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13.09.2023 von Roland Fischer

«Wir sollten Geräte als wandlungsfähige Plattformen verstehen»

Die «open circular economy»-Bewegung hat eine radikale Vision von Kreislaufwirtschaft: Offene Systeme, wie man sie von der Software-Entwicklung kennt, müssten auch für Hardware Vorbild sein, erklärt Maximilian Voigt von der Open Knowledge Foundation. Jedes Gerät wäre dann modular, und nichts was noch funktioniert, müsste weggeworfen werden.

Artikel in Thema Kreislaufwirtschaft

moneta: Maximilian Voigt, wie alt ist Ihr Smartphone?

Maximilian Voigt: Gute Frage, da muss ich nachgucken. Sieben Jahre müssten das wohl sein. Läuft noch tadellos, aber ich habe einige Kleinigkeiten daran gemacht.


Zum Beispiel?

Ich habe das Display ersetzt, mit einem inoffiziellen Ersatzteil. Leider hat der darin eingebaute Touchscreen nicht die gleiche Qualität, der originale war präziser.


Ich würde mich das nicht trauen, ehrlich gesagt. Handys sind ja nicht so gebaut, dass man sich eingeladen fühlt, etwas selber zu reparieren. Müssten wir da alle ein wenig mutiger werden?

Ich habe selber ein Repair-Café aufgebaut, insofern habe ich wohl schon ein wenig mehr technisches Know-How als andere. Während der Veranstaltungen bekommen wir die Geräte mit den Besuchenden oft wieder hin. Aber es erfordert unglaublich viel Zeit. Das sollte einfacher sein.


Sie fordern deshalb ein «Recht auf Reparatur».

Genau. Denn es ist immer ein Kampf, wenn man elektronische Geräte selbst reparieren will. Das fängt ja schon beim Standardverschleiss an – meistens ist gerade der Akku schwer zugänglich. Eine Ausnahme machen da nur wenige Geräte, wie das Fair- oder Shiftphone. Und es wird schlimmer. Seitdem wir Handys haben, lief die Entwicklung immer mehr in Richtung Un-Reparierbarkeit.


Warum ist das so?

Die Innovationszyklen in der Branche werden immer kürzer. Wachstum wird generiert, indem neue Geräte gekauft werden, es gibt also überhaupt keine Anreize Richtung längere Haltbarkeit. Man muss sich klar machen: Firmen wie Apple sind Hardware-Hersteller, sie leben vom Verkauf neuer Geräte. Und sie wollen möglichst viel Kontrolle darüber, wie wir mit diesen Geräten umgehen.


Inwiefern?

Jüngstes Beispiel: Die neue Apple-Strategie, Ersatzteile mit einer ID auszustatten, sodass das Gerät überprüfen kann, was man neu verbauen will. Drittanbieter-Displays werden dann abgestossen, nur teure Originalteile werden freigeschaltet. Wir kennen das übrigens von der Autoindustrie, Autos waren früher ja auch viel reparierbarer. Gerade bei High-Class-Marken checkt das Auto nun immer: Ist das Ersatzteil original, ist es autorisiert? Alles in allem eine schlechte Entwicklung.


Und was hat das mit der Kreislaufwirtschaft zu tun?

Das ist eben das Spannende. Apple versucht diesen Trend nämlich kommunikativ so zu drehen, dass sie den Kreislauf-Gedanken unterstützen. Bloss, dass dieser Kreislauf ganz auf das Apple-Imperium ausgerichtet ist. Und das bedeutet: volle Kontrolle über die Nutzungs- und Reparaturzyklen. Apple kann also noch genauer bestimmen, wie lange die Geräte eigentlich halten.


Sie halten das für einen ökologischen Etikettenschwindel?

Ja. Gewisse Hersteller nutzen das Kreislauf-Argument, um mehr Macht zu bekommen. In letzter Konsequenz läuft das darauf hinaus, dass wir Produkte nur noch mieten. Das mag erst mal bequem und einfach wirken, aber was viele vergessen: So werden wir mehr und mehr zum Spielball der Unternehmen. Und im Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft ergeben sich dann viele in sich effiziente Inselkreisläufe, die aber untereinander nicht kompatibel sind. Insgesamt resultiert daraus ein sehr ineffizientes Gesamtsystem.


Sie plädieren für einen ganz anderen Umgang mit Produkten. Was genau muss ich mir unter einer «open circular economy» vorstellen?

Damit Produkte wirklich langlebig und nachhaltig sind, dürfen sie nicht abgeschlossen sein. Vielmehr sollten wir ein Gerät als Plattform, also als etwas Wandlungsfähiges verstehen: Man sollte sie auf viele Weisen nutzen können. Dafür muss das Design offen sein, die Hardware muss «open source» sein.


Das heisst, es geht letztlich darum, dass Produkte transparenter werden?

Ja, es geht sehr stark darum, von den Herstellern Informationen zu bekommen. Dann könnte es möglich werden, Dinge in ganz anderen Kontexten zu nutzen, als den, den wir beim Kauf im Sinn hatten.


Wie muss ich mir das vorstellen? Auch ein Fairphone bleibt ja immer ein Telefon.

Das ist der Punkt. Ich finde das Fairphone ja gut, im Prinzip. Aber wir meinen etwas Radikaleres. Wir möchten eine Handykamera aus dem einen Gerät ausbauen können in ein ganz anderes hinein, zum Beispiel in eine Gegensprechanlage. Das heisst: Wir brauchen eine plattformunabhängige Funktionalität und offene Schnittstellen. Wenn wir die Dinge, die wir in die Welt bringen, wirklich lange brauchen wollen, dann geht es nur so.


Und wenn doch einmal etwas kaputt geht, für das es keinen passenden Ersatz gibt?

Da gibt es ja schon Möglichkeiten, gerade wenn es nicht um Hightech-Bestandteile geht. Ein simples Beispiel sind Fahrradlampen, bei denen häufig die Halterungen kaputt gehen. Bei manchen Herstellern bekommt man die auch wieder, allerdings sind sie ziemlich teuer. Tatsächlich wären solche Plastikteile eine Paradedisziplin für 3D-Drucker. Wenn wir das einfach nachdrucken könnten, wäre das definitiv eine simple lebensverlängernde Massnahme.


Und warum machen wir das nicht?

Weil wir die Designs nicht haben! Einfache Teile kann man schnell nachdesignen, das wird auch gemacht, es gibt eine aktive Community, die online allerlei Baupläne teilt. Aber komplexere Formen – da wird es extrem aufwendig, damit das auch wirklich passt. Das ist nicht praktikabel.


Womit wir wieder bei der Politik wären. Könnten Hersteller gezwungen werden, ihre Designs zu veröffentlichen?

Darauf sollten wir hinwirken, ja. In Frankreich gibt es bereits ein Gesetz zur 3D-Reparatur. Hersteller sind auskunftspflichtig, was die verfügbaren Ersatzteile anbelangt. Und falls sie keine haben, dann müssen sie das Design zur Verfügung stellen, damit wir alle solche Ersatzteile fertigen können. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum es bei der Kreislaufwirtschaftsstrategie in Deutschland kaum um solche Fragen geht.


Sie halten nicht besonders viel von den aktuellen umweltpolitischen Ansätzen?

Nein. Alles zu Mehl zermahlen ist meiner Ansicht nach die schwächste Form der Kreislaufwirtschaft. Diese ist nur auf Müll fokussiert. Wir sollten uns stattdessen mit den Einzelteilen beschäftigen! Wir müssen darauf hinarbeiten, die noch funktionalen Elemente verwertbar zu machen.


Und wie kommen wir dahin?

Theoretisch ist ja viel Offenheit da, diese Themen zu diskutieren, aber es sind bislang vor allem Lippenbekenntnisse. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung ist der Grundsatz «Nachhaltigkeit by Design» enthalten, und das müsste doch eigentlich heissen, dass man es auch mit «open» ernst meint.


Müsste. Wenn da nicht die wirtschaftlichen Zwänge und Ängste wären, oder?

Ja, wenn man den «open circular economy»-Gedanken ernst nimmt, dann würde das natürlich auch bedeuten, in geistiges Eigentum einzugreifen. Und im Hardware-Bereich sitzen die Abwehrreflexe noch viel tiefer als bei der Software. Man ist auf Patente fokussiert, statt wie beim Programmieren aufeinander aufzubauen. Es geht da letztlich um Eigentumsideologie, für mich ist das nicht unbedingt rational. Wir sollten uns viel eher fragen: Was macht Innovationsprozesse eigentlich aus?


Maximilian Voigt arbeitet für den Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. an den Themen Open Hardware und Open Education. 2023 hat er den Prototype Fund Hardware mitgegründet, ein Förderprogramm für offene Technologien. ImFokus seiner Arbeit steht die Frage, welche Rolle Open Source in einer Kreislaufgesellschaft spielt. Außerdem engagiert er sich für Offene Werkstätten. Maximilian ist Vorstandsmitglied im Verbund Offener Werkstätten e.V., mitbegründete den FabLab Cottbus e.V. und studierte Journalismus, Ingenieurswesen sowie Technikphilosophie.
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