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05.12.2018 von Roland Fischer

Niemandsland, Jemandsland

Es gibt auf der Erde kaum einen Flecken sichtbaren Bodens, der nicht zu einem Staat gehört. Aber es gibt ihn. Und es gibt Erdenbewohner, die bereits heute mit ausserirdischem Boden Geschäfte machen.

Artikel in Thema Boden

Illustration: Claudine Etter
Die Oberfläche der Erde besteht zu fast einem Drittel aus Land, rund 150 Millionen Quadratkilometer sind es insgesamt. Wann im Lauf der Weltgeschichte der letzte von all diesen Quadratkilometern von einem Staat in Anspruch genommen wurde, ist schwer zu sagen – es muss wohl irgendwann im 19. Jahrhundert gewesen sein. Aber eines ist heute klar: Die Zeit, als noch vermeintlich «leere» Landschaften gefunden und besetzt wurden, ist lange vorbei. So etwas wie «unclaimed territories» gibt es nicht mehr; alles ist abgesteckt, jeder kleinste Flecken Land ist nationalstaatlich definiert und in privatem oder öffentlichem Besitz.

Moment, jeder kleinste Flecken? Nicht ganz. Tatsächlich gibt es heute noch immer ganz wenige Leerstellen auf der Weltkarte. Die bekannteste unter ihnen ist wohl Bir Tawil, ein Stück Wüste zwischen Ägypten und dem Sudan. Weil es zwei verschiedene Grenzverläufe zwischen den Anrainern gibt und die beiden Staaten lieber um ein grösseres Landstück an der Küste streiten, bleibt das rund 2000 Quadratkilometer grosse Gebiet sich selber überlassen: Bir Tawil scheint tatsächlich das letzte Stückchen Erde zu sein, auf das kein Staat Anspruch erhebt. Immer mal wieder kommen Private auf die Idee, eine Fahne in den Sand zu stecken, aber der infrastrukturfreie Streifen Wüste bleibt echtes Niemandsland.

Und es gibt noch mehr davon, im tiefen Süden, der Antarktis. Anders als beim Nordpol, bedeckt der Eisschild am Südpol tatsächlich eine grosse Landmasse. Gemäss Antarktis-Vertrag von 1959 gehört diese niemandem, bereits zuvor formulierte Gebietsansprüche von Neuseeland, Australien, Norwegen, Argentinien, Chile, Frankreich und Grossbritannien wurden eingefroren, neue sind verboten. So ist das flächenmässig grösste Niemandsland der Erde je nach Betrachtung die ganze Antarktis oder wenigstens ein Kuchenstück, das noch immer rund 38 Mal so gross ist wie die Schweiz (1 600 000 Quadratkilometer): Auf das sogenannte Marie-Byrd-Land hat kein Staat je Anspruch angemeldet. Es liegt südlich des Südpazifiks und damit im geopolitischen Nirgendwo. Allerdings ist es, wie aller Antarktis-Boden, mit einem über tausend Meter dicken Eispanzer versehen. Dass sich dort in absehbarer Zeit Menschen niederlassen werden, um den Boden urbar zu machen, ist entsprechend auch eingedenk des Klimawandels nicht zu erwarten. Aber die Schätze im Boden – sie wecken angesichts des schmelzenden Eises Begehrlichkeiten.

Dasselbe gilt für den Boden der Meere, in dem sich an vielen Stellen wertvolle Ressourcen befinden. Entsprechend sind auch um sie Territorial-Streitigkeiten im Gange. Vor allem um die sogenannten Kontinentalschelfe wird gerungen; sie stellen geologisch so etwas wie Verlängerungen der Landmassen dar. Eigentlich hätte kein Land Anspruch auf Meeresboden, der weiter als 200 Seemeilen (circa 370 Kilometer) von der Küste entfernt liegt, das ist im Seerechtsübereinkommen geregelt, der Meeresboden gilt als «common heritage of mankind». Kann ein Land aber nachweisen, dass der Schelf gewissermassen zum eigenen Grund und Boden «gehört», lässt sich diese Zone auf Tausende von Kilometern ausweiten. Geologen sind so zu politisch einflussreichen Personen geworden, in allen Weltgegenden erstellen sie Gutachten.

Wer Land nutzt, dem gehört es...

Landboden, der allen gehört, ist entsprechend in niemandes Besitz: So handhabten es viele Völker über Generationen hinweg. Dann kam die westlich-ökonomische Sichtweise mit ihrer Idee der Nutzung beziehungsweise Ausbeutung eines Landstriches – sie ist rechtsgeschichtlich von grosser Bedeutung. So wurde Wildnis ebenso wie gemeinschaftlich genutztes Land in einem juristischen Kunstgriff zu «Terra Nullius», das beanspruchen durfte, wer nachweisen konnte, dass er das Land urbar macht oder, besonders im Fall Nordamerikas, dass er Bodenschätze gefunden hat, die er zu fördern beabsichtigte. Die Überführung von einem nicht genutzten in einen genutzten Zustand diente als Begründung und Rechtfertigung für die Inbesitznahme. Damit hatte man einen juristischen Hebel, gegen den Ansprüche der Ureinwohner zwangsläufig ins Leere liefen, da diese das Land gar nicht in unserem Sinn «bewirtschafteten».

Heute und in Zukunft geht Land an Meer verloren – wegen der Erderwärmung steigen die Meeresspiegel, ganze Küstengebiete und Inseln drohen zu verschwinden. Was weniger bekannt ist: Auch das Gegenteil geschieht, zum Beispiel in Grönland, wo die Erwärmung doppelt so schnell voranschreitet wie in unseren Breiten, was vor allem in Südgrönland jetzt schon deutlich spürbar ist. Immer mehr Land wird theoretisch landwirtschaftlich nutzbar, es ist schon die Rede davon, dass Grönland zum Getreideexporteur für kälteresistente Pflanzen wie Randen oder Gerste werden könnte. Doch die Bodenschicht ist dünn – es wird wohl noch Jahrhunderte dauern, bis sich ein fruchtbarer Untergrund gebildet hat, der nachhaltig genutzt werden kann.

Luxemburg bringt sich als Pionier bei der «Landnahme» im All in Position.

Wem gehört das All?

Noch viel weniger fruchtbaren Boden wird man jenseits der Erde finden, aber manch geschäftstüchtiger Kopf fragt sich trotzdem schon mal: Wem gehört eigentlich das ganze All da draussen? In der Science-Fiction ist, in Anlehnung an die «frontiers», die die Ankömmlinge in Amerika immer weiter in den Westen vorstossen liessen, gerne von der Frontier im Space die Rede, von der Grenze zwischen besiedeltem und noch «menschenfreiem» All. Und auch hier scheint die Realität die Fantasie bereits eingeholt zu haben: Luxemburg zum Beispiel ist gerade daran, sich als Pionier bei der «Landnahme» im All in Position zu bringen. Dabei denkt man derzeit noch vor allem an «near-earth objects» (sogenannte NEOs), das heisst an Asteroiden – oder auch an den Mond. «Exploring new frontiers» ruft einem die Webseite spaceresources.public.lu entgegen, wobei man aber doch etwas gelernt haben will aus der terrestrischen Geschichte: «Luxembourg aims to contribute to the peaceful exploration and sustainable utilization of space resources for the benefit of humankind», Luxemburg wolle also zur friedlichen Erkundung und zum nachhaltigen Gebrauch von «space recources» beitragen, und zwar zum Wohl der Menschheit.

Grosse Worte. Noch kann niemand ausserirdisches Land beanspruchen, auch diesbezüglich gibt es internationale Abkommen. Es geht Luxemburg wohl eher um Standort-Marketing, darum, Start-ups ins Land zu locken, die zum Beispiel Techniken entwickeln, um ausserirdische Bodenschätze zu fördern. Auch ein windiger US-Unternehmer ist im Geschäft: Dennis Hope verkauft schon seit über zehn Jahren Landflächen auf dem Mond und ist damit dem Vernehmen nach längst Multimillionär geworden. Demnächst will seine Firma im All expandieren und «weiteren ‹himmlischen› Boden in unserem Sonnensystem auf den Markt bringen». Wer schon beim Mond zugeschlagen hat, werde zuerst erfahren, was neu im Angebot sei, verspricht das Unternehmen.

Unendliche Weiten da draussen, aber der Boden, auf dem Nahrung wachsen kann, ist klar begrenzt – und es gibt immer weniger davon: Bereits jetzt gehen Jahr für Jahr durch Erosion, Versalzung, Austrocknung, Wüstenbildung oder Flächenversiegelung zwischen fünf und sieben Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche verloren, mehr als die Fläche der Schweiz also.
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