Ursula K. Le Guin, eine der wenigen grossen Frauen im Science-Fiction-Genre, sagte in einer Rede vier Jahre vor ihrem Tod 2018: «Es kommen harte Zeiten, und wir werden uns sehnen nach den Stimmen von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die Alternativen sehen zur Art und Weise wie wir jetzt leben. Die unsere, in Angst gefangene Gesellschaft und ihre obsessiven Technologien durchschauen, hin zu anderen Lebensentwürfen, und die echten Grund für Hoffnung imaginieren können.» Realisten einer grösseren Realität nannte sie diese «visionaries». Tatsächlich fühlt es sich momentan so an, als würde die Realität auf immer beengendere und ausweglosere Notwendigkeiten zusammenschrumpfen.
Wer traut sich noch, Zukünfte zu imaginieren – lebenswerte, positive Versionen von Zukunft? In der Literatur sind sie uns spätestens seit dem Erfolg von Cyberpunk Anfang der 1980er-Jahre mehr und mehr abhandengekommen. Diese Digital-Urerzählungen hatten zwar die Faszination der neuen Möglichkeiten sehr rasch erkannt, gaben ihnen aber von Anfang an eine dystopische Grundstimmung. Ein klassisches Beispiel ist William Gibsons «Neuromancer», der durchwegs im punkigen No-future-Register bleibt (und in dem die Schweiz übrigens eine zentrale Rolle spielt, als digitale Gelddrehscheibe). Gleichzeitig gewann das reale Silicon Valley immer mehr an Selbstvertrauen und wird seither nicht müde, immer neue grandiose «tomorrows» zu behaupten, mit immer neuen digitalen Gadgets, von denen längst nicht mehr klar ist, ob wir sie brauchen oder sie uns. Die transhumanistischen Visionen, die ebenfalls in diesem Milieu am besten spriessen, versprechen sogar den grössten aller Menschheitsträume, das Ende unseres Endes: die ganz prosaisch mit gentechnologischen Mitteln erreichte Unsterblichkeit.
So richtige Überzeugungskraft für breite Teile der Bevölkerung entwickelt aber weder das eine noch das andere. Ein glaubhaftes Zwischendrin wäre vonnöten, glaubt Nicolas Nova, einer der weitsichtigsten Design-Denker der Schweiz, der an der Hochschule für Kunst und Design in Genf lehrt und mit Kollegen das Near Future Laboratory betreibt, ein Schweizerisch-kalifornisches Design-Studio, das sich eher der Zukunftsrecherche als der konkreten Produktgestaltung verschrieben hat: «Die Polarisierung in Utopien und Dystopien ist nicht sehr hilfreich – es wäre viel besser, eine Vielzahl von Möglichkeiten entlang dieses Spektrums zu untersuchen.» Dafür sollten alle möglichen Zukunftsdenkerinnnen und -denker zusammenarbeiten, für die Entwicklung «plausibler und realistischer Zukunftsvisionen»: Architektinnen, Designer, Wissenschaftlerinnen, Schriftsteller.