Text: Damien Varesano, urbaMonde
Text: Damien Varesano, urbaMonde
Heute leben fast eine Milliarde Menschen in prekären Wohnverhältnissen, meist in Elendsvierteln. Diese Zahl dürfte sich bis 2030 verdoppeln. Wegen der beschleunigten brutalen Urbanisierung und dem Mangel an erschwinglichen Finanzierungsmöglichkeiten bleibt der Zugang zu würdigem und nachhaltigem Wohnraum für vulnerable Bevölkerungsgruppen ein grosses Problem. Das heutige Finanzsystem, das auf hohen, sehr kurzfristigen Renditen beruht, kann der Gesellschaft nicht dabei helfen, die Ungleichheit und Armut zu überwinden sowie die Herausforderungen des ökologischen Wandels zu bewältigen. urbaMonde und seine Partner vor Ort in Nicaragua und Senegal haben unter anderem Umlauffonds mit sehr tiefen Tilgungssätzen eingerichtet.
Im Vorstadtgebiet von Dakar im Senegal organisiert die Fédération sénégalaise des habitants (FSH) begleitet von urbaSEN den Wiederaufbau von Häusern, die durch Überschwemmungen beschädigt oder zerstört wurden. urbaSEN ist eine professionelle Struktur für technische Unterstützung, die seit über zehn Jahren von urbaMonde unterstützt wird. Die FSH besteht aus über 400 Gemeinschaften mit je 15 bis 35 Mitgliedern, in der Regel Frauen. Diese Gemeinschaften verwalten gemeinsame Ersparnisse und können Darlehen bei einem lokalen Umlauffonds beantragen. Dies ist eine Alternative zum traditionellen Finanzierungssystem, zu dem die Bewohnerinnen und Bewohner des Armutsviertels von Dakar in der Regel keinen oder nur zu unerschwinglichen Konditionen Zugang haben.
Es gibt ein eingespieltes Verfahren: Bedarfsermittlung, Auswahl der Begünstigten, Besichtigung der Baustelle, Überprüfung des Kostenvoranschlags des lokalen Handwerkers, Vertragsabschluss für den Auftrag, Erfassung und Überwachung des Darlehens und der Rückzahlungen über die Online-Datenbank. Die Erfahrung zeigt, dass Begünstigte mit 1000 Schweizer Franken, die über einen Zeitraum von 20 Monaten zurückgezahlt werden, ein Haus wiederaufbauen können. Innerhalb von fünf Jahren konnten so über 500 Wiederaufbauten realisiert werden.
Auch in Nicaragua, im Departement Matagalpa, wurde ein Umlauffonds eingerichtet. urbaMonde arbeitet dort mit Multipro zusammen, einer Genossenschaft von Fachleuten, die technische Unterstützung zur Förderung der Entwicklung von Wohnbaugenossenschaften anbietet. Der 2016 eingerichtete Umlauffonds ermöglichte dort den Kauf von vier Grundstücken, und zwar über Darlehen in der Höhe von 20 000 bis 35 000 US-Dollar, die in drei bis vier Jahren zurückgezahlt werden müssen. Es ist erfreulich, dass bis Ende 2022 alle sechs Genossenschaften im Departement Matagalpa ihr Grundstück abbezahlt haben werden.
In Europa begleitet urbaMonde das MOBA Housing Network, das genossenschaftlich organisierte Bewohnerinnen und Bewohner, Wohnungsbaufachleute und alternative Banken aus fünf Ländern – Kroatien, Ungarn, Tschechische Republik, Slowenien und Serbien – zusammenbringt. Sein Ziel: die Unterstützung alternativer, nichtspekulativer Wohninitiativen, wie beispielsweise selbstverwaltete Wohngenossenschaften. MOBA muss sich der Herausforderung stellen, tragfähige rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen zu schaffen und den Projektträgern den Zugang zu Finanzmitteln zu verschaffen. Vor Kurzem wurde ein Umlauffonds eingerichtet, der von der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich (ABZ) mit 30 000 Franken ausgestattet wurde. Die ABZ verteilt jedes Jahr mit einem Wettbewerb Geld aus ihrem Solidaritätsfonds an gemeinnützige Projekte.
Der Verband Wohnbaugenossenschaften Schweiz ist hierzulande mit insgesamt über 152 000 Wohnungen der grösste Verband gemeinnütziger Wohnbauträger. Seit über 50 Jahren unterstützt er gemeinnützige Wohnbauträger bei der Finanzierung ihrer Bau- und Renovierungsprojekte und dem Erwerb von Grundstücken oder Immobilien mit drei Finanzierungsinstrumenten: Der Fonds de roulement (FdR) ermöglicht mit der Unterstützung des Bundes die Vergabe von sehr zinsgünstigen Darlehen. Der Solidaritätsfonds, der mit Spenden von Mitgliedern finanziert wird, ermöglicht unterkapitalisierten gemeinnützigen Wohnbauträgern zusätzliche Darlehen für unterstützenswerte Pilotprojekte. Schliesslich setzt der Verband auf die Emissionszentrale für gemeinnützige Wohnbauträger (EGW). Diese beschafft sich direkt auf dem Markt Kapital, indem sie Anleihen mit mehrjährigen Laufzeiten ausgibt. Die Kapitalgebenden zeichnen Obligationen, die durch Bürgschaften des Bundes abgesichert sind. Finanzierungen aus der EGW sind deutlich günstiger als vergleichbare Festhypotheken mit gleicher Laufzeit. Diese Instrumente ermöglichten beispielsweise in der Regione Zürich eine schnelle Entwicklung von Wohnbaugenossenschaften.Wenn man all diese lokalen Dynamiken betrachtet, fällt eines auf: Die Bewohnerinnen und Bewohner, die sich dem Thema Wohnraum verschrieben haben, entwickeln Instrumente, die zwar an ihren geografischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Kontext angepasst sind, aber doch ähnlich funktionieren. Diese erweisen sich leider als unzureichend, um den gesamten aktuellen und zukünftigen Bedarf an Wohnungen zu decken. Wie kann man also diesem Bedarf gerecht werden? Wie kann eine gemeinsame dynamische Nutzung von Ressourcen auf internationaler Ebene gefördert werden?
CoHabitat, das internationale Netzwerk für kollaboratives Wohnen, das von urbaMonde koordiniert wird, hat eine Online-Datenbank und einen Fonds für solidarisches Wohnen entwickelt. Letzterer soll die Wirkung der lokalen Umlauffonds verstärken, ist aber ebenfalls noch unzureichend. Eine der Herausforderungen besteht darin, mehr Menschen zu überzeugen, den Fonds zu unterstützen. Dies geschieht durch einen aktiven Informations- und Sensibilisierungsprozess über die Initiativen der organisierten Bewohnerinnen- und Bewohnergruppen in Senegal und in Nicaragua und durch das Aufzeigen, dass die solidarische Bürgerfinanzierung ein wirksamer und vielversprechender Hebel für den Zugang zu würdigem und nachhaltigem Wohnraum für alle Menschen ist.