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04.12.2024 von Pieter Poldervaart

Nachhaltigkeit ist mehr als Netto-Null

Die ABS fördert den gemeinnützigen Wohnungsbau: 65 Prozent der Immobilienfinanzierungen und sogar rund 50 Prozent aller ABS-Kredite gehen an Immobilieneigentümerinnen und -eigentümer, die bezahlbaren Wohnraum anbieten. Zugleich möchte die ABS die Klimawirkung ihrer Finanzierungen verbessern, was zu Zielkonflikten führt. Nachhaltiges Bauen und Sanieren zum Beispiel umfasst viel mehr als die Umstellung auf CO2-neutrale Heizsysteme. Warum das so ist, erklären Mariacarla Capillo vom Beratungsunternehmen Wüest Partner AG und Andreas Gysi von der Stiftung PWG zur Erhaltung von preisgünstigen Wohn- und Gewerberäumen. Ein Gespräch über energetische Sanierungen, hohe Nutzungsdichten bei Altbauten, das Einsparen von grauer Energie¹ und die Bemühung, Mieten möglichst tief zu halten. 


Beitrag der ABS
Artikel in Thema Hoffnung
Foto: zvg, Stiftung PWG
Der Ersatzneubau Rautihalde 15/19 der Stiftung PWG in Zürich-Altstetten wurde u. a. durch wärmedämmendes Einsteinmauerwerk in kostengünstiger und ökologischer Bauweise errichtet und erhielt die Auszeichnung für gute Bauten der Stadt Zürich.

Frau Capillo, gemeinnützige Wohnbauträger (GWBT) haben den Ruf, besonders ökologisch zu agieren. Trifft das zu?
Mariacarla Capillo (MC): Was die Betriebsenergie angeht, sind GWBT an beiden Polen angesiedelt: Projekte wie die als 2000-Watt-Areal zertifizierte Kalkbreite in Zürich machen vor, was möglich ist. Andere hingegen investieren nur das Allernötigste.

Herr Gysi, die Stiftung PWG erneuert nach dem Motto «So spät wie möglich, so früh wie notwendig». Warum sind Sie so zurückhaltend bei Erneuerungen?
Andreas Gysi (AG): Das Wort «preisgünstig» in unserem ­Namen verrät schon unsere Mission, in der Stadt Zürich bezahlbaren Wohnraum zu erhalten und zu schaffen. Saniert wird, wenn es der bauliche Zustand verlangt.

Aber dann kommt es zu umfassenden Erneuerungen?
AG: Wir analysieren im Einzelfall, was möglich und sinnvoll wäre. Doch oft belassen wir es beim Austausch von Küchen und Bädern sowie dem Ersatz der Leitungen. Werden die Küchengeräte ersetzt, achten wir auf effiziente Kühlschränke und Geschirrspüler. Die energetischen Massnahmen umfassen in der Regel den Austausch der Fenster sowie die Dämmung der Fassade, des Estrichs und der Kellerdecke.

Warum wird die Gebäudehülle nicht immer gedämmt?
AG: Die Stiftung PWG besitzt viele Liegenschaften im innerstädtischen Bereich aus der vorletzten Jahrhundertwende. Die charakteristischen Zierelemente an den Fassaden würden bei einer Aussenwärmedämmung verloren gehen. Oft erneuern wir Liegenschaften innen und aussen zeitlich versetzt, um die Mieten tief zu halten und die Bewohnbarkeit während den Erneuerungen zu gewährleisten.

Bei einer Wärmedämmung steigen der Gebäudeversicherungswert und damit auch die Kostenmiete2.Gleichzeitig sinken die Ausgaben für Energie und folglich die Nebenkosten. Lohnt sich eine Sanierung auf lange Frist nicht trotzdem?
AG: Diesen Effekt sollte man nicht überschätzen. Wenn die monatlichen Nebenkosten um 100 Franken pro Wohnung sinken, schenkt das zu wenig ein. So leid es mir tut: Energetische Sanierungsmassnahmen rechnen sich bei den momentanen Energiepreisen monetär meistens nicht. Uns ist deshalb wichtiger, dass die bisherigen Mieterinnen und Mieter sich die Wohnung weiterhin leisten können. Denn diese soziale Dimension der Nach­haltigkeit steht bei der PWG im Vordergrund. Kommt dazu, dass unsere Liegenschaften sehr dicht belegt sind.

Wie erreichen Sie das?
AG: Unsere Formel lautet «Anzahl Zimmer minus 1 = minimale Belegungszahl». Das Potenzial dieses Mechanismus ist enorm: In der Stadt Zürich wäre es möglich, allein mit der Einführung von Belegungsvorschriften bei allen Wohnungen zusätzlichen Wohnraum für 80 000 Personen zu schaffen.

Frau Capillo, Verdichtung ist eine zentrale Forderung an den gesamten Wohnungsmarkt. Wo stehen wir?
MC: Das politische Ziel der Verdichtung wird im Neubau zwar umgesetzt – aber das verdichtete Bauen ist nicht mit der Nutzungsdichte gleichzusetzen. Verdoppelt sich bei einem Ersatzneubau die Anzahl Wohnungen, sagt das wenig über die Zahl der Menschen aus, die dort untergebracht sind: Es gibt immer mehr Ein- und Zwei­personenhaushalte, die Überalterung und die Individualisierung tragen zu diesem Trend bei. Und weil jeder Haushalt eine Küche und ein Badezimmer benötigt, erhöht sich die Fläche pro Person zwangsläufig.

Herr Gysi, investieren Sie auch bei einem Ersatz­neubau nur das Nötigste?
AG: Hier ist die Situation anders. Schon von Gesetzes wegen setzen wir bei einem Neubau auf Fernwärme, Wärmepumpe oder in Spezialfällen auf Holzschnitzel, damit wir bei der Betriebsenergie klimaneutral auf­gestellt sind. Zudem achten wir auf gute Wärmedämmung, effiziente Geräte, prüfen, ob eine kontrollierte Lüftung Sinn macht, und montieren meistens eine PV-Anlage aufs Dach. 

In Ihrer neuen Nachhaltigkeitsstrategie peilen Sie Klimaneutralität bis 2040 an. Die vielen Bestandes­liegenschaften dürften dabei eine Herausforderung sein.
AG: Ja, das ist tatsächlich so. Die Herausforderung ist, dass unser Portfolio von 2225 Wohnungen und 318 Gewerberäumen in 186 Liegenschaften auf die ganze Stadt verteilt ist. Im Durchschnitt entfallen auf eine Liegenschaft und somit auf eine Wärmeerzeugung nur zwölf Wohnungen. Zudem wollen wir aus Kostengründen nichts überstürzen. Wo möglich schliessen wir unsere Liegenschaften an die Fernwärmenetze an. Dann wollen wir alle Ölheizungen mit klimaneutralen Energieträgern ersetzen. Die Gasheizungen werden ab 2024 zu 100 Prozent mit Biogas betrieben. Eine Öl- oder Gasheizung ersetzen wir frühestens nach zehn Jahren – was immer noch deutlich vor Ablauf ihrer Lebenszeit ist. 

Frau Capillo, würde die Stiftung PWG bei einem Nachhaltigkeitsrating von Wüest Partner schlecht abschneiden?
MC: Nicht unbedingt. Denn wir müssen die einseitige Fokussierung auf Absenkpfade der direkten Emissionen, wie wir sie in den letzten Jahren verinnerlicht haben, etwas überdenken. Die Daten des Energieverbrauchs des Gebäudebetriebs kennt man, darum fokussieren die aktuellen Zertifikate darauf. Dennoch wird die graue Energie beim Bau immer wichtiger. Sie ist aber nur bei Neubauten messbar; bei Altbauten ist es enorm auf­wendig, die eingesetzten Materialien und Mengen nachträglich zu beziffern. Je mehr wir über diese graue Energie wissen, desto besser gelingt es, die ökologischen Vorteile einer Sanierung gegenüber einem Ersatzneubau abzuwägen. Zusätzlich muss die soziale Dimension in die Waagschale geworfen werden: Der Erhalt von bezahlbaren Wohnungen kann auch eine Priorität sein, die sich die Eigentümerschaft setzt.

Im April 2024 sammelte die PWG 120 Millionen Franken als «Sustainability Bonds» ein. Was passiert mit dem auf acht Jahre fest platzierten Geld?
AG: Wir können damit – günstiger als mit normalen Hypotheken – neue Liegenschaften erwerben. Zudem finanzieren wir umweltschonende Neubauten und energetische Sanierungen von Bestandesliegenschaften. Allerdings werden wir nicht zusätzliche Energiemassnahmen finanzieren. Vielmehr geben wir – gemäss unserem Auftrag – die tieferen Finanzierungskosten in Form von attraktiveren Mieten weiter.

Foto: zvg
Mariacarla Capillo (MC), Ökonomin, arbeitet seit 2022 in der Abteilung Nachhaltigkeit des Beratungs­unternehmens Wüest Partner AG.

Foto: Stiftung PWG
Andreas Gysi (AG), Architekt ETH, ist seit 2022 Geschäfts­führer der Stiftung PWG zur Erhaltung von preisgünstigen Wohn- und Gewerbe­räumen der Stadt Zürich. Die ABS ist Finanzierungspartnerin der PWG.


Dieses Interview erschien in längerer Form im Nachhaltigkeits­bericht 2023. 
Mehr zum Nachhaltigkeitsbericht 2023 lesen Sie hier.
(abs.ch/berichte, Nachhaltigkeitsbericht 2023, S. 25).

1 Graue Energie ist die gesamte Menge nicht erneuerbarer Energie, die für alle Prozesse im Lebens­zyklus eines Gebäudes benötigt wird: für den Abbau von Rohstoffen, deren Verarbeitung, den Transport zur Baustelle, den Bauprozess selbst sowie für zukünftige Renovierungen oder einen Abriss des Gebäudes. Im Gegensatz zur grauen Energie bezeichnet die Betriebsenergie die energetischen Aufwände für das Gebäude im Betriebszustand, also zum Beispiel für Heizen und Kühlen, Belüftung, Warmwasser und den Betrieb elektrischer Geräte. Die ABS ist sich der Bedeutung der grauen Energie bewusst und setzt für die Nachhaltigkeitsbewertung von Bauvorhaben das Tool «ABS-ImmoImpact» ein, das beim Bewertungskriterium Bauökologie auch die graue Energie berücksichtigt.

2 Die Kostenmiete wird so berechnet, dass sie die tatsächlichen Kosten deckt, die für Bau, Instand­haltung, Verwaltung und Finanzierung des Wohnraums entstehen. Im Gegensatz zur Marktmiete wird kein Gewinn angestrebt; die Miete soll lediglich die laufenden Ausgaben des Vermieters abdecken.

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