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04.12.2019 von Barbara Bohr

« Wir wollen in die gleiche Richtung gehen »

Der Verwaltungsrat der Alternativen Bank Schweiz hat Tanja Reuter und ­Melanie ­Gajowski zum 1. Oktober 2019 in die Geschäftsleitung ­gewählt. Die beiden übernehmen im Jobsharing den Bereich Finanzieren.


Beitrag der ABS
Artikel in Thema Mensch, KMU!
moneta: Zwei Frauen teilen sich eine Geschäfts­leitungsposition. Das klingt progressiv. Ist es das wirklich?

Melanie Gajowski: Dass wir jetzt als zwei Frauen zu­sammenkommen, ist genial, weil wir uns sehr gut verstehen. Für mich ist der Aspekt des Jobsharing allerdings der relevante, nicht der des Geschlechts. Wir sind in einer Phase, in der die Wirtschaft neue Denkformen und Führungsmodelle braucht – und dazu gehört Teilzeit. Ob das nun Frau mit Frau, Mann mit Frau, Alt mit Jung erfolgt, ist weniger bedeutsam.

Tanja Reuter: Das sehe ich auch so. Wichtig ist, dass es in einer Geschäftsleitung eine gesunde Durchmischung gibt. Mit drei männlichen und zwei weiblichen Mitgliedern ist die ABS-Geschäftsleitung nun wieder komplett. Dass das Jobsharing erstmals auf Ebene der Geschäftsleitung gemacht wird, ist wirklich progressiv.

Welche Führungserfahrung bringt ihr mit für diese neue Funktion?

Tanja: Meine Kinder … (lacht). In den letzten 15 Jahren habe ich immer wieder Möglichkeiten erhalten, Teams aufzubauen und zu entwickeln. Für mich heisst Führung, etwas gemeinsam zu gestalten. Was sich mir besonders eingeprägt hat, ist ein kurzer Einsatz für ein Hilfswerk im Senegal. Dort habe ich ein Führungsseminar gehalten, das ich selbstständig entwickelt hatte. Ich wusste zunächst nicht, wie anders Führung im Senegal ist. Und ich muss nun sagen: Es ist nicht so viel anders. Es geht um Menschen. Menschen zu befähigen, zu führen – das ist für mich eine der schönsten Erfahrungen. Es ist schön, zu spüren, wie viel Energie entsteht, wenn Menschen in die gleiche Richtung gehen wollen.

Melanie: Wenn ich über meine Führungserfahrung nachdenke, dann kommt mir als Erstes in den Sinn, dass ich schon in der sechsten Klasse Klassen­sprecherin war. Meine erste formale Führungserfahrung habe ich dann mit 23 Jahren gemacht: Nach der Wende war ich in den neuen Bundesländern für eine Bankfiliale mit acht Mitarbeitenden ­verantwortlich. Später, als ich in die Schweiz kam, ­habe ich in Grossprojekten viele Erfahrungen mit indirekter Führung gemacht. Das ist für mich überhaupt die Management-Kür: führen, ohne diszipli­narisch Durchgriff zu haben.

Wie hat euer Team auf die Nachricht mit dem Jobsharing reagiert?

Tanja: Die Leute sind neugierig, wie wir die Sache anpacken wollen, und freuen sich, dass die ABS ein Jobsharing auf dieser Stufe ermöglicht. Es gibt aber auch kritische Stimmen, die sich fragen, ob es überhaupt möglich ist, diese Funktion im Job sharing auszuüben.

Melanie: Die Reaktionen waren sehr positiv: Da wird etwas Neues ausprobiert. Viele reden über Job­sharing in einer solchen Funktion. Die ABS macht es und setzt damit ein klares Zeichen für Teilzeit.

Gleichzeitig ist es für Mitarbeitende und Kundschaft auch wichtig, verlässliche Ansprech­personen zu haben. Wie wollt ihr das Jobsharing organisieren?

Melanie: Wir haben beide ein Arbeitspensum von 60 Prozent. Wir haben abgemacht, am Anfang zwei Tage pro Woche gemeinsam im Büro zu sein, um uns untereinander und mit dem Team möglichst gut ­abstimmen zu können. Es ist ein Lernprozess, den wir nach Bedarf anpassen.

Tanja: Wir sind ganz neu in dieser Funktion und ­mitten in der Erarbeitung. Wichtig ist, dass wir beide uns gut kennenlernen. Wie wir die Verantwortung inhaltlich teilen, wie wir unsere Arbeitszeiten dann genau regeln – das wissen wir noch nicht ganz genau. Wir sind uns darin einig, dass wir beide langfristig möglichst viel Zeit mit Kundinnen und Kunden verbringen wollen.

Inwiefern könnt ihr euch ergänzen?

Melanie: Mir hilft vor allem, dass Tanja schon länger als ich in der Bank und mit den operativen Prozessen vertraut ist. Ich dagegen habe mich in den letzten Jahren aus strategischer Sicht mit den Themen sozialer Wandel und nachhaltiges Banking beschäftigt. Tanja kann mir bei einem Vorschlag sofort sagen, was geht und was nicht.

Tanja: Wenn ich dagegen mit einem operativen Problem komme, kann mir Melanie Lösungen an­bieten, an die ich im Tagesgeschäft so nicht gedacht hätte. Gelingen kann das Jobsharing insgesamt nur, wenn wir beide grundsätzlich in die gleiche ­Richtung gehen wollen und wir vom Herzen her auf der gleichen Ebene sind.

Melanie: Da sind wir uns einig. Wir haben zum Teil verschiedene Vorstellungen darüber, wie wir dorthin kommen wollen. Darüber werden wir in den nächsten Wochen und Monaten sprechen, nicht nur wir zwei, sondern auch mit den Mitarbeitenden des Bereichs Finanzieren und den anderen Mitgliedern der­ Geschäftsleitung.

Wie zeigen sich die unterschiedlichen Vorstellungen?

Melanie: Für mich besteht in der neuen Funktion die grösste Herausforderung darin, nicht zu schnell Schlüsse zu ziehen. Ich bin erst seit neun ­Monaten bei der Bank. Meine Aufgabe war der Aufbau inter­nationaler Kooperationen. Dies lief losgelöst vom ­Tagesgeschäft. Deshalb möchte ich zunächst einmal ­beobachten. Wenn ich das Finanzierung­s­umfeld ­sehe, dann sehe ich ­natürlich schon den Bedarf, schnell zu handeln. Wir sind in ­einer umwelt­politischen Situation, die dringend neue Lösungen braucht.

Tanja: Für mich ist das schwieriger mit dem Beobachten, da ich schon länger in der Bank bin. Ich ­würde am liebsten sofort loslegen. Da gibt es einfach Weichenstellungen, die wir in die Wege leiten ­müssen. Und doch denke ich auch, dass sich für ­gewichtige strategische Entscheide etwas mehr ­Geduld auszahlt.

Das klingt nach unterschiedlichen Tempera­menten. Zeigen sich diese auch in eurem ­Führungsverhalten?

Tanja: Da sehe ich eher Gemeinsamkeiten. Mein Ziel als Führungskraft ist es, die Mitarbeitenden zu befähigen, eigenverantwortlich und motiviert unsere gemeinsamen Ziele zu verfolgen. Dafür braucht es Vertrauen in sich selber und in die Orga­nisation.

Melanie: Genau. Führung ist immer eine Gratwanderung zwischen Vorbild- und Unterstützungsfunk­tion. Tanja benutzt gerne die Metapher des Leitwolfs – oder eben der Leitwölfin –, wenn sie über Führung spricht. Diese Leitwölfin führt nicht autoritär, sondern kooperiert mit allen Gruppenmitgliedern. Sie gibt den Rahmen vor. Wir haben als Bank ein wunder­bares Leitbild, das uns als Rahmen dient. Wir haben eine Geschichte, auf die wir stolz sein können.

Ihr habt das schwierige Finanzierungsumfeld angesprochen. Wäre es nicht besser, wenn die ABS viel stärker wachsen würde? Dann könnte sie die Transformation der Gesellschaft besser vorantreiben.

Tanja: Ein gesundes finanzielles Wachstum ist anzustreben. Ich sehe allerdings auch Risiken: Je grösser eine Bank wird, desto mehr schränkt die Grösse ein. Man wird träge, weniger flexibel. Das ist das Schöne an der ABS. Als KMU sind wir flexibel. Es wäre für mich viel spannender, wenn es mehr ­Unternehmen wie die ABS gäbe.

Melanie: Das wäre dann auch eine Art Jobsharing, auf institutioneller Ebene. Wachstum, um als Firma alles alleine zu machen, halte ich dagegen für nicht mehr zeitgemäss. Wachstum von Ökosystemen und Netzwerken dagegen bleibt relevant. Ich habe noch keinen Baum gesehen, der ins Unendliche wächst; aber ich sehe Wälder, die sich ausbreiten. In diesem «Wald» sichtbarer zu werden, das ist für mich ein erstrebenswertes Wachstumsziel für die ABS.

Die neuen Mitglieder der ABS-Geschäftsleitung


Melanie Gajowski
ist diplomierte Bankbetriebswirtin, hat einen ­Master of Business Administration der Universität Lausanne und ­einen Master of Advanced Studies in Applied Ethics der Universität Zürich. Sie war unter anderem für die UBS und den WWF Schweiz ­tätig. Seit Januar 2019 war sie bei der ABS für internationale Ko­operationen zuständig. Daneben begleitet sie als Beraterin Menschen und Unternehmen und ist bei verschiedenen Sozialunter­nehmen sowie beim Institute for So­cial Banking engagiert.

Tanja Reuter
arbeitet seit 2015 bei der ABS. Zuletzt hat sie am Standort in Zürich das Team ­geleitet, das für Immobilienfinanzierungen zuständig ist. Sie ist ­diplomierte Betriebswirtschafterin, Finanzplanerin und hat an der ZHAW ein Nachdiplomstudium als Executive Master of Finance ­absolviert. Vor ihrer Zeit bei der ABS war sie unter anderem bei der Credit Suisse als Firmenkunden- und Hypothekenberaterin tätig und war mehrere Jahre ­Teamleiterin bei einer Privatbank in ­London.
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