moneta: Wann dachten Sie das letzte Mal: Ich arbeite einfach zu viel?
Mirjam Brunner Es kommt darauf an, was man unter Arbeit versteht. Bezüglich Lohnarbeit kann ich mich sicher nicht beklagen. Ich habe einen Sechs-Stunden-Tag, und dies viermal pro Woche – bei entsprechender Lohneinbusse. Daneben leiste ich viel unbezahlte Care-Arbeit.
Im Durchschnitt arbeiten Vollzeitangestellte in der Schweiz 41,7 Stunden. Das ist Europarekord. Malochen Schweizerinnen und Schweizer einfach gern?
Nein, überhaupt nicht. Viele reduzierten ihr Pensum, weil ihnen eine Vollzeitstelle zu viel ist. Die Arbeitszeit bei vollem Pensum hat sich in den letzten 20 Jahren übrigens nicht reduziert, sie war schon damals gleich hoch. Nun suchen die Leute individuelle Wege, die Arbeitszeit zu verkürzen. Das ist problematisch, weil alle für sich schauen müssen. Zudem können viele schon aus finanziellen Gründen ihr Pensum nicht reduzieren.
Welche Arbeitszeitreduktion fordert die Gewerkschaft Unia?
Wir wollen eine massive Reduktion bei vollem Lohnausgleich. Zugleich fordern wir, dass mehr Personal angestellt wird. Es darf nicht zu einer weiteren Verdichtung der Arbeit kommen – wir möchten, dass die Leute gesund bleiben. Wir verhandeln für unsere Mitglieder Gesamtarbeitsverträge. Je nach Branche sind die Arbeitszeiten unterschiedlich lang und unsere Forderungen deshalb auch verschieden. Zum Teil geht es auch um eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit, wie wir dies im Baugewerbe ja schon erreicht haben.
Ein Elektrogeschäft in Spiez hat unlängst die Vier-Tage-Woche eingeführt – wegen des Fachkräftemangels. Ein Schritt in die richtige Richtung?
Ich denke schon. Dort, wo die Arbeitsbedingungen gut sind, findet sich genügend Personal. In vielen Berufen hat es zu wenig Leute, weil die Arbeitsbedingungen schlecht sind. Arbeitszeitverkürzungen motivieren viele Menschen, dies verbessert die Bedingungen also wesentlich.
Aus ökologischen Gründen fordert der Klimastreik Schweiz eine Reduktion der Arbeitszeit auf 24 Stunden pro Woche. Wie soll das bitte schön finanziert werden?
Der Klimastreik stellt die klassische Wirtschaftstheorie infrage, die davon ausgeht, dass es immer mehr Wachstum brauche. Und er argumentiert, dass wir damit an unsere planetaren Grenzen stiessen. Die Reduktion der Arbeitszeit kann demnach ein wichtiger Beitrag sein, um den notwendigen Wandel in der Wirtschaft anzustossen.
Weshalb sollte eine Reduktion der Arbeitszeit gut sein für das Klima? Fliegen die Leute dann nicht noch mehr in der Welt herum?
Diese Thematik ist noch nicht gut erforscht. Eine Studie zeigte aber, dass in Frankreich nach Einführung der 35-Stunden-Woche Eltern ihre Kinder vermehrt selbst betreuten oder Menschen öfter mit dem Velo oder zu Fuss unterwegs waren. Dies ist auch gut fürs Klima.
Es gibt viele Working Poor in der Schweiz, also Menschen, die trotz einem oder mehreren Jobs ökonomisch kaum über die Runden kommen. Macht sie eine Arbeitszeitreduktion nicht noch ärmer?
Wir fordern ja eine Arbeitszeitreduktion bei gleichem Lohn. Und wir verlangen gezielt Lohnerhöhungen in den Tieflohnbranchen. Generell ist die Arbeitsproduktivität in der Schweiz gestiegen, von 2016 bis 2022 um 10,3 Prozent. Die Nominallöhne stiegen in dieser Spanne aber nur um 3,4 Prozent. Dies zeigt, dass unsere Forderungen nicht aus der Luft gegriffen sind.
2050 sollte die Schweiz klimaneutral sein, dazu hat sie sich im Pariser Abkommen verpflichtet. Wie viele Stunden pro Woche werden wir dann noch arbeiten?
Als Gewerkschaft nennen wir keine konkrete Zahl. Ich persönlich stimme aber der Forderung des Klimastreiks nach 24 Stunden pro Woche bis 2050 voll zu. Arbeitszeitverkürzungen allein werden uns zwar nicht zur Klimaneutralität bringen. Sie sind aber Teil einer Transformation, die nötig ist.