Öffentliches Geld ist in der Schweiz knapp, vor allem wenn es um Sozialausgaben geht. Ein Grund dafür ist das ökonomische Prinzip, dass das Staatsdefizit aus Gründen der Stabilität möglichst klein bleiben sollte. Für die Vertreterinnen und Vertreter der Modern Monetary Theory ist dies allerdings ein «Mythos».
«There is no such thing as a good tax.» Soll Winston Churchill mal gesagt haben. Es ist ein Lieblingsslogan der libertären Bewegung, aber wie so viele berühmte Zitate ist auch dieses wohl aus der Luft gegriffen. Wobei – ein grosser Freund von Steuern war Churchill nicht. Verbürgt ist zum Beispiel Folgendes: «Steuern sind ein Übel – ein notwendiges Übel, aber immer noch ein Übel, und je weniger davon wir haben, desto besser.»
Bürgerinnen und Bürger schützen – mehr nicht
Aber wie soll ein Staat denn sonst zu Geld kommen, wenn nicht via Steuern? Da haben Libertäre tatsächlich so ihre eigenen Ansichten – wobei sich zuerst die viel radikalere Frage stellt, ob sie überhaupt mit der Idee eines «Staates» leben können. Man kann da ganz gut einfach Churchill paraphrasieren: «Der Staat ist ein Übel – ein notwendiges Übel», und so weiter. Die (politisch bedeutungslose) Libertäre Partei der Schweiz sieht dementsprechend «die einzig legitime Aufgabe des Staates [darin], die Freiheitsrechte der Bürger zu garantieren». Man nennt es in libertären Kreisen auch gern «Minimalstaat». Und dessen einzige Aufgabe bestünde im Schutz von Leib und Leben beziehungsweise Eigentum der Bürgerinnen und Bürger.
Einen solchen Minimalstaat hat auch Javier Milei mit Argentinien im Sinn. Wobei sich nun zeigt, dass sich die Abschaffung des Staates nicht in einem bürokratischen Handstreich vollstrecken lässt. Die Verwaltungsgerichte legen sich quer, die Menschen demonstrieren in Massen, und die Reduktion von achtzehn auf neun Ministerien ist fürs Erste auf Eis gelegt. Am diesjährigen WEF ist Milei dennoch sehr warm empfangen worden.
Panarchie: nicht-territoriale Regierungen im Wettbewerb
Noch weiter gedacht, fügt sich der Staat gleich komplett in eine Marktlogik ein. Dann wäre er nicht gesellschaftliche Notwendigkeit, sondern bloss ein Anbieter von Dienstleistungen, bestenfalls gleich noch einer von mehreren. Manche nennen das «Panarchie», und spätestens an dem Punkt merkt man, dass hier Kategorien von links und rechts gehörig durcheinandergeraten. Wie jeder Vertrag wäre auch der mit einer Regierung geschlossene Sozialvertrag in der Panarchie «weder hypothetisch noch illusorisch, sondern im Gegenteil konkret, freiwillig und widerrufbar». So formuliert es Gian Piero de Bellis, ein Alt-Anarchist aus Saint-Imier, der auch das letztjährige Treffen zum 150-Jahr-Jubiläum der Antiautoritären Internationalen mitorganisiert hat.
Umgekehrt klingt es im libertären Spektrum, das eher dem rechten politischen Spektrum zugeordnet wird, mitunter antiautoritär. Steuern denkt man sich da gern als aufgezwungenes Machtmittel des Staates, eine Abmachung, die der Bürger nicht unterzeichnet hat. Was wiederum fatal an die «Reichsbürger» erinnert, die in ihrer Staatsablehnung aber eher ins Esoterische und Verschwörungstheoretische abdriften. Libertäre sehen das pragmatischer, sie sind durchaus bereit, für die genossenen Dienstleistungen entsprechend zu bezahlen. «Keine Steuern» muss insofern nicht zwingend heissen, dass weniger Kosten zu Buche schlagen für die Dinge, um die sich normalerweise ein Staat kümmert.
Den Staat «disruptieren»
Es erstaunt nicht, dass diese leistungsorientierten Marktideen viele Anhänger in Tech-Kreisen haben. Gerade das Silicon Valley wartet immer wieder mit wilden Ideen auf, wie man den Staat «disruptieren» könnte. Das Lieblingstool der technischen Befreiungsapostel: Kryptowährungen – Geld, von staatlicher Kontrolle befreit.
Sind das alles womöglich einfach elaborierte Steuerhinterziehungsvehikel? Eine der FAQs auf der Website des Seasteading Institute, das schwimmende Länder in internationalen Gewässern realisieren möchte, bringt es auf den Punkt: «Seid ihr bloss ein Haufen Libertärer, die keine Steuern zahlen wollen?» Die Antwort? Klassisch technikzentriert: Seasteading sei kein Gesellschaftsplan, sondern eine Technologie, mit der jeder seine eigenen Gesellschaftspläne ausprobieren könne. «Metapolitical» sei die Vision. Ehrlicher wäre, sie würden es gleich «apolitisch» nennen.