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07.06.2023 von Roland Fischer

Kontos und Kredite für die «Ungebankten»

Was finanzielle Inklusion genau ist, warum es sie braucht und was sie tatsächlich bringt. Ein Überblick. 

Artikel in Thema Finanzielle Inklusion

Man braucht meist den englischen Begriff: «Financial inclusion» (deutsch: finanzielle Inklusion) meint die Verfügbarkeit von finanziellen Dienstleistungen für alle und deren Nutzung durch möglichst viele. Sie gilt als wichtiger Hebel zur Armutsbekämpfung und zur Verbesserung der Lebensqualität. Die Bezeichnung hat im halboffiziellen Sprachgebrauch der internationalen Entwicklungs- und Finanzcommunity den engeren Begriff des «Mikrokredits» abgelöst. Mit der Erweiterung der Angebotspalette an Finanzdienstleistungen, die Mikrofinanzinstitutionen anbieten, wurde zunächst die Bezeichnung Microfinance üblich, die schliesslich zunehmend durch Financial Inclusion ersetzt wurde. Vor allem weil internationale Institutionen diesen neuen Begriff prägten und bevorzugten. Für manche dieser Institutionen ist finanzielle Inklusion inzwischen auch gleichbedeutend mit Zugang zum Digitalen, so gibt es die «G20 High-Level Principles for Digital Financial Inclusion».


Eine Erfolgsgeschichte dank Mobile Money

Wie auch immer man es anschaut, ist die finanzielle Inklusion zunächst einmal eine grosse Erfolgsgeschichte: 2011 hatten noch 2,5 Milliarden Menschen kein Bankkonto, heute sind es trotz steigender Bevölkerungszahlen 1,4 Milliarden – man nennt sie im Englischen auch «the unbanked». Das hat vor allem mit der Verbreitung von Internet und Handys zu tun, die auch in Entwicklungsländern einfache Zugänge zu Finanzdienstleistungen schaffen. Die Weltbank schätzte 2016, dass acht von zehn Erwachsenen in den Entwicklungsländern ein Handy besitzen, das heisst also auch diejenigen am unteren Rand der Wirtschaftspyramide. Tatsächlich haben mehr Haushalte in Entwicklungsländern Zugang zu einem Handy als zu Strom oder guten sanitären Anlagen. In der Elfenbeinküste und im Senegal liegt der Anteil der Erwachsenen mit einem Mobile-Money-Konto bei über 30 Prozent, in Gabun sogar bei über 40 Prozent. Aber nach wie vor haben viele Menschen, obwohl sie über ein Mobile- oder ein Bankkonto verfügen, keinen Zugang zu weiteren Finanzdienstleistungen wie Krediten, 
Versicherungen oder Rentenprodukten. So hatten laut Weltbank 2017 etwa 42 Prozent der Erwachsenen weltweit keine Möglichkeit, einen formellen Kredit aufzunehmen. 

«Es wäre zudem ein Fehler, die Armuts­bekämpfung nur an Fragen des Zugangs zu Technologien und Infrastrukturen zu orientieren.»


In der Praxis gibt es viele Hürden
Ein Weltbank-Bericht aus dem Jahr 2021 weist aber auch auf problematische Seiten der Entwicklung zu mehr Inklusion hin: Weniger erfahrene Finanzkunden seien anfälliger für Betrug. Man müsse deshalb dafür sorgen, dass auch die Rechen- und Finanzkenntnisse Schritt halten. Wichtig seien des Weiteren eine Produktgestaltung, die die Nutzungsmuster und Fähigkeiten der Kunden berücksichtigt, sowie starke Verbraucherschutzmassnahmen. Auch der Gesetzgeber ist gefragt – ohne starke Regulierung wird die schöne neue Finanzwelt zum Wilden Westen. 
Es wäre zudem ein Fehler, die Armutsbekämpfung nur an Fragen des Zugangs zu Technologien und Infrastrukturen zu orientieren. Inklusion ist bestimmt wichtig, aber entwicklungspolitisch nur ein Aspekt unter anderen. Oder anders gesagt: Ein Konto zu haben, ist sicher nicht schlecht, aber man muss ja zunächst einmal überhaupt über das Geld verfügen, das darauf einzuzahlen wäre. Das alles gilt natürlich ebenso für Finanzdienstleistungen hier in Europa. 
Verfügbarkeit von finanziellen Dienstleistungen für alle? In der Theorie mag sie gegeben sein, in der Praxis gibt es aber auch bei uns eine Vielzahl von Hürden, sei es für Menschen mit Migrationshintergrund, sei es für Menschen, die mit der neuesten Technologie nicht vertraut sind.



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