Darf der Mensch Lebewesen ausbeuten und sich nicht für sie, sondern nur für ihre Produkte interessieren? Simple Antwort: ja natürlich, wenn diese Lebewesen Mikroorganismen sind. Von einer stillen Revolution in der pharmazeutischen und der Lebensmittelindustrie.
Die Natur ist voller Kreisläufe. Den simpelsten kennen alle: Wasser regnet vom Himmel, sammelt sich in Bächen, fliesst ab Richtung Meer, verdunstet, wird zu Wolken. Nichts geht verloren. Nichts kommt dazu. Auch alles Leben auf der Erde basiert auf solchen ineinandergreifenden Kreisläufen – man könnte sagen, sie bilden zusammen einen grossen, stoffumsetzenden Metabolismus. Die Idee wurde bekannt als Gaia-Hypothese, formuliert in den 1970er-Jahren von Lynn Margulis und James Lovelock: der Planet als grosser Organismus, mit einem übergeordneten – und selbststabilisierenden – Stoffwechsel, vom Leben angetrieben. So gesehen gibt es keine Hierarchie in Sachen Stoffwechselprodukte: Begriffe wie hochwertig/brauchbar/wertlos sind bloss eine Frage der Perspektive.
Nicht immer gab es Sauerstoff auf der Erde
Man liest derzeit ja öfter, dass der Mensch die erste und einzige Spezies ist, die so sorglos mit Ressourcen umgeht, dass sie nicht nur sich selber, sondern zusätzlich ganze Ökosysteme mit in den Abgrund reisst. Wirft man einen Blick weiter zurück in die Erdgeschichte, zeigt sich allerdings, dass es immer wieder zu solchen «Gleichgewichtskrisen» gekommen ist. In den Urzeiten des Lebens zum Beispiel wurde noch nicht «geatmet», die Atmosphäre war arm an Sauerstoff. Erst mit den Cyanobakterien (Blaualgen) kam die Fotosynthese in die Welt, vor etwa 2,5 Milliarden Jahren. Erstmals liessen sich aus energiearmen anorganischen Stoffen, vor allem Kohlenstoffdioxid und Wasser, auf sehr effiziente Weise energiereiche organische Verbindungen aufbauen. Dabei wird als Nebenprodukt auch elementarer Sauerstoff frei, und tatsächlich erwies sich, was die Cyanobakterien da erfunden hatten, als so erfolgreich, dass es zur sogenannten Oxidationskatastrophe kam – man könnte auch sagen, sie produzierten viel zu viel O2 als atmosphärischen Abfall. Viele ursprüngliche Lebensformen überlebten das nicht, für sie war eine solche Atmosphäre tödlich. Aber die Katastrophe führte bekanntlich dazu, dass wir «Verbrenner» uns entwickeln konnten, der Sauerstoff wurde zur Lebensgrundlage eines neuen biologischen Reiches.
Die Erde funktioniert insofern nicht nach der Logik des Verbrauchs, sondern des (kontinuierlichen) Stoffwechsels: Was «verbraucht» wird an Stoffen, dient irgendwo sonst wieder als nutzbarer Ausgangspunkt eines Energiezyklus. Zum Beispiel, wenn die Laubbäume ihre Blätter abwerfen, in denen viel Kohlenstoff gespeichert ist. Solange die Blätter am Baum sind, verwandeln sie Kohlenstoffdioxid mithilfe von Fotosynthese in Sauerstoff und Glukose (auch heute noch ganz ähnlich wie damals die ersten Cyanobakterien). Fallen die Blätter zu Boden, bilden sie eine wertvolle Futterschicht für allerlei (Kleinst-)Lebewesen. Beim Verdauen dieser Blätter befördern diese das CO2 wieder zurück in die Atmosphäre. Und im Frühling, wenn sich neue Blätter bilden, läuft die Fotosynthese von Neuem an.
Könnten Bakterien Plastik abbauen?
Biologisch gesehen dient ein Stoffwechsel immer dazu, Energie für einen Organismus zu gewinnen. Die ewig kreisenden Metabolismen auf der Erde sind allerdings kein Perpetuum mobile, sie funktionieren nur, weil sie von aussen angetrieben werden – von Sonnenlicht. Die Fotosynthese ist also gewissermassen die «Bergauf»-Seite im Kreislauf, ähnlich wie die Verdunstung beim Wasserkreislauf. Auf der anderen Seite kann man davon ausgehen, dass energiereiche Substanzen immer verwertet werden. Insofern ist für die Natur auch Plastik nicht «Abfall», sondern ein energiereicher Ausgangsstoff – im Prinzip. Nur gibt es die Wesen noch nicht, die damit effizient umgehen können. Gerade Kleinstlebewesen verfügen über ein unschätzbares Reservoir an Kreislauftricks, sie beherrschen oft Energiezyklen, die uns «Sauerstoffatmern» sehr bizarr vorkommen. Tatsächlich sind schon erste Bakterien gefunden worden, die über die nötigen Enzyme verfügen, um auch Kunststoffe abbauen zu können. Dass wir diese Stoffwechsel-Wundertüten endlich genauer erforschen, könnte sich also auch für eine echte Kreislaufwirtschaft als sehr wertvoll erweisen.