moneta: Ueli Wildberger, glauben Sie an einen Systemwandel?
Ueli Wildberger: Er muss ja kommen, wenn man die Welt anschaut, so, wie sie ist.
Warum?
Unser ökologischer Fussabdruck im globalen Norden ist viel zu gross, wir verbrauchen zu viele Rohstoffe, beuten grosse Teile der Welt und der Natur aus. Das muss sich ändern. Deshalb freut es mich sehr, dass grosse Teile der Klimabewegung einen Systemwandel verlangen. Meine Hoffnung ist auch, dass wir aus der aktuellen Krise etwas lernen.
Was sollten wir Ihrer Meinung nach lernen?
Dass einfacher leben ein Gewinn ist. Ich habe zeitlebens immer in Gemeinschaften gelebt und gearbeitet. Zudem gehe ich jeden Sommer für zwei, drei Wochen zu einer Bergbauernfamilie heuen und arbeite gelegentlich in einer Vertragsgärtnerei. Ich denke, wir müssten uns in Richtung kleinräumigeres, dafür vielseitigeres Leben entwickeln. Jede und jeder Einzelne muss sich fragen: Was kann ich beitragen? Und schliesslich müssen die Institutionen, Gesetze und Verhältnisse so verändert werden, dass sie diesen Wandel auch erlauben.
In einer global vernetzten Gesellschaft gar nicht so einfach. Wo sollten wir in der Schweiz konkret ansetzen?
Uns fehlen Gefässe, wo wir gemeinsam überlegen können: Wie viel Technik ist von Nutzen? Auch die Grundfragen der Produktion müssten neu und demokratisch entschieden werden – das darf nicht über einen anonymen Markt geschehen, wo Gewinninteressen im Vordergrund stehen. Und die ganze Lobbyarbeit, die hinter den Kulissen läuft, müsste transparent werden.
Sie setzen sich nun schon seit einem halben Jahrhundert für den Systemwandel ein, ehrenamtlich und beruflich. Haben Sie sich nie überlegt, in die Politik zu gehen?
Ich mache ja Politik, an der Basis. Ich denke, Missstände müssen zuerst von vielen Menschen zum Thema gemacht werden – Klimabewegung, Anti-AKW-Bewegung, Friedens- und Asylbewegung – erst, wenn das geschieht, greifen es die Parteien auf. Meine Grundphilosophie ist, dass wir am meisten lernen durch «learning by doing». Es genügt nicht, sich schöne Theorien auszudenken oder Reden zu halten, verändern können wir nur etwas über das Handeln. Das Konzept von der gewaltfreien Aktion, vom zivilen Ungehorsam ist für mich daher der Königsweg. Durch das Risiko, das damit verbunden ist, werden die Leute bewusster, sie machen sich ernsthaft Gedanken. Gleichzeitig sieht man, wie eine solche Aktion wirkt und was man damit verändern kann.
Sind Sie zufrieden mit dem Erfolg Ihres Engagements?
Ich habe mir abgewöhnt, auf den Erfolg zu schauen. Natürlich habe ich mit meiner Militärdienstverweigerung in meinen jungen Jahren nicht die Frage der Armee und der Aufrüstung gelöst. Aber es war ein kleiner Beitrag. Immerhin haben wir jetzt einen Zivildienst in der Schweiz. Jeder Schritt in die richtige Richtung hat seinen Wert. Und der Weg ist das Ziel, davon bin ich überzeugt. Schliesslich wurden auch keine weiteren AKWs mehr gebaut – ein Teilerfolg der Anti-AKW-Bewegung.
Gesellschaftliche Veränderungen erfordern einen langen Atem. Haben Sie in den vergangenen Jahrzehnten nicht manchmal am Sinn Ihres Engagements gezweifelt?
Nicht grundlegend. Aber ich denke, wir alle tappen ziemlich im Dunkeln, auch jetzt mit der Corona-Krise oder der Frage, wie wir mit der Klimazerstörung umgehen sollen. Wir haben keine einfachen Antworten parat. Ich bin eigentlich ständig am Suchen und Analysieren: Wo setzt man den Hebel an? Wie kann die Bewegung für eine einfachere Lebensweise im globalen Norden noch stärker werden? Ich empfinde es als Herausforderung.
Sie sind reformierter Theologe. Welche Rolle spielt Ihr Glaube für Ihr Durchhaltevermögen?
Mein christlicher Glaube ist für mich ganz wichtig, daraus nehme ich sehr viel Energie für mein Engagement. Wenn ich selber unklar bin, in Schwierigkeiten stecke oder vielleicht Fehler gemacht habe, kann ich im Glauben Kraft tanken. Oder auch sagen: Ich bin nicht allein verantwortlich, ich überlasse Gott, wie es da weitergeht. Das hat mich die ganze Zeit getragen. Der Glaube ist die Basis meines Grundvertrauens, dass wir und die Welt nicht verloren sind.