Die Oberfläche der Erde besteht zu fast einem Drittel aus Land, rund 150 Millionen Quadratkilometer sind es insgesamt. Wann im Lauf der Weltgeschichte der letzte von all diesen Quadratkilometern von einem Staat in Anspruch genommen wurde, ist schwer zu sagen – es muss wohl irgendwann im 19. Jahrhundert gewesen sein. Aber eines ist heute klar: Die Zeit, als noch vermeintlich «leere» Landschaften gefunden und besetzt wurden, ist lange vorbei. So etwas wie «unclaimed territories» gibt es nicht mehr; alles ist abgesteckt, jeder kleinste Flecken Land ist nationalstaatlich definiert und in privatem oder öffentlichem Besitz.
Moment, jeder kleinste Flecken? Nicht ganz. Tatsächlich gibt es heute noch immer ganz wenige Leerstellen auf der Weltkarte. Die bekannteste unter ihnen ist wohl Bir Tawil, ein Stück Wüste zwischen Ägypten und dem Sudan. Weil es zwei verschiedene Grenzverläufe zwischen den Anrainern gibt und die beiden Staaten lieber um ein grösseres Landstück an der Küste streiten, bleibt das rund 2000 Quadratkilometer grosse Gebiet sich selber überlassen: Bir Tawil scheint tatsächlich das letzte Stückchen Erde zu sein, auf das kein Staat Anspruch erhebt. Immer mal wieder kommen Private auf die Idee, eine Fahne in den Sand zu stecken, aber der infrastrukturfreie Streifen Wüste bleibt echtes Niemandsland.
Und es gibt noch mehr davon, im tiefen Süden, der Antarktis. Anders als beim Nordpol, bedeckt der Eisschild am Südpol tatsächlich eine grosse Landmasse. Gemäss Antarktis-Vertrag von 1959 gehört diese niemandem, bereits zuvor formulierte Gebietsansprüche von Neuseeland, Australien, Norwegen, Argentinien, Chile, Frankreich und Grossbritannien wurden eingefroren, neue sind verboten. So ist das flächenmässig grösste Niemandsland der Erde je nach Betrachtung die ganze Antarktis oder wenigstens ein Kuchenstück, das noch immer rund 38 Mal so gross ist wie die Schweiz (1 600 000 Quadratkilometer): Auf das sogenannte Marie-Byrd-Land hat kein Staat je Anspruch angemeldet. Es liegt südlich des Südpazifiks und damit im geopolitischen Nirgendwo. Allerdings ist es, wie aller Antarktis-Boden, mit einem über tausend Meter dicken Eispanzer versehen. Dass sich dort in absehbarer Zeit Menschen niederlassen werden, um den Boden urbar zu machen, ist entsprechend auch eingedenk des Klimawandels nicht zu erwarten. Aber die Schätze im Boden – sie wecken angesichts des schmelzenden Eises Begehrlichkeiten.
Dasselbe gilt für den Boden der Meere, in dem sich an vielen Stellen wertvolle Ressourcen befinden. Entsprechend sind auch um sie Territorial-Streitigkeiten im Gange. Vor allem um die sogenannten Kontinentalschelfe wird gerungen; sie stellen geologisch so etwas wie Verlängerungen der Landmassen dar. Eigentlich hätte kein Land Anspruch auf Meeresboden, der weiter als 200 Seemeilen (circa 370 Kilometer) von der Küste entfernt liegt, das ist im Seerechtsübereinkommen geregelt, der Meeresboden gilt als «common heritage of mankind». Kann ein Land aber nachweisen, dass der Schelf gewissermassen zum eigenen Grund und Boden «gehört», lässt sich diese Zone auf Tausende von Kilometern ausweiten. Geologen sind so zu politisch einflussreichen Personen geworden, in allen Weltgegenden erstellen sie Gutachten.