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14.09.2022 von Christian Arnsperger

Geld schöpfen innerhalb der Grenzen unseres Planeten

Das jetzige Geldsystem ermöglicht Wirtschaftswachstum, ohne soziale und ökologische Kosten zu berücksichtigen. Der Ökonom Christian Arnsperger schlägt deshalb einen radikalen Systemwechsel vor: Tauschen sollten wir nicht Franken oder Euro, sondern Bruchteile eines ökologischen Fussabdrucks.

Artikel in Thema Abschied vom Wachstum

Geld ist für uns unverzichtbar. Es gibt uns Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, die unser Dasein strukturieren – selbst zu einigen der grundlegendsten. Es gehört zu den unverzichtbaren gesellschaftlichen Gemeingütern und muss als solches produziert werden: Es braucht Regeln und Institutionen, welche die Produktion von Geld organisieren und regulieren.

 

Wie funktioniert Geldschöpfung heute?

 

Unser aktuelles Geldsystem funktioniert auf zwei sehr unterschiedlichen, aber komplementären Ebenen. Einerseits schafft die Zentralbank im Interbankenkreislauf aus dem Nichts (das ist ihr ausschliessliches Recht und Privileg) den «Rohstoff» des Systems, das sogenannte Basis- oder Zentralbankgeld. Dieses zirkuliert nur zwischen den Geschäftsbanken, und zwar auf den Konten, die sie alle bei der Zentralbank haben. Andererseits geben die Geschäftsbanken Darlehen aus, mit denen sie aus dieser zentralen Geldbasis die grosse Masse an Buchgeld erzeugen (dies ist ihr ausschliessliches, in ihrer Bankensatzung verankertes Recht). Im Wesentlichen sind dies die Beträge auf unseren Bankkonten, die wir alle täglich für unsere Einkäufe, Bargeldabhebungen und Überweisungen verwenden.

 

All diese scheinbar banalen Vorgänge können nur funktionieren, wenn jede Geschäftsbank genügend Basisgeld auf ihrem Konto bei der Zentralbank hat, um den Verpflichtungen nachzukommen, die ihr durch das «Clearing» gegenüber allen anderen Banken auferlegt werden. Wenn sie zu wenig davon hat, kann sie – ausser in schweren Bankenkrisen, in denen das gegenseitige Vertrauen zusammenbricht – im Prinzip Zentralbankgeld von anderen Banken leihen. Andernfalls kann die Zentralbank ihr das fehlende Basisgeld leihen oder vorstrecken. Innerhalb dieser monetären Sphäre schafft die Zentralbank Basisgeld aus dem Nichts, indem sie auf eine Computertaste drückt; die Geschäftsbanken nutzen diese Zentralgeldbasis, um eine Hebelwirkung auszuüben und durch Kredite an Privatpersonen und vor allem an Unternehmen Buchgeld zu produzieren. Das so in Umlauf gebrachte Geld versorgt dann die reale Sphäre (Industrie- und Fertigungsproduktion, Konsum, Produktion öffentlicher Dienstleistungen) und die Finanzsphäre (Sparen, Spekulation).

 

 

Unbegrenzte Geldschöpfung ermöglicht unbegrenztes Wirtschaftswachstum

 

Der Vorteil dieses Systems ist aus kapitalistischer Sicht seine grosse Flexibilität – aus diesem Grund wurde es nach und nach eingeführt und erscheint uns heute als «natürlich»: Solange es Geschäftsprojekte gibt, die künftige Profite versprechen, solange also bei Unternehmen und Wirtschaftssektoren Möglichkeiten für Wirtschaftswachstum bestehen, die von einer ausreichend starken und zahlungsfähigen Konsumnachfrage getragen werden, finden sich auch Geschäftsbanken (die ebenfalls auf Profite aus sind), die bereit sind, Kredite zu gewähren. Damit produzieren sie Buchgeld, das sich durch Zirkulation in der gesamten Wirtschaft verbreitet. Die Zentralbanken wiederum werden in der Regel damit einverstanden sein, den Bankensektor (vor allem, wenn dieser durch diverse Fusionen und Übernahmen «too big to fail» geworden ist) mit ausreichend Basisgeld zu versorgen, damit die gesamte Logik von Produktion, Konsum und Wachstum weiter funktionieren kann.

 

Sie muss auch funktionieren, denn wie die grossen, häufig durch Banken- und Währungskrisen ausgelösten Rezessionen gezeigt haben, können viele von uns nicht mehr auf lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen zugreifen, wenn die Geldproduktion versiegt. Es ist die prinzipiell unbegrenzte Produktion von Bankgeld (durch Kredite, die hoffentlich auf realen materiellen und wirtschaftlichen Grundlagen beruhen), welche die prinzipiell unbegrenzte Produktion von Waren und Dienstleistungen und damit das prinzipiell unbegrenzte Wachstum unserer kapitalistischen Volkswirtschaften ermöglicht. Alle Unternehmen und Selbstständigen, die einen Bankkredit erhalten, geben ihrer Bank ein Versprechen auf künftiges Wachstum, und wenn diese Bank die Rückzahlungsfähigkeit ihres Gläubigers richtig eingeschätzt hat, wird sie mit Zentralbankgeld unterstützt. (Sie wird wahrscheinlich auch dann unterstützt, wenn sie sich verschätzt hat und der Kredit nicht zurückgezahlt wird, denn in diesem System kann man sich nicht allzu viele Bankkonkurse leisten).

 

Soziale und ökologische Schäden werden nicht berücksichtigt

 

Der grosse «blinde Fleck» dieses Systems – der selbstverständlich beabsichtigt und institutionell verankert ist – besteht darin, dass bei der Geldproduktion die Labilität und Knappheit der fürs Wirtschaftswachstum notwendigen menschlichen und natürlichen Ressourcen völlig ausser Acht gelassen werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass das so produzierte Geld die Ausbeutung von Arbeitskräften (ohne die es keine finanziellen Gewinne gibt) und die Extraktion von materiellen Ressourcen entlang der Produktionsketten der «Mehrwertschöpfung» zum Ziel hat. Was dieses System überhaupt nicht berücksichtigt, ist aber der «Mehrabdruck» – also der ökologische Fussabdruck, der entlang eben dieser Ketten schrittweise hinzugefügt wird. Unternehmen (und damit auch Banken) können nur dann Gewinne erzielen, wenn die Arbeitskraft wesentlich weniger kostet, als sie einbringt, und wenn für natürliche Ressourcen deutlich weniger bezahlt wird als die realen sozialen und ökologischen Kosten, die ihre Gewinnung und Nutzung (im Falle fossiler Ressourcen insbesondere ihre Verbrennung) verursachen.

 

Das bedeutet, dass die humanen und ökologischen Schäden (im Sinne der Überschreitung menschlicher und planetarer Grenzen), die durch die Produktion von Bankgeld entstehen, von vornherein nicht in den Produktionsprozess dieses Geldes einbezogen werden. Die Zentralbanken reden sich damit heraus, dass dies nicht in ihren Zuständigkeitsbereich falle. Und die Geschäftsbanken versuchen mehrheitlich, Greenwashing zu betreiben, indem sie die wahren menschlichen und ökologischen Auswirkungen ihrer Kredite und Investitionen verschweigen. Nur eine Handvoll ethischer und alternativer Banken versucht, diese Auswirkungen zu bewältigen, was derzeit jedoch auf rein freiwilliger Basis geschieht.

 

 

Bruchteile eines ökologischen Fussabdrucks als Tauschmittel

 

Der gesamte ökologische Fussabdruck unserer Volkswirtschaften ist deutlich zu gross, wie der jährlich vom Global Footprint Network veröffentlichte «Overshoot Day» zeigt. Für die Schweiz liegt er vor Mitte Mai, was fast drei Planetenäquivalenten entspricht. Das liegt vor allem daran, dass die Geldproduktion in unserem System derzeit völlig unzureichend an die ökologischen Realitäten angepasst ist. Die Regeln und Institutionen, welche die Geldproduktion organisieren und regulieren, sind unökologisch. Was wir untereinander tauschen sollten, sind Bruchteile eines ökologischen Fussabdrucks statt Franken oder Euro, sodass die Gesamtmenge des im Umlauf befindlichen Geldes – oder genauer gesagt die Summe aller Transaktionen, die mit dem im Umlauf befindlichen Geld entlang der gesamten Abbau-, Beschaffungs- und Verbrauchsketten getätigt werden – insgesamt einen ökologischen Fussabdruck erzeugt, der einem einzigen Planeten entspricht.

 

 

Es braucht eine vollständige ökologische Buchhaltung in Echtzeit

 

Die Überlegungen zu einem solchen Systemwechsel befinden sich heute noch in einem sehr frühen Stadium. Vor allem sollten wir über eine vollständige ökologische Buchhaltung in Echtzeit verfügen. Diese sollte zu jedem Zeitpunkt messen, wie weit jede Produktions- oder Konsumaktivität von der zulässigen Grenze von einem einzigen Planetenäquivalent entfernt ist (mit prohibitiver Bestrafung für jede Überschreitung dieser Grenze) und wie gross der zusätzliche Fussabdruck ist, der durch jede Produktionsaktivität in jedem Stadium einer beliebigen «Wertschöpfungskette» erzeugt wird.

 

Letztendlich muss das Geld durch den ökologischen Fussabdruck als Tauschmittel ersetzt werden. Ein Bankkredit sollte das Recht darstellen, einen Bruchteil des aktuellen und zukünftigen ökologischen Fussabdrucks zu besitzen und ihn in eine Ware oder Dienstleistung mit keinem oder nur geringem Mehrabdruck umzuwandeln – gewährt von einer Bank, die von der Zentralbank lizenziert ist. Deren Aufgabe würde nicht mehr darin bestehen, Basisgeld zu schaffen, sondern in Echtzeit den Stand der ökologischen Quoten zu überprüfen. Bankgeschäfte sollten nur innerhalb der Grenzen einer Wirtschaft mit geringem oder keinem Wachstum erlaubt sein. In einer solchen stationären Wirtschaft würden nur die Grundbedürfnisse der Bevölkerung bedient, und zwar von Unternehmen, die ihrerseits der Verpflichtung unterliegen, nur einen minimalen zusätzlichen Fussabdruck zu erzeugen.


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