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05.12.2018 von Esther Banz

Einer nimmt den Druck weg

Immer grösser, immer schwerer – das gilt auch für die Fahrzeuge auf dem Acker. Ein Landwirt im Bernischen macht genau das Gegenteil: Er entkleidet seinen Traktor. Weil er weiss, wie gefährdet die nicht erneuerbare Ressource Boden ist.

Artikel in Thema Boden
Illustration: Claudine Etter

Die Kabine könnte die eines Raumschiffs sein. Und das Gewicht des ganzen Gefährts dem eines Militärpanzers entsprechen. Peter Grossenbacher sitzt am Küchentisch in seinem Bauernhaus in Hindelbank (BE) und starrt stumm auf den Werbeprospekt, der vor ihm liegt. Als könnte er seinen Blick nicht mehr von den Bildern lösen, die er ja eigentlich schon so oft betrachtet hat. «Ich bewahre diese Prospekte und Anzeigen auf und gebe sie meinen Lehrlingen zum Lesen. Sie sollen sich Gedanken machen.» Es raschelt kurz in den Unterlagen, dann liegt ein anderes Werbeblatt obenauf, es geht um Selbstfahrhäcksler. Peter Grossenbacher liest vor: «L wie Leichtgewicht. Mit seiner Masse gehört ein Feldhäcksler nicht gerade zu den Leichtgewichten unter den Landmaschinen, dennoch zählt jedes Kilogramm im Hinblick auf Bodenverdichtung. Mit Hilfe von leichteren Materialien (...) reduzierten die Ingenieure das Gewicht des 8000ers um bis zu 800 Kilo gegenüber seinem Vorgänger.» Grossenbacher blickt auf. «Diese Firmen bauen seit Langem immer schwerere Landmaschinen. Mit einem einzigen Gefährt rollen mehrere Tonnen übers Feld und verdichten den Boden, wieder und wieder. Jetzt sind sie auch noch stolz darauf, bei den viel zu schweren Maschinen ein kleines bisschen einzusparen.»

Der Ackerboden und konkret der Umstand, dass es ihm nicht gut geht, beschäftigen den Landwirt so sehr, dass er schon einmal vorsorglich sagt, er sei wohl ein Freak, was dieses Thema betreffe. Aber Peter Grossenbacher ist kein Freak. Er ist ein erfahrener Bauer, der den Boden als das betrachtet und ernst nimmt, was er ist: jene unterschätzte natürliche und nicht erneuerbare Ressource, die zu den wichtigsten Lebensgrundlagen gehört, die wir haben.

Bodenverdichtung als weitverbreitetes Problem

Peter Grossenbacher ist schon sein ganzes Leben lang Bauer. Er hat den Hof mit dem grossen Riegelhaus im Dorf von den Eltern übernommen. Im Laufstall stehen zwanzig Milchkühe, im dahinter gelegenen flachen Gebäude fressen hundert Schweine. Sein Betrieb ist knospezertifiziert. In Hindelbank ist er einer von einem guten Dutzend Landwirten. Wenn er auf dem Feld arbeitet, sieht er, was auf den Äckern rundherum passiert. Mit welchen Maschinen da zur Sache gegangen wird. «Dort fängt mein Unverständnis an. Dort tut sich ein Graben auf zwischen uns und den andern. Ach, übrigens: Wenn ich von ‹wir› und ‹uns› rede, meine ich meine Frau und mich. Ich bringe meine Themen und Fragen an den Esstisch, wir reden viel.» Seine Frau Margreth Lüthi führte zuvor viele Jahre einen Bioladen, jetzt verantwortet sie nicht nur den Haushalt und hilft auf dem Betrieb mit – sie ist die Gesundheitsexpertin im Haus und im Stall. «Sie hat den besseren Zugang zu den Tieren», erzählt Grossenbacher. «Sie versteht sie regelrecht, auch was ihnen fehlt und was sie brauchen.» Die Hornkuh-Initiative* sorge übrigens für rege Diskussionen am Küchentisch, sagt der Landwirt, dessen Kühe mit einer Ausnahme keine Hörner tragen. «Meine Frau wäre klar für Hörner. Aber ich müsste den Stall umbauen. Wenn ich jünger wäre, würde ich es mir überlegen, aber ich bin jetzt 60.» Was er sich allerdings ernsthaft überlegt, ist, dereinst Vegetarier zu werden: «Weil das viele Land, das wir benötigen, um darauf Futter für unsere Schweine anzubauen, im Widerspruch steht zu unseren Überlegungen hinsichtlich Ressourcenschonung, Fussabdruck und überhaupt Ökologie. Der Fleischkonsum muss halbiert werden.» Sähe er nicht ohnehin seiner Pension entgegen, würde er mit der Schweinemast gänzlich aufhören. Etwa fünfzig Prozent der Kalorien würden mit dem Umweg über die Tiere verloren gehen, sagt er und kommt zurück auf die schweren Landmaschinen, mit denen die Bauern (oder die Lohnunternehmer, an die viele Bauern Arbeit auslagern) übers Feld fahren: «Und dafür schädigen wir auch noch dauerhaft unsere wertvollen Böden.»

Bodenverdichtung ist ein grosses Problem in der Landwirtschaft und insbesondere im Ackerbau. Einmal verdichteter Boden erholt sich nur über einen Zeitraum von Jahrzehnten – wenn überhaupt. In einem Bericht zum Zustand des Bodens schrieb das Bundesamt für Umwelt (BAFU) 2017: «Bodenverdichtung ist in der Schweiz ein verbreitetes Phänomen. Es muss zumindest lokal mit Einbussen der Bodenfunktionen und der Bodenfruchtbarkeit gerechnet werden. Der anhaltende Trend zu schwereren Maschinen sowie einem Bearbeitungs- beziehungsweise Erntezwang in der Landwirtschaft auch bei ungünstigen Verhältnissen wird die Situation verschärfen.»

«Mit einem einzigen Gefährt rollen mehrere Tonnen übers Feld und verdichten den Boden.»

Klimaerwärmung begünstigt Erosion

Wir stehen auf einem von Grossenbachers Äckern. Der Boden ist trocken, es hat etliche Wochen nicht geregnet. Die Trockenheit bereite diesem Feld überraschenderweise keine Probleme, sagt der Bauer. Vor einer Woche hat er Wintergerste in die spröd wirkende Erde gepflanzt – und tatsächlich: Bereits sind die dünnen grünen Pflanzen zu Tausenden durch die Erde gestossen, bis zwei Zentimeter ragen sie in die Höhe. Grossenbacher erklärt, dass in den Poren des nicht verdichteten Bodens Wasser gespeichert sei. Und trockener Boden sei stabiler als feuchter, deshalb auch resistenter gegen Verdichtung. «Richtig schlecht ist es, wenn Traktoren bei Nässe rumfahren. Während der Zuckerrüben-Saison ist das oft der Fall: Die Fabriken geben den Bauern einen Termin, wann sie die Rüben abholen. Bis dann müssen die Bauern geerntet haben, egal wie feucht der Boden ist. Da wird zum Teil wahnsinnig gesündigt. Und das für eine Pflanze, die nicht einmal als Lebensmittel bezeichnet werden kann, sondern einzig dem Genuss dient.»

Warum die Verdichtung des Bodens so problematisch ist, verdeutlicht das BAFU: «Rund die Hälfte des Bodens besteht aus einem weitverzweigten Porensystem, das mit Wasser und Luft gefüllt ist. Werden die Poren zusammengepresst oder die Verbindungen untereinander gekappt, spricht man von Bodenverdichtung. (...) Bodenverdichtungen beeinträchtigen die Bodenfruchtbarkeit und verursachen ökologische sowie wirtschaftliche Schäden.» Mit den Starkniederschlägen, mit denen wegen der Klimaerwärmung künftig vermehrt gerechnet werden muss, kommt eine weitere Gefahr hinzu: Im verdichteten Boden kann das Wasser ab einer bestimmten Menge nicht mehr abfliessen – es kommt zu Bodenerosionen. In der Schweiz gilt über ein Drittel der Ackerfläche als potenziell erosionsgefährdet. Wertvoller Humus geht verloren, die Fruchtbarkeit des Bodens nimmt stark ab.

Das Leben im Boden schützen

Bodenverdichtung zu vermeiden, ist eigentlich ein Kriterium bei den staatlichen Direktzahlungen an die Landwirte. Aber in der Praxis passiert nichts in diese Richtung – weil die Beurteilungskriterien fehlen. Auch die Bodenfruchtbarkeit zu messen, ist enorm schwierig, wie Grossenbacher erklärt: «Leute wie ich warten sehnlichst auf eine Methode, ein Gerät, einen Sensor, mit dem man schnell, unkompliziert und neutral die Bodenfruchtbarkeit messen kann. Wie ein Fiebermesser müsste es sein. Noch ist die manuelle und subjektive Spatenprobe aber die einzige Methode.» Mit der Spatenprobe weiss der Landwirt, wie der Boden riecht, sieht welche Struktur und Farbe er hat – und wie er lebt: Regenwürmer, Fadenwürmer, Tausendfüssler und Asseln krabbeln und winden sich. Und da ist noch viel mehr Leben im Boden – Pilze, Einzeller, Bakterien, auch Insekten und andere Tiere. Das Gewicht aller Lebewesen kann auf einer Hektare Land bis zu 15 Tonnen betragen, rechnet das BAFU vor. Das entspricht dem Gewicht von 20 Kühen. Auch dank diesem vielen Leben ist der Boden fruchtbar.

Manchmal fühlt sich Peter Grossenbacher ein wenig allein in seinem Berufsumfeld. Das erklärt vielleicht die leise Melancholie, die er auch ausstrahlt. Er ist es zwar gewohnt, ein Exot zu sein. Und es macht ihn auch stolz, dass er der Bequemlichkeit und den Verlockungen der Agrarindustrie widerstehen konnte, dass er auf Bio statt auf Gift setzt, auf Eigenverantwortung statt auf Abhängigkeit. Dass er dem Boden, dieser kostbaren und nicht erneuerbaren Ressource, Sorge trägt. Viele andere würden sich «im Winter mit einem Vertreter der Agrochemie an den Küchentisch setzen, sich von ihm eine Anbauplanung designen lassen und gleich noch eine Pflanzenschutzstrategie dazu kaufen – wo sie im Januar doch noch gar nicht wissen, wie das Wetter im kommenden Jahr wird.» Dieses Delegieren und «den Kopf ausschalten» wolle er nicht.
Grossenbacher blickt auf eine weitere Werbung, die er ausgeschnitten hat. Sie zeigt einen Bauern, der mit beiden Händen die Erde prüft, auf der er steht. Dazu der Text: «Landwirt, der wichtigste Beruf auf der Erde». Das Inserat stammt von einem Konzern, der allerlei Pestizide verkauft. Wer am Wettbewerb teilnimmt, kann einen Traktor gewinnen. Peter Grossenbacher sagt: «Unsere Traktoren und Maschinen sind bewusst klein und bescheiden ausgerüstet, dem Boden und seinen Bewohnern zuliebe. Die Türen und teilweise die Fenster habe ich entfernt, auch um jedes überflüssige Kilo loszuwerden. Als ich einmal im Feld meinen Arm eingrub und den Traktor darüberfahren liess, tat es weh. Ich will gar nicht wissen, was so ein grosses, schweres Gefährt für das Leben im Boden bedeutet. Ironischerweise gibt es auf der Asphaltstrasse eine Gewichtsbegrenzung – und auf dem Ackerboden, der mit Leben gefüllt ist, nicht.»

*Das Gespräch wurde einige Wochen vor der eidgenössischen Abstimmung vom 25.11.2018 über die sogenannte Hornkuh-Initiative geführt. Die Vorlage wurde mit 54.7% der Stimmen abgelehnt.


Breit abgestützte Initiative für die Bodenverbesserung

Die Zahl erstaunt immer wieder: Gerade mal 30 Zentimeter tief geht der fruchtbare Boden, auf dem unsere Nahrung wächst. Die Zahl 30 taucht im Zusammenhang mit dem Boden ein zweites Mal auf – und erschreckt: Rund 30 Prozent des weltweiten fruchtbaren Bodens hat der Mensch bereits degradiert. Der Verlust geht zügig voran, etwa durch Verbauungen, Waldrodungen oder wetterbedingte Erosion, ohne von der breiten Öffentlichkeit und der Politik die Aufmerksamkeit zu erhalten, die dringend nötig wäre – denn Starkregen und andere Klimaextreme potenzieren das Problem. Verlust von fruchtbarer Erde bedeutet Verlust von Nahrung, sauberem Wasser, Biodiversität und bereitet weitere Probleme.

Vor diesem Hintergrund ist im Umfeld der Bio-Stiftung Schweiz vor wenigen Jahren die Idee für einen Bodenfruchtbarkeitsfonds entstanden. Die Initianten beschlossen, der unangenehmen Tatsache ins Auge zu sehen, dass selbst in der Biolandwirtschaft nicht jede Bewirtschaftung dem Boden guttut, sondern diesen ebenfalls auszehren kann. Dabei böte die biodynamische Landwirtschaft die Möglichkeit, den fruchtbaren Boden sogar dauerhaft aufzubauen, ja, zu vermehren. Das wäre auch ein Mittel im Kampf gegen die Klimakatastrophe.

Dieses Jahr startete der Fonds offiziell. Zusammen mit 32 Biobauernbetrieben in der Bodenseeregion erforscht die finanziell und ideell breit abgestützte Initiative Möglichkeiten der Bodenverbesserung. Das Projekt ist vorerst auf drei Jahre angelegt. Eines der Ziele ist, die breite Öffentlichkeit zu sensibilisieren – gesucht sind dafür auch viele Bodenpatinnen und -paten.

www.bodenfruchtbarkeit.bio

«Sounding Soil» oder: Kann man Biodiversität hören?

Wie klingt der Boden? Blöde Frage, ein bisschen, als würde man wissen wollen, wie ein Baumstamm klingt. Nämlich gar nicht, zumindest nicht fürs menschliche Ohr. Wenn sich allerdings ein Soundkünstler diese Frage vornimmt, dann resultieren überraschende  Einsichten. Oder soll man sagen: Einhören?

Marcus Maeder, der an der Zürcher Hochschule der Künste und an der ETH forscht, hat bereits Bäume abgehorcht und die verschiedenen Laute mit Umweltbedingungen verknüpft. Eines Tages hat er, einem Impuls der Neugier folgend, seine hochempfindlichen Mikrofone in den Boden gesteckt. Und war selbst überwältigt, was sich anschliessend an vielfältigen Klängen auf dem Soundfile fand. Zusammen mit der Stiftung Biovision hat er aus dem Zufallsfund ein grösseres Projekt entwickelt: «Sounding Soil» tourt einerseits als Soundinstallation durch die Schweiz (gezeigt wurde sie erstmals im Herbst 2018 im Zentrum Paul Klee in Bern) und soll andererseits zu einem neuen und simplen Monitoringsystem für Biodiversität im Boden ausgebaut werden. Maeder ist nach ersten Versuchen auf verschiedenartig genutzten Flächen nämlich überzeugt, dass sich aus der Analyse der Geräusche im Boden direkte Rückschlüsse auf den Reichtum an Lebewesen im Boden ziehen lassen.

Text: Roland Fischer

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