moneta: Mariette Beyeler, fast jede Gemeinde hat ein Quartier mit lauter Einfamilienhäusern, jedes jemand anderem gehörend. Wie lassen sich solche Quartiere verändern?Mariette Beyeler
Indem die Gemeinden und auch die Besitzerinnen und Besitzer verstehen lernen, dass Einfamilienhäuser veränderbar sind. Sie lassen sich neu gestalten und erweitern.
Einfamilienhäuser wirken meist, als seien sie auf immer und ewig für eine kleinere oder grössere Familie konzipiert.Genau. Aber die Lebensumstände verändern sich. Als Besitzer oder Besitzerin hat man die Möglichkeit, das eigene Haus neuen Bedürfnissen anzupassen, es weiterzuentwickeln. Man hat die Macht der Gestaltungsmöglichkeit. Das Einfamilienhaus ist ein wunderbarer Rohstoff.
Wohnen Sie selber in einem Einfamilienhaus?Nein, aber es ist mir ein grosses Anliegen, Besitzende von Einfamilienhäusern darin zu bestärken, selbst die Akteure der Innenentwicklung zu sein. Ich möchte sie ermutigen, das nicht aus der Hand zu geben. Leider haben die meisten Eigentümerinnen und Eigentümer keine Vorstellung vom Potenzial ihres Hauses.
Nicht nur die Städte sind gefordert, sozialverträglich zu verdichten, sondern alle Gemeinden. Siedlungen mit Einfamilienhäusern sind also für die Innenentwicklung geeignete Orte?Absolut. Auf Boden, der einem schon länger gehört, kann erschwinglicher Wohnraum für zusätzliche Haushalte geschaffen werden. Anders ist die Ausgangslage übrigens, wenn ein Investor das Land zuerst kaufen muss – dann wird der Wohnraum automatisch teurer.
Viele können ihr Haus nach der Pensionierung nicht halten. Das hat damit zu tun, dass sie einst Pensionskassengeld ins Haus investierten – Geld, das jetzt im Alter fehlt, um die finanzielle Tragbarkeit der Liegenschaft zu garantieren. Kommt dazu: In den 1990er-Jahren waren die Hypothekarzinsen sehr hoch, das belastet viele, die damals bauten, noch heute. Den Betroffenen bietet sich aber eine auf den ersten Blick paradox anmutende Alternative.
Welche?Anstatt zu verkaufen, können sie in die Liegenschaft investieren, um eine zusätzliche Wohnung zu schaffen, die sie dann vermieten. So haben sie Einnahmen und können selber weiter im Haus wohnen. Unter Umständen können schon 30 zusätzliche Quadratmeter ausreichen, um das Haus zu entflechten, neu zu organisieren und die Wohnungen unabhängig voneinander zu erschliessen.
Schlagen die Banken das vor?So viel ich weiss, nicht. Sie raten den Besitzern meist, ihr Haus zu verkaufen.
Gemäss einer Studie der Zürcher Kantonalbank können sich heute aber nur noch zehn Prozent der Mieter Wohneigentum leisten. So sind es zunehmend Investoren, die kaufen, abreissen und teures Stockwerkeigentum bauen. Das ist ökologisch und sozial keine gute Lösung. Am besten ist, wenn die Eigentümer frühzeitig überlegen, wie sie ihr Haus weiterbauen können, damit es für sie und für weitere Bewohnerinnen und Bewohner nach Mass gestalteten und günstigen Wohnraum bietet.
Ist Weiterbauen bei jedem Einfamilienhaus möglich?Die meisten Einfamilienhäuser verfügen über Baureserven, welche die Schaffung zusätzlicher Wohnungen begünstigen. Auch finanziell geht das, selbst wenn wenig Geld vorhanden ist, denn die daraus resultierenden Einnahmen helfen, das Haus finanziell zu tragen. Die raumplanerischen, gesetzlichen und finanziellen Möglichkeiten werden klar unterschätzt und nicht ausgeschöpft.
Sie forschen, planen, publizieren und beraten seit über zehn Jahren zu diesem Thema, offenbar anhaltend leidenschaftlich. Dies, obwohl sich wenig zu tun scheint – oder täuscht das?Es bedarf eines Paradigmenwechsels, und der braucht viel Geduld. Heutige Einfamilienhausquartiere könnten viel lebendiger und diverser werden, mehr Menschen verschiedenen Alters beherbergen Quartierläden würden plötzlich rentieren, auch eine Buslinie ins Quartier. Ich bin überzeugt: Das Einfamilienhaus, wie man es bis jetzt kannte, ist ein Auslaufmodell. Und von den grossen sozialen und ökologischen Vorteilen des Umnutzens haben wir jetzt noch gar nicht gesprochen.