moneta: Jacqueline Badran, was heisst Spekulation heute? Gibt es den Bodenspekulanten noch, der Land kauft und später mit viel Gewinn verkauft?
Jacqueline Badran: Ich mag das Wort Bodenspekulation nicht. Es ergibt ein falsches Bild in den Köpfen.
Weshalb?
Klar gab es Ende der 1980er-Jahre Spekulanten, die eine Immobilie kauften, drei Monate warteten und dann zum doppelten Preis wieder verkauften. Aber man muss sehen: Wir alle spekulieren doch, wenn wir eine Aktie oder eine Obligation kaufen. Wir gehen von einer Wette auf steigende Anlagen aus. Da rede ich lieber vom Kampf um die Bodenrente.
Das müssen Sie uns erklären.
Bodenrente ist ein Fachbegriff und meint, dass man nur dank Grundbesitz einen leistungsfreien Gewinn erzielen kann. Es gibt verschiedene Arten von Bodenrenten. Der Pacht- und Ernte-Ertrag war früher der Klassiker. In feudalen Zeiten mussten die Bauern dem Landvogt oder dem Bischof einen Zehnten abgeben. Heute haben wir die Mieterträge als Bodenrente. Das sind leistungsfreie Gewinne dank Grundbesitz. Und wenn ich eine Immobilie, die ich vor zehn Jahren für eine Million gekauft habe, für zwei Millionen verkaufe, habe ich einen Verkaufsertrag.
Und was ist mit den Planungsgewinnen?
Auch diese gehören zu den leistungslosen Gewinnen. Sie entstehen ja durch Ein- oder Umzonungen der öffentlichen Hand. Wenn auf einem Grundstück plötzlich zehn statt nur zwei Stockwerke erlaubt sind, ist das Land auf einen Schlag ein x-Faches mehr wert. Diese Gewinne fallen buchstäblich vom Himmel. Und hier setzt die Mehrwertabschöpfung an, die jetzt obligatorisch ist. Bekanntlich müssen die Kantone gemäss dem neuen Raumplanungsgesetz den Mehrwert, der durch Ein- oder Aufzonungen entsteht, besteuern. Die krassesten Bodenrenten sind aber die Infrastrukturgewinne.
Was verstehen Sie darunter?
Wenn eine Stadt Strassen, Tram, Bus, Schulen und Grünflächen baut, wertet sie die Umgebung enorm auf. Mit jeder Investition steigt der Verkehrswert der Immobilien, aber auch ihr Ertragswert, weil man dann mehr Miete verlangen kann. Genau diese Gewinne machen die Immobilienbranche zu der am meisten subventionierten Branche. Denn mit der Aufwertung der Infrastruktur betreibt der Staat indirekte Immobiliensubventionierung. Dagegen sind die Subventionen an die Bauern Pipifax. Wo solche staatlichen Investitionen fehlen, zerfallen die Häuserpreise, siehe USA. Das Wichtige aber ist, dass solche Investitionen den Staat zum Eingreifen legitimieren.
Wie kann der Staat hier intervenieren?
Unser Recht beruht auf einer Philosophie der Eindämmung der Bodenrente. Darum kennen wir zum Beispiel die Grundstückgewinnsteuer. Mit ihr wird ein Teil der privaten Gewinne wieder sozialisiert. Und im Mietrecht gibt es eine «Kostenmiete plus», die die Gewinne eindämmt. Aber bei den Infrastrukturen gibt es (noch) nichts. Daran müssen wir arbeiten.
Brauchen wir Ihrer Ansicht nach allgemein strengere Gesetze im Immobilienbereich?
Unser Recht wurde immer mehr aufgeweicht. Immobilien-AGs können heute mit aufgepumpten Rechnungen Grundstückgewinnsteuern vermeiden. Die Steuern wurden in vielen Kantonen massiv gesenkt, und zwar immer zugunsten der Immobilienwirtschaft und nicht zugunsten der Bevölkerung. Auch das Mietrecht mit der «Kostenmiete plus» ist komplett ausgehöhlt.
Sagen Sie uns das als Vorstandsmitglied des Schweizerischen Mieterverbandes?
Fakt ist, dass das Mietrecht die Kostenmiete vorsieht: Hausbesitzer dürfen nur eine Miete verlangen, die ihre Kosten deckt, plus einen angemessenen Ertrag. Das Bundesgericht definiert diesen so: Die Nettorendite darf nur ein halbes Prozent über dem Referenzzinssatz liegen. Unser Recht bindet also die Miete an die effektiven Kosten und deckelt den Gewinn. Zu Recht, denn Wohnen ist ein Zwangskonsum. Niemand kommt ohne eine Wohnung aus. In Tat und Wahrheit haben wir jedoch eine Marktmiete, obwohl diese verboten ist. In den Inseraten lesen wir: «Immobilie mit 6 bis 8 Prozent Nettorendite zu verkaufen.» Da werden massenhaft illegale Renditen erzielt. Das Mietrecht wurde ausgehöhlt, ohne dass je ein Gesetzestext geändert wurde.
Wie erklären Sie sich das?
Schwer zu sagen, es hat einfach eingerissen, und niemand hat protestiert.
Immer mehr Aktiengesellschaften kaufen Immobilien. Wie wirkt sich dies aus?
Das ist gravierend. Denn wir haben dann nicht mehr den verständnisvollen Hausbesitzer, der die Mieter noch kennt und weiss, wie viel diese zahlen können. Es zählt nur noch die Rendite. Die moralischen Barrieren sind aufgeweicht. Sobald sich ein solches System etabliert hat, denkt jeder anständige Hausbesitzer: Ich bin doch kein Idiot, der eine Dreizimmerwohnung für nur 1800 Franken vermietet, wenn der nebenan 3000 Franken verlangt. So schaukelt sich das hoch und wird letztlich zum Normalfall.
Warum führt niemand einen Musterprozess gegen illegale Mieten?
Ich finde es überhaupt eine Zumutung, dass der Mieter für die Einhaltung des Rechts verantwortlich gemacht wird. Man sagt den Bürgern auch nicht, sie sollten jemanden denunzieren, der zu schnell fährt. Die Rechtswahrung ist Aufgabe des Staates. Wir müssen weitergehen. Was wir brauchen, ist eine systematische Mietpreiskontrolle, wie wir sie bis in die 1970er-Jahre schon einmal hatten.
Unser Mietrecht will nur eine Missbrauchsgesetzgebung sein...
Das stimmt, und das war eine Antwort auf frühere Verhältnisse. Aber heute ist der Missbrauch zum Normalzustand geworden. Früher sprach man von Wuchermieten, alle verstanden das. Spricht man heute so, gerät man gleich in den Verdacht, ein linksextremer Klassenkämpfer zu sein. Dabei beschreibt man ja nur die Realität. Wir brauchen eine Preiskontrolle, weil es bei den Mieten um eine volkswirtschaftliche Umverteilung in Milliardenhöhe zugunsten der Besitzer geht. Den Mietern werden 15 bis 18 Milliarden jährlich zu viel aus der Tasche gezogen. Das sind krasse Dimensionen.
Immobilien werden immer mehr zur Kapitalanlage. Wie bewerten Sie diesen Prozess?
Das ist dramatisch. Seit der Jahrtausendwende sehen wir einen massiven Wandel. Immobilien werden genau gleich wie Aktien, Obligationen oder Gold behandelt. Das ist doch pervers, denn wir reden hier vom Lebensraum von Menschen. Wohnraum ist eine essenzielle Güterklasse wie Luft und Wasser.
Wer sind eigentlich die Akteure in diesem Prozess?
Es ist das globale mobile Kapital. Milliarden zirkulieren täglich um den Globus auf der Suche nach Renditen. Auch die Pensionskassen sind daran beteiligt. Ich finde ihr Argument, sie müssten Renditen erwirtschaften, um die Renten auszahlen zu können, ziemlich geschmacklos. Es ist auch volkswirtschaftlich falsch. Was nützt es mir, wenn mir monatlich 500 Franken zu viel Miete aus der Tasche gezogen werden? Dann kann ich genau diesen Betrag nicht fürs Alter sparen. Letztlich zahle ich mehr in die Pensionskasse ein, als ich Rente erhalte.
Und welche Rolle spielen die Immobilienkonzerne?
Wir haben mit den börsenkotierten Konzernen wie Mobimo, Allreal oder PSP Swiss Property neue Player im Markt. Auch für sie zählt nur die Rendite. Neue Aktiengesellschaften, die Immobilien erwerben, schiessen wie Pilze aus dem Boden. Viele sind nur fürs Geldwaschen da. Bekanntlich sind die Immobilien nicht dem Geldwäschereigesetz unterstellt. Wenn die Behörden nachfragen, woher das Geld stammt, dann hören sie «Darlehen von Firma X». Fragen sie diese, dann heisst es «Darlehen von Firma Y» usw. Es ist ein undurchsichtiges Schachtelsystem. An den wahren Eigentümer kommt man nie heran. Es ist nachvollziehbar, wenn Erbengemeinschaften Liegenschaften an den Meistbietenden verkaufen. So aber kommen immer mehr AGs zum Zug. Wir erleben eine Trendwende weg vom einzelnen Hausbesitzer hin zum anonymen Kapital.
Ist gegen diese Entwicklung kein Kraut gewachsen?
Gegen illegale Mieten, Anonymisierung des Grundbesitzes und Renditemaximierung kann man schon etwas tun. Wir müssen einmal das geltende Mietrecht mit der «Kostenmiete plus» durchsetzen. Ideal wäre wie gesagt die Einführung einer Mietpreiskontrolle. Dafür sehe ich allerdings keine Mehrheiten in der Schweiz. Entscheidend sind die Eigentümer: Wem gehört der Boden, wem fliesst die Bodenrente zu? Zum Glück haben wir potente Akteure auf dem Markt, nämlich die gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften. Sie beachten freiwillig die Kostenmiete und sind dazu da, Lebensraum von Menschen für Menschen zu bauen.
Leider verlieren die Gemeinnützigen Marktanteile, statt dass sie zulegen...
Hier ist die Gemeinschaft gefragt. Sie muss sagen: Wir wollen nicht Monat für Monat irgendeinem Immobilieneigentümer die Bodenrente finanzieren und ihm den leistungsfreien Zehnten abgeben. Wir wollen den gemeinnützigen dritten Weg gehen, der allen nützt. Denn da bin ich gleichzeitig Eigentümer und Mieter und muss keine privaten Gewinne finanzieren.
Wie lässt sich das Spielfeld für die Gemeinnützigen erweitern?
Da sind die Gemeinden und die Banken gefordert. Die Gemeinden sollen Land kaufen und dieses im Baurecht an Genossenschaften abgeben. Das ist für sie ein gutes Geschäft: Die Gemeinden behalten ihr Land, das immer mehr wert wird, es bleibt im Volksvermögen. Diese Anlage ist besser als jede Aktie. Die jährlichen Baurechtszinsen spülen ihnen eine sichere und risikolose Rendite in die Gemeindekasse. Und für die Banken ist dies eine absolut risikolose Finanzierung. Denn die Genossenschaften gehen nicht ans Limit. Sie haben keine Mietzinsausfälle, und sie können die Hypotheken wunderbar bedienen. Die Gemeinnützigen sind super Kunden für die Bankinstitute.
1988, vor genau 30 Jahren, wurde die Stadt-Land-Initiative gegen Bodenspekulation abgelehnt. 70 Prozent stimmten gegen diese Reform. Brauchen wir eine neue Bodenreform?
Die Linke hat jahrzehntelang keine Bodenpolitik mehr betrieben. Sie war traumatisiert von dieser Niederlage. Jetzt müssen diejenigen aktiv werden, die unbelastet von diesem Trauma sind. Das ist ein grosser Kampf. Der Boden ist unser grösstes volkswirtschaftliches Gut. Er ist vier Billionen Franken wert. Machen wir ein Gedankenexperiment: Hätte der Staat den ganzen Boden in seinem Besitz und würde er dafür eine jährliche Benutzungsgebühr von zwei Prozent verlangen, so ergäbe dies 80 Milliarden Franken jährlich. Wenn der Staat den Boden hätte, könnte er alle Steuern abschaffen und nur von dieser Nutzungsgebühr leben. So wie es heute die Privaten tun.