Wenn es um Naturschutz und spezifischer um Biodiversität geht, macht sich leicht Ernüchterung breit – global geht es offensichtlich in die falsche Richtung, auch wenn es immer wieder hoffnungsvolle lokale Ansätze gibt. Eine neue Bewegung möchte die Dynamik umdrehen. Mehr Natur, nicht weniger! Mehr Biodiversität, mehr geschützte Landschaften. Immer öfter hört man von «Nature Positive» als Vision einer grüneren Zukunft; das reicht von naturbewussten Versicherungen über naturbewusste Modeschauen bis hin zu naturbewussten Städten. Grosse Unternehmen, darunter Salesforce, GSK, Holcim und Unilever, machen sich den Slogan zu eigen, und diesen Oktober gab es in Australien auch den ersten globalen Nature-Positive-Kongress. In einer Medienmitteilung lässt sich der frühere australische Finanzminister Ken Henry, der heute dem Nature-Finance-Council vorsteht, folgendermassen zitieren: «Indem wir zusammenarbeiten, können wir neue Geschäfts- und Finanzmodelle entwickeln sowie das rechtliche Umfeld besser gestalten, um Vorteile für die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Natur zu schaffen.»
Neue Geschäftsmodelle? Die Rangfolge im letzten Satz jedenfalls ist bezeichnend: Naturschutz, der nicht wehtut, sondern, ganz im Gegenteil, Vorteile für die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Natur bringt. Wer könnte da schon etwas dagegen haben? Wirtschaftsnahe Kreise ganz bestimmt nicht. Oder wie es Andrian Kreye, Feuilleton-Redaktor bei der «Süddeutschen Zeitung», nach einer Konferenz in München durchaus enthusiastisch beschrieb: «Erst wenn Wissenschaft und Technik, Politik und Wirtschaft gemeinsam erkannt haben, dass der Schutz der Umwelt nicht nur eine Polykrise, sondern ein Investitionsmodell sein kann, wird aus dem Protest und der Verzweiflung ein Schub der Innovation und Problemlösung.»
Naturverlust bis 2030 stoppen
Das Versprechen ist also, dass Naturschutz nicht nur ein abstraktes gutes Geschäft für die Zukunft ist, sondern ein ganz konkretes und renditeträchtiges für die Gegenwart. Statt starker Regulierung will die Nature-Positive-Initiative (NPI) Investitionen im privaten Sektor ankurbeln, um die Natur nicht nur zu schützen, sondern ihr sogar bei der Erholung zu helfen. Die NPI entstand aus einem Netzwerk von Umweltorganisationen, Plattformen für nachhaltige Wirtschaft und Forschenden und wird vom ehemaligen WWF-International-Chef Marco Lambertini geleitet. Ihr Ziel ist, ein ehrgeiziges, wissenschaftlich fundiertes und messbares globales Ziel für die Natur zu definieren und dieses international zu verankern. Konkret soll der Naturverlust bis 2030 gestoppt und umgedreht werden, mit einer «vollständigen Wiederherstellung bis 2050». Schon 2030 soll es in der Welt wieder «mehr Natur» als im Jahr 2020 geben, mit einer weiteren kontinuierlichen Erholung in den Folgejahren.
Zentral dabei sind Messgrössen für «Natur», denn die Initiative verspricht «positive outcomes», also positive Ergebnisse, und muss diese natürlich auch quantifizieren können. Bemessen werden etwa die Erhaltung und Wiederherstellung von Arten, Ökosystemen sowie natürlichen Prozessen auf allen Ebenen (global, national und einzelne Landschaften betreffend). Bei den Beispielen für diese Grössen wird es rasch unübersichtlich: Es kann da um die Verteilung oder das Aussterberisiko von Arten gehen wie um die «ökologische Integrität von Lebensräumen», um Migrationsmuster genauso wie um die Bindung und Speicherung von CO2.