziemlich gross. Tatsächlich hat der Waldbestand in den niedrigen Lagen der Schweiz nicht zugenommen, sondern leicht verloren, Frank Krumm erklärt: «Mit dem Waldbestand ist der Vorrat gemeint, also praktisch wie viel Holz auf dem Hektar steht.» Zudem steigt wegen der hohen Energiekosten der Bedarf an Holz für die Verbrennung. Beliebt ist ausgerechnet auch das für viele Käfer und andere Insekten so wichtige Totholz. «Wir müssen aufpassen, dass wir nicht erneut Wälder leerräumen und Lebensräume zerstören», sagt Frank Krumm.

 

Auch Urs Gsell sorgt sich um die Artenvielfalt. Sie sei der Schüssel zur Vitalität, sagt er, «wir müssen alles daransetzen, sie zu erhalten». Auf das Ernten von Bäumen können wir nicht verzichten, sagt er: «Holz ist der Rohstoff mit der besten Bilanz an grauer Energie. Er wächst auf unseren Böden und bindet CO2.» Es komme aber darauf an, wie wir das Holz ernten: «Wir dürfen den Wald mit der Art, wie wir ihn bewirtschaften, nicht zusätzlich schwächen.»

 

Forstarbeit mit Pferdestärken

Es ist tiefster Winter – Erntezeit in den Wäldern, deren Böden gefroren sind oder sein sollten. Der Förster steigt in seinen Wagen. Es wird eine überraschend lange Fahrt durch einen dichten, hohen Wald. Unterwegs hält er an und deutet hinauf: «Ein Baum zeigt anhand seiner Krone, wie es ihm geht. Eine kleine Krone ist kein gutes Zeichen, dann sind auch die Wurzeln klein und er ist schwach. Wir fördern die vitalen Bäume mit den grossen Kronen, die anderen nehmen wir raus.»

 

15 Fahrminuten vom Betriebsgebäude entfernt liegt der Stamm einer frisch geschlagenen Buche. Zuvor hat ihn ein auf der Waldstrasse positionierter Forstschlepper mittels Seilwinde hochgezogen. Da, wo der Stamm dem Boden entlang schleifte, ist jetzt eine schmale, nicht sehr tiefe Spur sichtbar. Wäre der Boden gefroren, hinterliesse diese Art der Ernte noch weniger Spuren, sagt Urs Gsell. Im Tobel unten sind Forstarbeiter erkennbar, sie trennen an einem weiteren Stamm mit einer Motorsäge die Äste ab.  An besonders schwer zugänglichen Stellen holt der Förster ein Arbeitspferd zur Hilfe: «Einen kleinen Teil holen wir so raus», es dürften jährlich etwa 200 bis 300 Stämme sein. Er würde gerne noch mehr mit Pferden arbeiten, aber dann würde es wegen der hohen Kosten schwieriger, konkurrenzfähig zu bleiben. So, wie sie jetzt arbeiteten, funktioniere es. Die Maschinen seien nicht nur ein Fluch, man müsse sie einfach richtig einsetzen und mit ihnen auf der Strasse bleiben, sagt der Chef von neun Angestellten. Urs Gsell ist überzeugt, dass sich die sanfte Forstarbeit mittel- und langfristig rechnen wird. Dass sich die Sorgfalt zugunsten der Bodenfruchtbarkeit auszahlen wird. «Gerade wir, die im Wald arbeiten und als seine Treuhänder gelten, müssen seinem Fundament Sorge tragen.»

https://fbsr.ch/


Wald als Kohlenstoffsenke

Der Wald speichert CO2 und kann dadurch eine Kohlenstoffsenke sein. Als Beitrag zur Eindämmung der Klimaerhitzung will die Schweiz diese Leistung erhöhen. Gleichzeitig will der Bund auch mehr Holz für verschiedene Nutzungszwecke ernten lassen. Das WSL hat deshalb erforscht, wie sich diese beiden Ziele erreichen lassen. Es zeigte sich, dass eine Erhöhung der CO2-Speicherung im Alpenraum nur bedingt möglich ist. Zwar breitet sich der Wald dort aus und wird auch dichter, aber nur langsam. Im Mittelland, wo die Holzernte viel einfacher und wirtschaftlicher ist als in den Bergen, besteht wiederum die Gefahr, dass der Wald bei einer deutlichen Erhöhung der Ernte von einer Kohlenstoffsenke zu einer Kohlenstoffquelle wird. Unter dem Strich erachten es die Forschenden als realistisch, dass im Wald bei einem «möglichst grossen, nachhaltigen Zuwachs» etwas mehr Holz geerntet und die zusätzliche Senkungsleistung minim gesteigert werden kann. Sie warnen aber vor einer starken nationalen Steigerung der Nutzungsmengen und empfehlen, das geerntete Holz kaskadenmässig zu nutzen: Es soll «so hochwertig als möglich in langlebigen Holzprodukten eingesetzt» werden. Einzig nicht mehr weiter verwendbares Abfall- und Altholz solle energetisch verwendet werden, etwa zum Heizen. (eb)

https://www.wsl.ch/de/wald/bewirtschaftung-und-waldfunktionen/wald-und-co2.html

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