«Dass das Einkommen allein glücklich macht, würde ich nicht unterschreiben», sagt Tobias Schnell. Er leitet bei der Alternativen Bank Schweiz (ABS) die Personalabteilung. Mit seiner Einschätzung liegt er nahe an den Erkenntnissen der Glücksforschung. Diese hat herausgefunden: Geld macht zwar glücklich – aber nicht endlos. Zusätzliches Einkommen erhöht die Lebenszufriedenheit bis zu einer gewissen Höhe, dann nimmt der Effekt ab. Zu diesem Schluss kommt unter anderem der Schweizer Ökonom Bruno S. Frey. Der Grund sei, dass wir uns rasch an ein höheres Einkommen gewöhnen würden. Andererseits würden wir uns immer mit jenen vergleichen, die mehr hätten als wir. Das mache wieder unzufrieden, schreibt er in seinem Werk «Glück – Die Sicht der Ökonomie».
Weder zu wenig noch zu viel Einkommen scheint der Zufriedenheit und dem Glücksempfinden also zuträglich zu sein. Gute Nachrichten für die ABS: Sie ist dafür bekannt, dass sie zwar gute Löhne zahlt, aber besonders am oberen Ende der Lohnspanne weniger als in der Branche üblich. Wieso ist das so? Sind die Mitarbeitenden mit ihren Löhnen glücklich? Und findet die Bank trotzdem die nötigen Spezialistinnen und Spezialisten?
Bewusst keine Boni
«Vor allem die Löhne für höher qualifizierte Stellen und Führungskräfte sind bei uns wesentlich tiefer», sagt Tobias Schnell. Wie viel man bei der ABS verdient, wird mit einem Lohnsystem bestimmt.¹ Die Höhe des Lohns hängt dabei primär von der Funktion ab, die man erfüllt. «Vergleichen wir diesen Teil des Lohns mit der Branche, stehen wir gut da», hält Tobias Schnell fest. Die grossen Unterschiede würden beim Anteil des Leistungslohns entstehen. Dieser steige bei vielen Unternehmen mit zunehmender Verantwortung stark an. Bei der ABS hingegen ist der individuelle Leistungslohn bewusst sehr klein, und Boni gibt es auch keine.² «Mit beidem würden wir riskieren, dass sich Mitarbeitende zu stark auf ihre individuelle Leistung konzentrieren und quasi zu Einkommensmaximiererinnen und -maximierern würden», begründet Nicole Bardet, Mitglied der ABS-Geschäftsleitung. Der Blick für das grosse Ganze, das Kollektiv und die Bedürfnisse der Kundschaft ginge dann verloren.
Gerechte Verteilung der finanziellen Wertschöpfung
Eine zweite Eigenheit der ABS, welche die Lohnhöhe stark beeinflusst, ist die Begrenzung der Lohnspanne. Im Personalreglement der Bank ist festgelegt: Der höchste Lohn bei der ABS darf maximal fünfmal so hoch sein wie der tiefste. Derzeit beträgt die Lohnspanne 1 zu 3,2. Zusammen mit dem Lohnsystem trägt dieser Mechanismus dazu bei, einen Anspruch aus dem Leitbild der Bank zu erfüllen: Die Lohnunterschiede innerhalb des Betriebs sollen unterdurchschnittlich sein. «Die Idee hinter diesem Anspruch ist, dass die finanzielle Wertschöpfung der ABS gerecht auf alle Mitarbeitenden aufgeteilt wird», erklärt Nicole Bardet. Dass dies gelinge, könnten die Mitarbeitenden selbst überprüfen: «Bei uns herrscht Lohntransparenz. Alle Löhne werden intern offengelegt.»
Trotz tieferen Löhnen am oberen Ende der Lohnspanne findet die ABS die nötigen Fachkräfte. «Die meisten Bewerbenden haben im Internet recherchiert. Sie wissen, dass man bei uns weniger verdient als bei anderen Banken», sagt Tobias Schnell. Thema ist der Lohn am Anfang trotzdem: Wenn sie sich via Online-Tool bewerben, müssen die Bewerbenden ihre Lohnvorstellung angeben. Weicht diese stark von dem ab, was möglich ist, greift jemand von der Personalabteilung zum Telefon. Die Bewerbenden erfahren dann die effektiv mögliche Lohnsumme und können entscheiden, ob sie trotzdem im Rennen bleiben wollen. So erlebt hat das Philipp Brian, seit dem 1. September 2022 der neue Liquiditätsmanager der ABS. Dass seine neue Arbeitgeberin weniger zahlt als in der Branche üblich, wusste er. «Bei der Lohnvorstellung gab ich deshalb weniger an, als ich zuvor verdient hatte», berichtet er. Es war trotzdem noch zu viel. Als sich die Personalabteilung bei ihm meldete, hielt er fest, dass er auch so zufrieden wäre. Er fand dieses Vorgehen angenehm. «So schwebte diese Frage während des restlichen Bewerbungsverfahrens nicht mehr im Raum.»