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04.12.2024 von Esther Banz

Basel, du Hoffnungsort?

Die Stadt am Rhein hat ehrgeizigere Klimaziele und einen stärkeren Wohnschutz als andere. Auch ­offener und experimentierfreudiger ist sie. Wie kommt das? Und wie hoffnungsvoll sind sie selber, die Hoffnungsmenschen der Autorin? Ein Tag der ­Begegnungen.

Artikel in Thema Hoffnung
Illustration: Claudine Etter

An einem Oktobermorgen sitze ich im TGV, mit einem leisen Gefühl von Fernweh. Ich werde schon in Basel wieder aussteigen – und freue mich, denn in Basel ankommen ist wie in einer etwas besseren Zukunft ankommen. Basel ist meine Hoffnungsstadt. Hier dürfen bereits ab 2035 keine Öl- und Gasheizungen mehr in Betrieb sein. Hier müssen sich die Menschen weniger vor Verdrängung fürchten als in den anderen grossen Städten der Schweiz. Und hier wagen ganz normale Menschen Experimente für die Zukunft. Heute treffe ich fünf dieser Pionierinnen und Pioniere. Mich interessiert, was sie antreibt und wie sie Basel sehen. Und natürlich möchte ich auch wissen, wie es um ihre eigene Hoffnung steht.

In einem Pulk von Pendlerinnen und Pendlern verlasse ich den Bahnhof und tauche in die Stadt ein. Die Luft ist kühl, das Licht warm.

Das Geld der Pharma- und Chemie-Industrie
Es ist nicht weit bis zur Innenstadt, wo ich als erstes mit der jungen, Grünen Grossrätin Jo Vergeat verabredet bin. Sie will mir das Gebäude zeigen, in dem Basel Klimageschichte geschrieben hat – respektive: wo eine Spezialkommission um Ziele und Worte gerungen hat. Basel rief im Februar 2019 als erste Stadt und erster Kanton der Schweiz den Klimanotstand aus; die damals 25-jährige Klima-Aktivistin rückte in dieser Zeit ins Parlament nach – und leitete in der Folge diese Spezialkommission. Es folgte eine erfolgreiche Abstimmung zu Netto-Null und schliesslich der auf der Kommissionsarbeit basierende Klima-Aktionsplan der Regierung mit 64 Massnahmen – sie geben Basel den Weg zu Netto Null bis 2037 vor; die Verwaltung soll bereits ab 2030 klimaneutral sein. Damit ist die Stadt am Rhein ambitionierter als jede andere in der Deutschschweiz und noch viel ehrgeiziger als der Bund. Der Basler Regierungsrat hat den Aktionsplan soeben verabschiedet.

Wie wurde dieser Erfolg möglich, frage ich Jo Vergeat, als wir gerade auf der Pfalz ankommen, jener Aussichtsterrasse hinter dem Münster, zu der Baslerinnen und Basler gerne auswärtigen Besuch hinführen. Die Soziologin, die sich schon während ihres Studiums kultur- und bald auch klimapolitisch engagierte, erinnert sich: «Die Klimabewegung war auf ihrem Höhepunkt. Alle Kommissionsmitglieder, ausser jene der SVP, waren bereit, etwas zu bewegen.» Sie könne diese Politikerinnen und Politiker noch heute auf die Werte und Ziele behaften, zu denen sie sich damals bekannten, sagt Vergeat, die sich beruflich mit der Archivierung und Dokumentation der Basler Fasnacht (ein Weltkulturerbe!) beschäftigt. Der Erfolg habe aber auch mit der politischen Kultur in der Stadt zu tun, überlegt sie: Man pflege einen freundlichen Umgang miteinander, denn «wir laufen uns ja dauernd über den Weg».

Auch die Lage Basels spielt eine Rolle: Am Dreiländereck Schweiz-Deutschland-Frankreich gelegen, bildet die Stadt das Zentrum einer grenzüberschreitenden Region. Viele Menschen aus Deutschland und Frankreich, aber auch anderer Länder und Kulturen arbeiten hier. Die Soziologin erwähnt an dieser Stelle die Pharma- und Chemieindustrie – Roche, Novartis, Syngenta heissen die in Basel ansässigen Giganten heute: «Ihr Geld gibt den Takt an.» Geld aus problematischen Profiten. Geld, das einen Schatten auf meine Hoffnungsstadt legt. Ich blinzle zu den nahen Roche-Türmen hinüber. Sie dominieren das Bild und sind Basels neues, wenn auch inoffizielles Wahrzeichen. «Die Macht der Pharma und überhaupt des Wirtschaftsnetzes durchdringt in Basel alles. Das zeigt sich etwa im Ungleichgewicht bei der Forschung – es ist krass, wieviel Geld in Hightech-Infrastruktur und in Bauten für naturwissenschaftliche Forschung geht. Hier wurden ja die Corona-Tests erfunden – entsprechend hat Basel von der Pandemie profitiert. Diese Macht und unsere Abhängigkeit davon machen mich manchmal schon ohnmächtig», sagt die Politikerin mit dem grünen Weitblick.  

Vorteil Stadtkanton 
Basel sei links-grün regiert, denken viele im Rest der Schweiz. Aber das gilt nur noch bedingt: 2020 verlor die Linke ihre Mehrheit, obschon die SP im Parlament mit Abstand am meisten Sitze hat. Die traditionsgemäss andere starke Kraft ist die bürgerliche LDP, sie vertritt das (alte) Geld und die konservativen Werte. Trotzdem kommt Basel in vielem voran, wo sich in anderen Städten wenig bewegt. Das liegt auch daran, dass die Stadt auch ein Kanton ist, zusammen mit nur zwei weiteren, kleinen Ortschaften. Zum Vergleich: In Zürich bremst der konservative Kanton die progressive Stadt regelmässig aus, vor allem beim Verkehr, aber auch beim Wohnschutz. 

Bevor Jo Vergeat ihrer Arbeit entgegen und mir davonspringen muss, möchte ich von ihr wissen, was ihr trotz allem, was sie über die rasch voranschreitende Klimakrise und ihre Auswirkungen weiss, Hoffnung macht. Ihre Antwort nach kurzem Überlegen: «Dass viele weitere an diesen sehr komplexen Fragestellungen zur Klimakrise und ihren Auswirkungen arbeiten. Dass andere Städte ebenfalls sehr ambitioniert vorwärts machen. Dass wir miteinander verbunden sind. Und natürlich die politisch aktive Jugend.» Und dann sagt sie noch: «In der Luxusburg Schweiz können wir uns ja sehr gut abgrenzen von all dem Unglück, das durch die Klimakrise schon da ist und das noch kommen wird. Es gibt Menschen, die es bereits sehr viel schlechter haben – und ich sehe, wie gross die Hoffnung dieser Menschen trotzdem ist. Das zeigt mir, dass die Hoffnung einen auch in schlechten Zeiten nicht verlassen muss.» Wir verabschieden uns. Ich schlendere durch die Altstadt, sorgen- aber auch vertrauensvoll. Und denke: Wie gut, Menschen wie Jo Vergeat in der Politik zu wissen.

Erfolgreich Wohnschutz erkämpft
Ein weiterer Grund, weshalb Basel mir Hoffnung macht, ist das Wohnen. Hier schützt das Recht die mietende Bevölkerung effektiver als überall sonst im Land (mit Ausnahme von Genf) vor renditemotivierten Kündigungen und Verdrängung. Mehrere Initiativen machten es möglich. Seit 2022 ist das Wohnraumfördergesetz in Kraft. Sanierung und Abriss von Wohnhäusern sind jetzt bewilligungspflichtig, und es gibt sogar eine Mietzinskontrolle. Den guten Wohnschutz hat der Mieterinnen- und Mieterverband Basel zusammen mit weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen, einer aktiven Bevölkerung und sogar den Wohnbaugenossenschaften (WBG) erkämpft, letztere sind anderswo zurückhaltender, wenn es nicht um ihre direkten Interessen geht.

Warum ist das in Basel anders? Und wie wirkt das neue Gesetz? Ich suche Ivo Balmer auf. Der Initiant des Mietshäuser Syndikats, das Mieterinnen und Mieter darin unterstützt, Häuser vor Abriss und Spekulation zu bewahren, ist im Vorstand des regionalen Verbandes der WBG und im Basler Parlament. Gerade waren Wahlen, Ivo Balmer zitterte im Vorfeld. Aber die SP, deren Mitglied er ist, gewann entgegen des allgemeinen Trends sogar einen Sitz dazu (auch die Grünen konnten sich behaupten).

Balmer holt Kaffee für uns beide, dann legt er los: «Seit das neue Gesetz in Kraft ist, haben wir keine Leerkündigungen mehr gesehen. Und Wohnungen dürfen nach Sanierungen nur sehr beschränkt teurer werden.» Der Schutz wirkt also. Nötig wurde er nach 2014. Basel habe damals als letzte Stadt in der Deutschschweiz die alten Gesetzgebungen gegen Abbruch, die es in vielen Städten gab, aufgelöst. Das war der Beginn der jüngeren Bewegung gegen die Verdrängung – und Ivo Balmer, der mit anderen zusammen auch die Genossenschaft Mietshäuser Syndikat gründete – sie unterstützt Mietende im Kauf von Häusern, um sie vor Abriss und Spekulation zu schützen – war einer der treibenden Kräfte.

Gelernt hatte Balmer den Widerstand und die Selbstermächtigung gegenüber reinen Profitinteressen in seiner Studienzeit in Leipzig. Dort war er in den Nullerjahren Teil einer studentischen Bewegung, die Häuser kaufte, um sie der Spekulation zu entziehen – wie es immer schon Zweck der Wohnbaugenossenschaften gewesen war, deren Geschichte in die Zeit und Not des Ersten Weltkriegs zurückreicht. Der Soziologe sagt: «Dass das Modell des antispekulativen Wohnungsbaus seit über hundert Jahren funktioniert, gibt mir immer wieder von neuem Hoffnung. Wohnbau-Genossenschaften sind stabil und das Gegenmittel zum renditegetriebenen Immobiliengeschäft. Ihr Zweck ist das Wohnen, nicht der Profit.» Dass Profit mit dem Grundbedürfnis Wohnen grosse Not verursacht und dem Zusammenhalt schadet, konnte die Wohnschutz-Bewegung in Basel inzwischen den meisten klar machen. Für ein starkes Gesetz hätte es vermutlich dennoch nicht gereicht. Basel profitiert auch hier von seiner politischen Autonomie als Stadtkanton. 

Riesige Industrieareale werden frei
Allerdings macht die Immobilienlobby bereits massiv Druck dagegen, «mit Motionen zur Abschwächung und auch mit persönlichen Angriffen. Der Gegenwind ist krass», sagt Ivo Balmer. Angst mache ihm der Druck nicht, «diese Kampagnen können wir schon unterbinden», sagt er und nimmt noch einen Schluck Kaffee. Was ihn ebenfalls hoffnungsvoll stimmt, sind die ehemaligen Industrieareale – riesige Flächen in der Stadt, die umgenutzt werden können. Freiräume für die Stadt der Zukunft. «Zürich hat bei diesen Transformationen oft versagt. Unsere Hoffnung ist, dass wir aus diesen Erfahrungen lernen können», sagt er – und seufzt trotzdem, denn der Kanton bestehe bei diesen grossen Bauprojekten noch viel zu wenig auf Nachhaltigkeit und bezahlbares Wohnen.

Ivo Balmer ist auch einer der Köpfe der Basler «Denkstatt Sarl», die urbane Räume neu denkt und weiterentwickelt. Sie ist eine der vielen Firmen und Organisationen, die Barbara Buser initiiert hat. Auch die Architektin treffe ich – was nicht ganz selbstverständlich ist angesichts der vielen Projekte, die sie – obwohl im Pensionsalter – vorantreibt. Kürzlich verlieh ihr der Kanton Basel-Stadt den Kulturpreis, als «Pionierin für eine qualitativ hochwertige und nachhaltige Baukultur, die Begegnungsorte für ein vielfältiges Kulturleben schafft.» Buser hat den Blick vieler verändert, auch meinen. Seit ich mich mit ihren Arbeiten beschäftigte, sehe ich in Gebäuden und Räumen potenzielle Weiterentwicklungen und Ressourcen für Neues – und natürlich Alternativen zum klimaschädlichen, oft unnötigen Abreissen und Neubauen.

Zukunftsräume trotz allem
Ich treffe Barbara Buser auf dem Franck-Areal, das vor kurzem noch Nestlé gehörte. Sie führt ein Filmteam über das riesige Industriegelände mit verschiedenen Fabrikgebäuden. Hier wurden bis vor wenigen Jahren Zichorien angeliefert, in Silos gelagert und schliesslich zu Kaffeeersatz verarbeitet. Ein vermögendes Basler Geschwisterpaar kaufte Nestlé das Gelände ab; die Gebäude werden nicht abgerissen, sondern neu genutzt. Barbara Buser und ihr Kollege Eric Honegger nehmen die Weiterentwicklung an die Hand, es soll – ohne grosse Veränderungen und so CO2-neutral wie immer möglich – ein Ort für Kultur und Kreislaufwirtschaft entstehen.

Die Baslerin macht zusammen mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern vor, wie man die Wegwerfgesellschaft beim Bauen überwindet. In den 1990er-Jahren gründeten sie die erste Bauteilbörse der Schweiz und danach viele weitere Organisationen und Firmen, etwa das Kreislauf-Planungs-Büro Zirkular. Barbara Buser inspiriert andere, längst weit über Basel hinaus. Das macht mir Hoffnung. Aber ausgerechnet sie tut sich schwer, sich hoffnungsvoll zu äussern. Gerade noch erklärte sie begeistert, wie sie sich in den hohen, jetzt noch kahlen Franck-Räumen das neue Schaffen vorstellt, das auf eine erhaltende Zukunft ausgerichtet ist – um dann zu sagen: «Die Römer vergifteten sich mit Blei, wir bringen uns mit Öl um.» Sie will kein Bekenntnis zur Zukunft abgeben, sondern wiederholt, was sie wohl schon oft gesagt hat: «Wenn wir die Zahlen zur Erderwärmung nüchtern anschauen, sehen wir, wie hoffnungslos verloren wir sind.»

Und doch schafft Buser diese Orte. Räume für ein Wirtschaften mit Zukunft. Sie engagierte sich auch aktiv für die Basler Klimagerechtigkeitsinitiative 2030 und für die Initiativen zur Verbesserung des Wohnschutzes. Ich merke, dass ich Mühe habe, ihre Absage an die Hoffnung zu akzeptieren. Ausgerechnet sie, deren utopisches Denken sich schon in der Gegenwart materialisiert, im wahrsten Sinn des Wortes, will mir sagen, dass es nichts zu hoffen gebe? Barbara Buser schaut mich etwas ratlos an und sagt dann: «Ja, das ist ein Dilemma.» Wir schreiten schweigend nebeneinander einen Korridor entlang. Da fällt ihr noch etwas ein. Die Architektin zitiert Antonio Gramsci. Der italienische Philosoph und Marxist hat im Gefängnis notiert: «Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.» Auch mit der Hoffnungsbotschaft, die Martin Luther zugeschrieben wird, kann sie etwas anfangen: «Selbst wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute einen Apfelbaum pflanzen.» Das kommt ihrer täglichen Arbeit sogar recht nahe.

Ein konkretes Ziel als Wegweiser
Kurz bevor wir uns verabschieden, erzähle ich Barbara Buser von Jinhee Park und Thomas Heiber. Die beiden kamen mir in den Sinn, als wir in der Halle auf dem Frank-Areal standen, in der in wenigen Monaten Unternehmerinnen und Unternehmer einziehen sollen, um mit ihren Ideen und Projekten die Kreislaufwirtschafts voranzutreiben. Ich hatte dem Paar, das im Bruderholz-Quartier lebt, zuvor einen Besuch abgestattet. Vor ihrem Wohnhaus steht ein Kühlschrank, darin hat es Tofu aus eigener Produktion – der Kühlschrank ist quasi ein Mini-Hofladen für die Menschen der Nachbarschaft. Jinhee Park stammt aus Südkorea, Thomas Heiber wuchs hier auf. Seit fünf Jahren produzieren sie in Handarbeit den «Tuyu Tofu» nach koreanischem Rezept. Das Soja ist aus der Schweiz, teils sogar in der Region gewachsen. Die beiden gehören zu einer wachsenden Zahl lokaler Produzentinnen und Produzenten von Lebensmitteln, die in Basel guten Absatz finden, in Läden und Restaurants. Trotzdem reicht das nicht, um ökonomisch nachhaltig wirtschaften zu können. Sie brauchen grosse Abnehmer, etwa Spitalküchen, Kantinen und Schulen. Und jetzt bewegt sich auch da etwas. Seit kurzem können sie die Küche einer Klinik beliefern. Der Aufwand, um dahin zu gelangen, brachte sie an ihre Grenzen – aber: «Ein konkretes Ziel zu haben, ist inmitten deprimierender Entwicklungen der beste Wegweiser, den ich mir vorstellen kann», sagt Jinhee Park: «Machen, was man machen kann. Und einander helfen.» Angefangen hätte sie übrigens bloss, weil sie nirgendwo in Basel und Umgebung guten Tofu finden konnte. Jetzt haben die beiden ein kleines, aber wachsendes Unternehmen. In einer Zwischennutzung eingemietet, brauchen sie schon bald einen neuen Produktionsstandort. Einen bezahlbaren zu finden, wird nicht einfach sein.

Als Barbara Buser von ihnen hört, sagt sie: «Sie würden gut hierher passen! Hier wurden mit den Zichorien immer schon Pflanzen verarbeitet. Sie sollen sich melden!» Und schon ist wieder Hoffnung geboren.

Es ist längst dunkel, als ich zum Bahnhof zurück spaziere. Aber Basel bleibt für mich ein heller Ort.

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