Bei der ABS sind die Löhne tiefer als in der Branche üblich. Ein Problem ist das für die Bank aber nicht. Sie bietet ihren Mitarbeitenden viel anderes, das zufrieden und glücklich macht.
«Ich hatte Angst, als Erleuchteter oder als der Spinner zu gelten, der das Glück verkünden will, oder es anderen aufzwingen.» Als Pierre-Alain Rey, Risikoanalyst beim Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BZG), an seine Vorgesetzten herantrat, um über seine Teilnahme an der Ausbildung «Glück in Organisationen» zu verhandeln, zog er es vor, das Ganze als einen Prozess der persönlichen Entwicklung zu verkaufen. «Wie kann ich über meine Gefühle, Bedürfnisse und Träume sprechen? Es gibt ein grosses Defizit an individuellem und kollektivem Vokabular, um mitzuteilen, was uns im Alltag beschäftigt.» Aus diesem Grund hat er an der dritten Ausgabe des Certificate of Advanced Studies (CAS) teilgenommen, das ab 2019 an der Haute école de gestion (HEG) in Genf in Partnerschaft mit dem «Eurasia Learning Institute for Happiness and Wellbeing» angeboten wird.
Mehr als bloss Gutes tun
Auch Angélique Duruz, Absolventin der zweiten Ausgabe und Verantwortliche für die Ausbildung von Führungskräften bei der Gewerkschaft Unia in der Romandie, war auf der Suche nach Ressourcen, um sich und das Unternehmen, in dem sie damals arbeitete, weiterzuentwickeln. Vorbilder wie die Theorien der Liberated Companies oder der Teal Organisations waren ihr bereits vertraut, aber sie wünschte sich konkretere Entwicklungsschritte. «Eine Atmosphäre des Wohlwollens am Arbeitsplatz zu schaffen ist lobenswert, aber schwer umzusetzen. Wichtig dabei ist ein gewisses Mass an Reflexivität und Kompetenz von Seiten der Manager, gerade weil es da um die Mobilisierung zahlreicher Konzepte aus dem Management, der Psychologie und der Soziologie geht.» Der Titel des CAS machte sie neugierig, überzeugt aber haben sie die Referentinnen und Referenten, die an einem Präsentationsabend anwesend waren. «Sie schienen wirklich das zu verkörpern, was sie lehrten: Leadership in Resonanz, persönliches Glück, Achtsamkeit, vertrauensbildende Führungsmethoden, Kreativität, Teamgeist und Eigeninitiative. Es war so umfassend!»
Eine ganzheitliche Sicht des Glücks
Der Lehrplan für die postgraduale Ausbildung wurde von Eurasia entwickelt. Seit über 20 Jahren arbeitet diese Organisation «von der inneren Transformation zur sozialen Innovation» und verankert ihre Aktionen in den Grundsätzen des Bruttonationalglücks (BNG), diesem buddhistischen Entwicklungsparadigma aus Bhutan: Glück als stabiler und dauerhafter Zustand, der auf Harmonie mit sich selbst, anderen, der Natur und dem Gemeinwohl beruht. Aufbauend auf diesen Grundlagen entwickelt sie Projekte für Unternehmen, Institutionen und Schulen in verschiedenen Ländern Asiens und Europas. In der Schweiz hat sie unlängst auch die Bewegung HappySchools.ch lanciert, ein Programm für Lehrer und Schüler, das, wie der Name schon sagt, darauf abzielt, ganzheitliche und interdisziplinäre Lernprozesse zu schaffen. Dies soll eine tiefgreifende persönliche und kollektive Transformation fördern, die letztlich zu Glück und Wohlbefinden für alle Menschen führt.
Um diese Transormation geht es auch beim CAS: «Systeme sind die Manifestation unserer Denk-, Fühl- und Handlungsweisen. Die Qualität des Managements hängt daher nicht so sehr von den Fähigkeiten des Managers ab, als von seinem inneren Wesen und seiner Beziehung zu diesem Wesen», erklärt Edith Favoreu, Co-Direktorin des CAS und Verantwortliche für die Westschweiz des Programms HappySchools.ch. Der Ausbildungsgang richtet sich speziell an Manager oder alle Personen, die Teams betreuen, in Positionen mit dem Potential für Veränderungen innerhalb ihrer Struktur. Wobei es Edith Favoreu wichtig ist, ein gängiges Missverständnis auszuräumen: Glück kann man nicht lehren! «Es geht vielmehr darum, die sozial-emotionalen Kompetenzen zu trainieren: den Kopf (Wissen), das Herz (Lebenskunst) und die Hand (Schaffenskraft) zu bilden und vor allem zu verbinden. Das Bewusstsein für sich selbst und seine Gefühle zu entwickeln, um gesunde Beziehungen auf der Grundlage von Empathie und Mitgefühl aufzubauen und schliesslich verantwortungsvolle und ethische Entscheidungen zu treffen.»
Einmal durch das U gehen
Das neunmonatige CAS ist in vier Module aufgeteilt, analog zur U-Theorie, entwickelt von Management-Guru Otto Scharmer, unter anderem Dozent am MIT. Diese Theorie ist aus der Forschungsarbeit mit Führungskräften hervorgegangen, mit dem Ziel kollektive Lernprozesse anzustossen, hin zu einer anderen besseren Zukunft. Dazu wird der Einzelne in eine Bewegung, die des U, mitgenommen, dank der er die eingefahrenen Muster zu erkennen und dekonstruieren lernt, die uns immer tiefer in soziale und ökologische Krisen führen. Pierre-Alain Rey erinnert sich an seine ersten Tage der Selbstreflexion. «Es war eine totale Selbstentblössung, ich glaube die tiefgreifendste, die ich je durchgemacht habe. Ich habe eine ganze Menge von Werkzeugen erhalten, die mir geholfen haben, mich selbst zu reflektieren, mir selbst zuzuhören, meine Werte zu erkennen. Aber auch um zu verstehen, dass mein Verstand mir Streiche spielt, und die urteilenden, ängstlichen, zynischen Stimmen zu identifizieren.»
Konkrete Veränderungen
Während das BNB in Butan ein Indikatorensystem ist, das versucht, das Glück des Landes zu messen, werden seine neun Bereiche hier zu Leitlinien für die Reflexion über sich selbst und die Organisation, der man angehört: psychologisches Wohlbefinden, Gesundheit, Zeitnutzung, Bildung, Vitalität der Gemeinschaft, kulturelle Vielfalt und Resilienz, ökologische Vielfalt und Resilienz, gute Regierungsführung, materielle Bedingungen. Dieses neunteilige Raster inspirierte Pierre-Alain Rey. «Ich habe einen anderen Blick auf die Gesundheit meiner Berufsgemeinschaft geworfen. Viele meiner Kollegen leiden unter Schmerzen. Ich habe verstanden, dass unsere Emotionen nicht mit unseren Uniformen in der Garderobe bleiben. Ich übe mich in Nicht-Urteilen und empathischem Zuhören, und das ändert alles! Und ich erkenne auch die ersten ‹Kollateralschäden›: Die Menschen nehmen sich öfter Zeit, miteinander zu sprechen.» Die Verlangsamung der Managementprozesse war an sich schon ein grosser Sieg ist, aber viel konkreter noch war die Entwicklung eines Leitfadens, der als Instrument zur Unterstützung der Entscheidungsfindung dient. Entstanden ist dieser im Modul «Prototyping», der letzten Phase der U-Theorie, in der diverse Methoden erprobt werden, darunter Design Thinking, Shared Governance und die Auswirkungen von Achtsamkeit auf das Management. «Die Skeptiker liessen sich überzeugen, als ich unser Budget am BNB gemessen habe und die negativen Auswirkungen der geplanten Kürzungen auf das Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachweisen konnte.» Organisation und Nutzung der Arbeitszeit sowie Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben sind die nächsten Themen, die Pierre-Alain Rey mit seinen neuen Werkzeugen angehen will.
«Es war für mich eine echte Revolution, an diesem CAS teilzunehmen, das auf einen systemischen Ansatz setzt, um die soziale Transformation durch das Individuum und die Organisation anzugehen.» Angélique Duruz bereitet derzeit einen Einführungskurs in sozial-emotionale Kompetenzen vor, den sie für Unia-Kader konzipiert hat und dessen zwei Tage bereits ausgebucht sind. Ist Glück der Schlüssel zu einer innovativen und erfolgreichen Organisation? Als Leitlinie – durchaus: «Im Allgemeinen sollte die aktuelle Krise die Führungskräfte dazu veranlassen, sich für die Entwicklung resilienter wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Strategien zu rüsten. Es geht letztlich darum, sich entschieden menschlicher und verantwortungsbewusster zu verhalten». Und wie das im unternehmerischen Kontext geht, das kann man lernen.