820
18.09.2019 von Esther Banz

«Technisch ist netto null machbar»

Während die Erdöllobby weiterhin CO2-Reduktions-Ziele bekämpft und die Klimajugend den Aufstand probt, arbeiten immer mehr Schweizer Unternehmen auf eine CO2-neutrale Zukunft hin. Politisch vertreten werden sie vom Verband Swisscleantech. Geschäftsführer Christian Zeyer über die anstehenden Wahlen, Lobbying und neue Schlüsseltechnologien.

Artikel in Thema Porträts
Illustration: Claudine Etter
moneta: Christian Zeyer, kürzlich feierte Ihr Verband Swisscleantech an der Hochschule für Technik in Rapperswil seinen zehnten Geburtstag. Im Gespräch mit Simonetta Sommaruga sagten Sie dort bezüglich der Energiewende: «Ich habe den Eindruck, wir sind mutlos geworden.» Wen meinten Sie mit «wir»?
Christian Zeyer: Ich meinte die Schweiz respektive ihre Politik und grosse Teile der Schweizer Wirtschaft. Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen und klammern uns ängstlich am Bestehenden fest.

Swisscleantech versteht sich als Hub der innovativen kleinen und grossen Unternehmen, die sich der Energiewende respektive der Klima-Nachhaltigkeit verschrieben haben. Sind auch Ihre Mitglieder mutlos?
Bei Gesprächen mit unseren Mitgliedern beeindruckt mich immer wieder, wie sehr sie an die Zukunft glauben, die Chancen sehen und diese auch ergreifen wollen. Aber wir sind noch zu wenige. Was wir eigentlich brauchen, ist eine wirkliche Wirtschaftsbewegung für mehr Nachhaltigkeit.

Was braucht es, damit sich mehr Firmen wirklich nachhaltig verhalten?
Sie brauchen Rahmenbedingungen, die sie dabei unterstützen. Heute wird aber oft zerstörerisches Verhalten belohnt und nachhaltiges Engagement bestraft. Die Umwelt gehört allen und kann heute oft unentgeltlich genutzt werden. Dabei nimmt sie Schaden – auf Kosten aller. Deshalb brauchen wir eine Politik, die Rahmenbedingungen zur Verfügung stellt, die das ändert und einen schonenden Umgang mit der Umwelt profitabel macht.

Simonetta Sommaruga sorgte in Rapperswil für eine hoffnungsvolle Stimmung. Sinngemäss sagte sie: Eine der Nachhaltigkeit verpflichtete Energiepolitik ist ein Geschenk für den Werkplatz Schweiz, denn die Investitionen bleiben künftig im Land, anstatt in die Golfregion abzufliessen.
Ja! Man muss allerdings auch bedenken: Politik muss in der Schweiz mehrheitsfähig sein. Simonetta Sommaruga kann Flagge zeigen, aber ob dies so stehen bleibt? Das Parlament entscheidet – also diejenigen, die diesen Herbst von uns gewählt werden.

Die Erdölindustrie hat im Parlament eine starke Lobby, mit Vertretern der Erdölvereinigung, von Economiesuisse, dem TCS, der ganzen Automobilbranche. Und Sie?
Wir sind die einzige politische Stimme in der Wirtschaft, die sich branchenübergreifend für solche Veränderungen der Rahmenbedingungen einsetzt. Wir vertreten heute etwas über 300 direkte Mitglieder und 20 Verbände. Bei rund 400 000 Firmen im Land ist das noch nicht die starke Bewegung für eine nachhaltige Wirtschaft, die uns vorschwebt. Wir wollen darum weiterwachsen und stärker werden.

Hat Swisscleantech in Bezug auf seine Mitglieder eigentlich Ausschlusskriterien?
Nein. Bei uns sind alle Firmen willkommen, die mit unserer Charta einverstanden und der Meinung sind, dass es sich lohnt, möglichst bald die CO2-Neutralität zu erreichen.

Arbeiten Sie mit den Umweltverbänden zusammen?
Wir sprechen mit allen. Aber wir verstehen uns als Wirtschaftsbewegung und grenzen uns deshalb bewusst von NGOs ab.

Was halten Sie von den Forderungen der Klimajugend, bis 2030 CO2-neutral zu sein?
Das ist ein hehres Ziel, mit dem sie wahrscheinlich scheitern wird. Nicht wegen der Technologie, sondern wegen der mangelnden Umsetzung seitens der Bevölkerung und der Wirtschaft. Ich sehe in der Schweizer Wirtschaft – ausser bei unseren Mitgliedern – noch zu wenig Aufbruchstimmung. Mir scheint, dass die meisten Menschen zu Hause auf dem Sofa sitzen, die Nachrichten schauen und regungslos mitansehen, was da draussen mit dem Klima und unserer Erde passiert. Sie denken wahrscheinlich, dass es sie nichts angeht. Was sie dabei vergessen: Wenn wir nichts unternehmen, wird es unbequem auf dem Sofa.
Christian Zeyer, Chemieingenieur ETH, engagiert sich seit 2009 für Swisscleantech, seit 2017 in der Funktion des Geschäftsführers. (Foto: zvg)
Noch geht es uns gut, und wir können oder wollen uns nicht vorstellen, dass es einmal anders sein wird?
Oder sogar: Es geht uns gut, und wir haben das Gefühl, dass es uns weniger gut ginge, wenn wir etwas unternehmen würden. Klassische Vogel-Strauss-Politik. Und diese Angst wird bewirtschaftet. Es wäre wichtig, dem eine Vision entgegenzustellen. Technisch ist netto null machbar, sicher bis 2050, vielleicht auch schon bis 2030, aber ich rede nur von der technischen Machbarkeit. Man müsste die Prioritäten ganz anders setzen und drastisch weniger konsumieren. Ob die Leute dazu bereit sind? Was ich mit Sicherheit sagen kann: Die zwölf Bausteine, die wir benennen und erläutern (siehe Kasten weiter unten), sind wie Puzzleteile, sie passen zusammen, nichts fehlt. Wir müssen sie jetzt einfach zusammensetzen!

Welches sind denn die politischen Rahmenbedingungen, auf die Sie nun hinarbeiten?
Ganz konkret steht das CO2-Gesetz im Fokus, das im Herbst in die Revision geht. Wir setzen uns für die Weiterführung und den Ausbau der Lenkungsabgabe ein, damit das Gesetz kompatibel mit dem Pariser Klimaabkommen ist. Die Massnahmen, die der Bundesrat vorschlägt, sind sicher ein guter erster Schritt. Und es sollte möglich sein, dafür eine Mehrheit zu finden.

Das Reduktionsziel des Bundesrates stimmt aber nicht mit dem Paris-Abkommen überein, deshalb gibt es ja die Gletscher-Initiative. Trotzdem unterstützen Sie diese Stossrichtung?
Von den Massnahmen her: ja. Wir möchten aber natürlich ein stärkeres Ziel – eines, das auf dem Absenkpfad der Gletscher-Initiative ist, mit netto null bis 2050.

Power-to-X ist eine der Technologien, die Swisscleantech als Baustein für die CO2-neutrale Zukunft vorstellt. Damit kann Sonnen- und Windenergie in Wasserstoff und durch Beigabe von CO2 in einen Energieträger umgewandelt werden. Der Bundesrat widmete Power-to-X kürzlich ein Weissbuch. Was ist so bestechend daran?
Wenn wir hierzulande die erneuerbaren Energien, insbesondere die Solarenergie, ausbauen, werden wir vor allem im Sommer grosse Stromüberschüsse haben. Wir brauchen aber auch Energie fürs Fliegen, für den Schiffsverkehr und generell für Gütertransporte. Diese Lücke schliesst Power-to-X. Dabei entsteht synthetisches Gas oder Benzin, das kompakt ist und sich auch lange lagern lässt. Allerdings verliert man mit der Umwandlung zum lagerfähigen Rohstoff 50 bis 70 Prozent der Energie. Das ist nicht wahnsinnig effizient. Die Energie lässt sich zwar wieder in Strom zurückwandeln, man produziert dabei aber erneut einen Verlust. Es ist auch keine neue Technologie, man kennt die Wasserspaltung seit 80 Jahren. Jetzt erkennt man sie als Teil der Lösung. Aber sie ist nicht die alleinige Lösung.

Engagiert sich Swisscleantech auch im Bereich der Finanzindustrie?
Ja. Wir sind überzeugt, dass die Finanzindustrie transparenter werden muss. Denn wenn Sie Aktien oder strukturierte Fonds kaufen, wissen Sie oft nicht, welche Emissionen diese verursachen und welchen Risiken sie bezüglich Klimawandel ausgesetzt sind. Das sind wichtige Informationen für alle Investoren, sie sollten deshalb offengelegt werden. Dies sollte auch im Gesetz so verankert werden. Wir müssen auch darüber diskutieren, ob es für die Pensionskassen neue Anlagevorschriften braucht. Schliesslich legen diese unser eigenes Geld an, und wir haben wenig Einfluss. Will ich, dass mit diesem Geld Aktien einer Erdölfirma gekauft werden?

Die zwölf Bausteine von Swisscleantech für eine klimafreundliche Zukunft

  1. Gebäude auf Effizienz trimmen
  2. Wärme ohne CO2 produzieren
  3. Verkehr elektrifizieren
  4. Mobilitätsketten bilden und die Arbeit flexibilisieren
  5. Nachhaltige Stromproduktion steigern
  6. Neue Anreize im Strommarkt setzen
  7. In Stromnetze und Speicher investieren
  8. Die billigste Energie ist die nicht verbrauchte
  9. Power-to-X: mit Solarenergie Wasser spalten
  10. Kreislaufwirtschaft fördern
  11. CO2 braucht weltweit einen Preis

Weiterführende Infos
Artikel ausdrucken
Verwandte Artikel

Ein Unternehmen stellt um

Kann ein Unternehmen, dessen Kerngeschäft viel CO2 verursacht, die Energiewende vollziehen? Ja, sagt ausgerechnet ein Gas-Unternehmen: Energie 360°, der grösste Schweizer Gasanbieter, setzt auf erneuerbare Energien.
18.09.2019 von Esther Banz

Solarpioniere aus der Romandie ­erobern die Deutschschweiz

Der Jungunternehmer Pedro Miranda verfolgt ein ehrgeiziges Ziel: Bis Ende 2020 möchte er mit seiner Firma Younergy Solar SA 1000 Schweizer Einfamilienhäuser mit einer Solaranlage ausrüsten. Der Clou dabei: Die Bewohnerinnen und Bewohner müssen selbst kein Geld investieren, sie zahlen nur für den Strom.
18.09.2019 von Mirella Wepf