Für eine gelingende Kreislaufwirtschaft braucht es grosse Veränderungen im Konsumverhalten. Aber wo setzt man am besten an? Verhaltenswissenschaftlerin Bettina Höchli von der Universität Bern gibt Auskunft.
Im Restaurant werden so grosse Portionen aufgetischt, dass die Gäste nicht alles essen und ein Teil im Abfall landet. Die Tomaten, die man auf dem Markt gekauft hat, gehen zu Hause in der Küche für ein paar Tage vergessen und werden schimmlig, sie landen bestenfalls im Kompost. Krumme Rüebli können die Bauern nicht verkaufen – und wenn sie diese nicht selbst essen, werden sie ebenfalls weggeworfen. Das sind drei Beispiele für Food-Waste: Lebensmittel, die zum Teil mit hohem Aufwand für den Menschen produziert werden und ihren Zweck nicht erfüllen. Auch wenn nicht alle im Müll landen, sondern teilweise kompostiert werden, führt dies zu einer gewaltigen Verschleuderung von Energie und anderen Ressourcen. So wird laut einer Medienmitteilung des Bundes «fast ein Drittel der für den Schweizer Konsum produzierten Lebensmittel verschwendet oder unnötig weggeworfen». Jede Schweizerin und jeder Schweizer sorgt demnach für durchschnittlich 330 Kilogramm Food-Waste pro Jahr, wenn man die Verluste entlang der ganzen Wertschöpfungskette (im In- und Ausland) einbezieht. Dies entspricht einer Abfallmenge, die 4,5-mal grösser ist als das Körpergewicht eines Menschen!
Haushalte verursachen den Löwenanteil
Die durch den Schweizer Konsum erzielten Lebensmittelverluste sind so gross, dass die Produktion auf der Hälfte der Schweizer Landwirtschaftsfläche für die Katz ist. Dies haben der WWF Schweiz und das Beratungsunternehmen PwC berechnet. In ihrer 2021 veröffentlichten Studie zählen sie auf, wer – gemessen an der Umweltbelastung – für wieviel Verschwendung verantwortlich ist: Demnach sorgen die Haushalte mit 38 Prozent für den Löwenanteil der Umweltbelastung durch Food-Waste. Es folgen verarbeitende Industrie (27 Prozent), Gastronomie (14 Prozent), Landwirtschaft (13 Prozent) sowie Gross- und Detailhandel (8 Prozent). Zu den Spitzenreitern unter den verschwendeten Produkten gehören Brot und Frischgemüse.
Mit «Food-Ninjas» gegen die Verschwendung
Mit der 2019 lancierten Kampagne «Save Food, Fight Waste» will die Umweltstiftung Pusch die breite Bevölkerung für das Thema sensibilisieren. Zur Initiative gehört eine informative Website: «Food-Ninjas» in schwarzem Gewand und Stirnband kämpfen hier statt mit Waffe «mit Herz und Verstand» gegen die Lebensmittelverschwendung und geben Konsumentinnen und Konsumenten wertvolle Tipps, wie sie Food-Waste vermeiden können. Beispielsweise empfehlen sie, jeden Einkauf sorgfältig zu planen, zu Hause im Küchenschrank für eine gute Ordnung zu sorgen und Lebensmittel kreativ zu verwerten.
Die Kampagne setzt neben der Website auch auf Spots und Anzeigen in klassischen Medien sowie auf Multiplikation durch Partnerorganisationen und durch Influencerinnen und Influencer. «Da die erste Phase der Kampagne in die Corona-Zeit fiel, konnten viele vor Ort geplante Events und Aktionen nicht stattfinden», sagt Kampagnenleiterin Clivia Bucher. Geklappt hat aber beispielsweise das Verteilen von nicht perfekten Lebensmitteln gemeinsam mit dem Schweizerischen Bauernverband im Hauptbahnhof Zürich. Ein weiterer Partner ist das Gastronomieunternehmen SV Group, das Firmenrestaurants und Schulmensen beliefert. Für die Zukunft erwägt man laut Bucher, stärker mit Schulen zusammenzuarbeiten. Neben den Konsumentinnen und Konsumenten gilt es auch, die verarbeitende Industrie, Detailhändler, Gastronomie und Landwirtschaft in die Pflicht zu nehmen. Zusammen sind sie für 62 Prozent der Umweltbelastung durch Food-Waste verantwortlich.
Lausanne setzt auf lokal produzierte Lebensmittel
Dem Thema angenommen haben sich das Beratungsunternehmen Deloitte und das Netzwerk Circular Economy Switzerland , dem auch grosse Firmen wie Coop, Holcim und die Schweizerische Post angehören. Gemeinsam haben sie dieses Jahr «The Circularity Gap Report» herausgegeben (siehe auch den Artikel «Keine Revolution, aber ein tiefgreifender Wandel»). Im zahlenlastigen und ziemlich trockenen Bericht ist dem Ernährungssektor ein eigenes Kapitel gewidmet. Als positives Beispiel wird dort neben der Kampagne von Pusch auch die Stadt Lausanne erwähnt, die in Kantinen der Verwaltung und an Schulen vermehrt nachhaltig produzierte Lebensmittel anbietet. Von den 1,3 Millionen Mahlzeiten, die Lausanne innerhalb von drei Jahren verkaufte, bestanden zwei Drittel aus lokal produzierten Nahrungsmitteln. Auch wenn es hier nicht direkt um Vermeidung von Food-Waste geht, sind lokal produzierte Lebensmittel sowie Biolandwirtschaft und integrierte Produktion wegen des geringeren Ressourcenverbrauchs sicher wichtige Schritte auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Ernährung.
Vereinbarung zwischen Bund und der Lebensmittelbranche
Insgesamt gibt es in der Schweiz zwar einige Initiativen, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Diese haben jedoch oft nur geringe Reichweite oder lokale Wirkung, wie der Bundesrat im April 2022 in der eingangs erwähnten Medienmitteilung unter dem Titel «Kampf gegen Food-Waste» schrieb. Aus diesem Grund verabschiedete die Landesregierung damals einen recht ambitionierten Aktionsplan, um die Lebensmittelverschwendung bis 2030 (im Vergleich zu 2017) zu halbieren. Für eine erste Phase bis 2025 plante der Bund, eine Vereinbarung mit Gastgewerbe, Handel, verarbeitender Industrie und Landwirtschaft abzuschliessen, um Food-Waste mit freiwilligen Massnahmen zu reduzieren. In einer zweiten Phase seien auch weitergehende Massnahmen möglich, hiess es in der Medienmitteilung. Die Regierung begründete den Aktionsplan nicht nur damit, dass durch Food-Waste Ressourcen verschleudert und die Umwelt belastet würden, sondern auch explizit mit dem Krieg in der Ukraine, der die Probleme bei der weltweiten Lebensmittelversorgung verschärfe.
Inzwischen ist die Vereinbarung zwischen Bund und Lebensmittelbranche unterzeichnet, und es wurden Arbeitsgruppen in den Bereichen Handel, Gastronomie und verarbeitende Industrie gebildet, wie Mediensprecher Robin Poëll vom Bundesamt für Umwelt auf Anfrage schreibt. Eine mögliche Massnahme sei, dass Haltbarkeitsdaten von Produkten verbessert würden. «Datierungen sollen, wo möglich, verlängert oder weggelassen werden», wenn dabei die Lebensmittelsicherheit nicht gefährdet werde, so Poëll. Ein Problem sei, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum oft als «Ablaufdatum» verstanden werde. Deshalb prüfe man neue Hinweise, wie zum Beispiel «mindestens haltbar bis und oft länger gut».
Auch für den neuen Umweltminister ein grosses Anliegen
Der Aktionsplan wurde noch unter Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP) beschlossen. Welche Priorität geniesst der Kampf gegen die Verschwendung von Nahrungsmitteln für den neuen Umweltminister und studierten Agronomen Albert Rösti (SVP)? Mediensprecher Poëll betont, dass der Aktionsplan vom Gesamtbundesrat verabschiedet wurde. Zudem schreibt er: «Die Vermeidung von Food-Waste ist Bundesrat Rösti ein grosses Anliegen, dem er auch persönlich hohe Aufmerksamkeit beimisst.»