Vor gut zehn Jahren sorgte ein kleiner Artikel für ziemlich grossen Wirbel, der Autor: ein gewisser David Graeber, eben mit «Schulden – Die ersten 5000 Jahre» zum Bestseller-Autor geworden. In den Artikel stieg Graeber so ein: «Im Jahr 1930 sagte John Maynard Keynes voraus, dass zum Ende des Jahrhunderts der technologische Fortschritt es Ländern wie Grossbritannien oder den Vereinigten Staaten ermöglichen würde, eine 15-Stunden-Woche einzuführen.» Wie wir wissen, ist es dazu nicht gekommen, und die Fehldiagnose lag Graebers Ansicht nach nicht beim technologischen Fortschritt. Sondern in der Art und Weise, wie dieser in die Arbeitswelt zurückwirkt: «Technische Möglichkeiten wurden stattdessen genutzt, um uns alle noch mehr arbeiten zu lassen. Dazu mussten Arbeitsplätze geschaffen werden, die tatsächlich überflüssig sind. Massenhaft Menschen verbringen ihr gesamtes Berufsleben mit dem Verrichten von Tätigkeiten, die sie insgeheim als sinnlos einschätzen.» Bullshit-Jobs nannte Graeber diese Art von Arbeit, und er sah sie auf dem Vormarsch, vor allem im Kontext der Finanzindustrie. Eines seiner Lieblingsbeispiele: die Compliance-Abteilungen von Banken. In einem Interview sagte er dazu: «Niemand hat je die Absicht, auch nur eines dieser Gesetze zu befolgen […]. Es gibt da ganz aufwendige Rituale, mit denen man vorgibt, sich einem Problem zu widmen», obschon man eigentlich gar nichts tue. Graeber wusste auch, dass es da draussen nach wie vor ebenso jede Menge «shit jobs» gibt, sozial wertvolle, aber schlecht bezahlte Jobs. Bei den Bullshit-Jobs sah er die Situation genau umgekehrt.Graeber legte damit den Finger in eine schon länger schwärende gesellschaftspolitische Wunde: Wie sinnvoll kann Arbeit noch sein, wenn sie sich immer weiter von den produzierenden Ursprüngen entfernt? Wenn die allermeisten Menschen nicht mehr Brot backen, Viehherden hüten, Stadtmauern bauen?
Gewaltige Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt
Graebers Polemik kommt einem unweigerlich wieder in den Sinn, wenn man der aktuellen Diskussion um Purpose und New Work folgt. Eine ganze Generation scheint sich heute nach einer für sie sinnhaften Arbeit zu sehnen. Die Jobs dagegen, die aus Graebers Sicht sinnhaft sind, schmelzen immer mehr dahin. So jedenfalls der wirtschaftshistorische Kontext, der auch Graebers Argumentation bestimmt – denn im Verlauf der letzten gut hundert Jahre kam es zu gewaltigen Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt. Die Zahl der Stellen im Bereich der Industrie und der Landwirtschaft ist drastisch zurückgegangen, die Zahl der «Fachleute, Manager, Sachbearbeiter, Vertriebs- und Service-Angestellten» habe sich dagegen verdreifacht, sodass sie nun, Ende des Jahrhunderts, plötzlich drei Viertel statt vorher ein Viertel aller Beschäftigungsverhältnisse ausmachen. Graeber beschreibt es als «ein Aufblähen nicht nur des Dienstleistungssektors, sondern überhaupt des administrativen Sektors».
Es ist also nicht verkehrt, mal konkret nachzufragen, wie viel Sinn Menschen denn tatsächlich in der Arbeit finden. Genau das untersucht der Soziologe Simon Walo von der Universität Zürich. Es sei gar nicht so einfach zu fassen, was als «sinnvolle» (im Englischen «meaningful») Arbeit angesehen werde. Zum Paket «Sinnhaftigkeit» gehörten zum Beispiel auch Weiterentwicklungsmöglichkeiten, also durchaus eigennützige Kriterien. Statt zu fragen, wie sinnvoll ein Job «an sich» ist, hat sich die Forschung deshalb pragmatischerweise darauf verlegt, den subjektiv empfundenen Sinn einer Arbeit zu bestimmen. Vollkommen überflüssige Jobs dürfte es nach reiner Marktlogik ja ohnehin gar nicht geben, die müssten über kurz oder lang wegrationiert werden. Von einer solchen «bereinigten» Arbeitswelt gehen Soziologen allerdings kaum mehr aus, wie Walo zu bedenken gibt, ein solches Argument setze eine «starke Rationalitätsannahme» voraus. Und diese sei inzwischen überholt – wir wissen es, der Homo oeconomicus ist eine Schimäre.
Makroökonomisches Rätsel «Vollbeschäftigung»
Und damit landen wir bei einem makroökonomischen Rätsel: Wie kommt es eigentlich, dass es immer genug Arbeit für alle gibt, zumindest mehr oder weniger? Oder anders formuliert: Was bedeutet «Vollbeschäftigung» genau und wie justiert sich dieser gesellschaftliche Idealzustand in einem marktwirtschaftlichen System? In einer Planwirtschaft wäre das leicht einsichtig, da kann Vollbeschäftigung als Grundparameter gelten, nach dem man vieles andere ausrichtet. Aber wie kommt es in einem Land wie der Schweiz zum irgendwie magisch anmutenden Gleichgewichtszustand, in dem sich die Anzahl Stunden, die arbeitsfähige Menschen leisten können, über längere Zeit die Waage hält mit der tatsächlich «nötigen» Arbeit? Auch Simon Walo kennt das Rätsel, er nennt es «eines meiner Lieblingsphänome». So einfach, wie von Keynes – oder auch von Graeber – beschrieben, sei es auf jeden Fall nicht. Wenn in einem Sektor Stellen weggefallen seien, seien immer wieder in einem anderen neue entstanden – zwingend unsinnig müssten diese keineswegs sein. Die Zahlen zeigten auch keine rasche Zunahme von sinnlos empfundener Arbeit, wie von Graeber postuliert – seit das Phänomen untersucht werde, sehe man einen konstanten Anteil von etwa 20 Prozent Arbeitstätigen, die ihren Job als sinnlos ansehen. Ein beruhigender Befund sei das allerdings nicht, im Gegenteil: «Ein Fünftel der Erwerbstätigen hat das Gefühl, etwas komplett Sinnloses zu tun: Das ist viel zu viel!» Dass die These von den Bullshit-Jobs vor allem von Mainstream-Ökonomen gern rundweg abgelehnt wird, hat Walo veranlasst, für ein wenig Empirie zu sorgen. Der Artikel «‹Bullshit› After All? Why People Consider Their Jobs Socially Useless» stützt Graebers These im Grossen und Ganzen.
Grundeinkommen statt Bullshit-Job?
Wie könnte man also für mehr Sinn sorgen in der Arbeitswelt? Walo nennt eine stärkere Regulierung des Finanzsystems, insbesondere des «Casino-Kapitalismus», für Graeber einer der Gründe für die Entstehung von Bullshit-Jobs. Oder gleich ein bedingungsloses Grundeinkommen? Das würde Menschen die Freiheit geben, tatsächlich nur noch Jobs auszuüben, die sie als sinnvoll erachten. Eben diese Idee hat in letzter Zeit wieder Auftrieb erhalten im Rahmen der jüngsten sogenannten «automation anxiety», die sich nun ganz um KI dreht. Der Begriff beschreibt die wiederkehrende Angst vor der Automatisierung als grossem Jobkiller – was aber bis jetzt nie eingetroffen ist. Könnte sich das nun ändern, sehen wir mit der künstlichen Intelligenz so etwas wie die ultimative Obsoleszenz des Menschen kommen, zumindest als Arbeiter? Der Philosoph Nick Bostrom spricht in dem Zusammenhang gern von einer «solved world» und davon, wie uns eine solche Welt die Freiheit bieten würde, «to be the best people we can be». Das beste Ich: keines, das von Lohnarbeit geknechtet wird, für die Silicon-Valley-Utopisten jedenfalls.
Das klingt seltsam technokratisch. Was wurde da genau «gelöst»? Wohl nicht das uralte Problem der Gerechtigkeit. Aber vielleicht lohnt es sich ja tatsächlich, wieder mal sehr grundsätzlich über den Sinn von Arbeit nachzudenken. Und vor allem darüber, wie viel unserer Zeit wir der schnöden Aufgabe widmen wollen, unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Oder noch grundsätzlicher: Ist der Lebenssinn eher im Job oder neben dem Job zu finden?