moneta: Nahom Mehret, erzähl uns davon, welche Hürden es in Sachen Finanzdienste für die eritreische Gemeinschaft in der Schweiz gibt. Kennst du zum Beispiel Menschen, die kein Bankkonto haben?
Nahom Mehret: Nein, ich wüsste niemanden ohne Konto. Aber eine dritte Säule haben beispielsweise die wenigsten.
Warum nicht?
Weil schlicht das Wissen nicht vorhanden ist, dass es so etwas gibt neben der AHV. Vielleicht hat man noch eine Pensionskasse, aber mehr meistens nicht.
Es ist also vor allem eine Frage der finanziellen Bildung? Oder gibt es da auch kulturelle Unterschiede im Umgang mit Geld?
Die gibt es, unbedingt. In der eritreischen Gesellschaft ist Verschuldung stark negativ konnotiert. Es ist verpönt, Kredite aufzunehmen, man lebt nach dem Motto: «Wenn man es sich nicht leisten kann, dann leistet man es sich auch nicht.» So eine Leitlinie macht natürlich wenig Sinn, wenn man ein wenig unternehmerischer denkt. Entsprechend sind die wenigsten Eritreer hier unternehmerisch tätig, kaum jemand lebt selbständig, man bevorzugt das Arbeitsverhältnis.
Banken kamen in Eritrea selbst ja auch erst durch die italienischen Kolonisten ins Land. Was ist denn die traditionelle Alternative?
Eine wichtige Rolle spielen die sogenannten Equb, dabei handelt es sich um eine Art privater Fonds.
Wie funktioniert das?
Equbs können klein oder gross sein, sie sind eine informelle Vereinigung, die nirgends registriert ist. Jeder zahlt monatlich etwas ein – braucht man dann etwas, das das eigene Budget sprengt: Ferien, Hochzeit, neue Möbel, bekommt man das aus dem Equb-Fonds ausbezahlt.
Ein Solidarsystem?
Nicht unbedingt, alle zahlen gleich viel ein, und alle sollen auch gleich profitieren. Wichtig zum Verständnis ist vielleicht das: Es geht bei einem Equb natürlich um Geld, aber im Vordergrund ist eigentlich der soziale Aspekt. Man trifft sich einmal in der Woche, irgendwo privat, und tauscht sich aus. Auch einige Freunde in meinem Alter haben einen Equb.
Das klingt zwar toll, zur Selbstermächtigung, aber das Problem der fehlenden Teilhabe bleibt, oder? Eine neue Firma gründet man mit einem solchen System kaum.
Das ist so. Wenn in unserer Community jemand eine Bude, ein Restaurant aufmachen will, folgt direkt die Frage: «Haben wir genug Eigenkapital?» Zur Bank geht man lieber nicht. Dass die Eritreer diesen Schritt nicht wagen, liegt auch daran, dass man das Schweizer System nicht versteht: Dass man das Risiko mit einberechnen kann, dass man genau dafür einen Businessplan erstellt. Dazu kommt das Thema des Scheiterns, das in unserer Kultur ein gesellschaftliches Stigma ist. Wer mit dem Unternehmen scheitert, ist auch als Mensch gescheitert.
Hat die Angst vor dem Scheitern auch mit der prekären gesellschaftlichen Position vieler Eritreerinnen und Eritreer in der Schweiz zu tun?
Unbedingt auch. Da gibt es sehr rasch existenzielle Ängste. Als Schweizer hat man ein Grundvertrauen, eine Art ökonomische Unantastbarkeit. Ein Plan mag scheitern, aber man hat immer ein Back-up: Man findet einen neuen Job, man hat Connections, vielleicht hilft die Bank noch einmal aus. Für Menschen aus Eritrea fühlt sich ein Schritt in die Verschuldung viel eher wie ein «All in» an.
Wie liesse sich das ändern?
Es geht viel um fehlendes Wissen. Man müsste eine Plattform bieten, eine Anlaufstelle, wo Businesspläne erklärt werden, wo man erfährt, wie Selbständigkeit funktioniert. Auch die verschiedenen Rechtsformen sind kaum bekannt. Die Leute müssen zuerst verstehen, dass sie gar nicht mit dem eigenen Vermögen haften, wenn etwas scheitert. Dass da keine Türen definitiv zugehen, dass das soziale Auffangnetz nicht flöten geht.
Und die kulturelle Prägung? Diese Abneigung gegen das Schuldenmachen, könnte sich das ändern?
Ich glaube schon. Aber es ist nicht einfach für jemanden aus der Community, die passenden Informationen zu bekommen. Oft ist es ein Durcheinander, man hört verschiedene Geschichten. Dann kommt rasch der Impuls: Was soll ich glauben, das überfordert mich. Und dann lässt man das Projekt «Unternehmensgründung» halt sein.