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13.03.2019 von «Moins!»

Die Care-Arbeit neu gestalten

Um wirkliche Gleichberechtigung zu erreichen, muss die Hausarbeit völlig neu organisiert werden. Oder: Was hat die ökologische Wende mit Feminismus zu tun? Ein Beitrag aus Sicht der Postwachstumsbewegung

Artikel in Thema Frauen und Geld
Der Originalartikel erschien in der Westschweizer Zeitschrift für politische Ökologie «Moins!» (Nummer 15).

Simone de Beauvoir soll sich damit gerühmt haben, nicht kochen zu können. Die Verweigerung von Hausarbeit war denn auch eine der ersten Manifestationen der Frauenbewegung. Viele Frauen waren und sind noch immer der Ansicht, dass das Leben als Frau am Herd «schlimmer als der Tod» sei.
Alle Frauen zu befreien gelingt jedoch nicht, indem der Wert der Hausarbeit oder der reproduktiven Arbeit im Allgemeinen geringgeschätzt wird. Möchten wir gemeinsam eine wirklich egalitäre Gesellschaft aufbauen, müssen wir zuerst anerkennen, dass die zahlreichen alltäglichen Arbeiten, die unter den Begriffen reproduktive Arbeit oder Care-Arbeit zusammengefasst werden, die Grundlage ebendieser Gesellschaft bilden. Dazu gehören das Zubereiten von Nahrung und Bereitstellen von Kleidung, die Kindererziehung, die Betreuung von Alten und Kranken und die Pflege von sozialen Beziehungen. Die Bedingungen zu verbessern, unter denen diese Leistungen erbracht werden, wäre ein Ansatz um die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu erreichen –  anstatt prioritär den verbesserten Zugang der Frauen zur Erwerbsarbeit zu fordern.

Hausarbeit und Geschlecht entkoppeln

Die Hausarbeit muss «geschlechterneutral» werden. Zwar können nur Frauen Kinder gebären und stillen, doch es gibt keinen biologischen Faktor, der es Männern verunmöglichen würde, zu putzen, zu kochen oder Windeln zu wechseln — seien es die ihrer Kinder oder die ihrer pflegebedürftigen Eltern. Eine egalitäre Beteiligung der Männer an der Care-Arbeit reicht jedoch noch nicht aus, um die Isolation zu beseitigen, die oft mit Hausarbeit einhergeht. In unseren modernen Gesellschaften ist die Welt der reproduktiven Arbeit durch die Erfindung von Haushaltsgeräten – vom Kühlschrank bis zur Waschmaschine – in kleinste Teile zerfallen und hat das Tätigkeitsfeld der Frau auf ihre vier Wände beschränkt. Niemand wünscht sich öffentliche Waschplätze zurück, doch es liegt ein grosses Potential in neuen Formen von gemeinschaftlicher und autonomer Organisation der Hausarbeit, die sich an alten Modellen orientiert. Von Gemeinschaftsgärten und -küchen, über selbstverwaltete Kinderkrippen, Tauschkreise und Einkaufsgemeinschaften bis hin zu Werkstätten für die Herstellung von Produkten zum Eigengebrauch sowie Quartier-Reparaturdiensten und Dorfkühlhäusern – es gibt zahlreiche Ansätze, mit denen eine ökologische Wende möglich ist. Eine Wende, die gleichzeitig viel demokratischer ist als jene, die verantwortungsbewusste Konsumentinnen und Konsumenten über kleine Gesten herbeizuführen versuchen.

Der Haushalt als Mittelpunkt des kollektiven Lebens

Die reproduktive Arbeit neu zu gestalten – wie dies schon zahlreiche Feministinnen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts versucht haben – bedeutet folglich, den Haushalt, im Sinne des griechischen oikos (von dem das Wort «Ökonomie» abgeleitet ist) neu zu definieren. Der Haushalt oder das Haus muss wieder zum «Mittelpunkt des kollektiven Lebens werden, ein von mehreren Personen in unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit bewohnter Lebensraum, der Sicherheit bietet, ohne zu isolieren, der die gemeinschaftliche Nutzung und die Zirkulation von Gemeingütern ermöglicht, ein Ort, an dem die zur gesellschaftlichen Reproduktion notwendigen Bande geknüpft werden».¹
Möchten wir aus unserer heutigen Gesellschaft ausbrechen – einer Gesellschaft, in der alle immer noch mehr arbeiten, niemand mehr Zeit für gegenseitige Hilfeleistung hat und jede Beziehung zu einer Handelsbeziehung zu verkommen droht –, müssen wir uns wieder kollektiv der Care-Arbeit annehmen, sozusagen von unten nach oben. Indem wir die Verantwortung für die menschliche Existenz weiterhin dem Staat überlassen oder gegen Bezahlung auf andere überwälzen, verlieren wird jede echte Autonomie. Sollten wir uns nicht die Zeit nehmen, neue soziale Beziehungen zu knüpfen, statt immer mehr Institutionen zu schaffen, die uns von der reproduktiven Arbeit befreien? Sollten wir nicht Orte schaffen, an denen wir uns um das Leben in all seinen Ausprägungen kümmern können? Um Menschen in allen Altersphasen, vom Säugling bis zum Greis? Wir könnten aus der Regeneration des Lebens unseren neuen Reichtum machen – das ist ein lohnenswertes Ziel für die Wachstumsgegnerinnen und -gegner! 

¹ Silvia Federici, Feminism and the Politics of the Commons, 2010
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