Gibt es eine Möglichkeit, vielleicht unbewusste Motive oder Ziele aufzudecken?
Wir versuchen, in unseren Workshops die verschiedenen Hierarchiestufen des Unternehmens zusammenzubringen, denn jede Abteilung sieht einen anderen Teil der Geschichte. Die mit der Programmierung beauftragten Ingenieure spüren, dass das Produkt heikle Fragen aufwerfen wird, an welche die Marketingabteilung beispielsweise nicht denkt. Wir gehen diese Fragen an, indem wir mit Szenarien arbeiten und indem wir manchmal auf Methoden zurückgreifen, die von Science-Fiction-Filmen inspiriert sind – so etwa die britische Fernsehserie «Black Mirror». Wir treiben diese Szenarien dann ziemlich weit, um die Teilnehmenden dazu zu bringen, sich möglicherweise unangenehme Fragen zu stellen. In welcher Art Gesellschaft möchten wir leben? Wir halten ihnen einen Spiegel vor, damit sie die Kohärenz ihrer Vorstellungen von richtig oder falsch reflektieren.
Welche Resultate werden in Ihren Workshops erzielt?
Sie können die Form einer Werteliste oder einer Charta für das Personal, eines Plans für die interne und externe Kommunikation oder von Unterlagen für Investorinnen und Investoren annehmen. Wir identifizieren auch die Prozesse, die eingeführt werden müssen, damit die ethischen Überlegungen konkrete Auswirkungen haben, zum Beispiel wenn es um so wichtige Fragen wie die Entlöhnung geht oder darum, eine echte Diversität in Projektteams zu erlangen.
Doch der Druck der Investorinnen und Investoren bleibt. Google beispielsweise hat sich unlängst von seiner Devise «Don’t be evil» verabschiedet. Kann man ein Geschäftsmodell tatsächlich mit Diskussionen über Ethikfragen verändern?
Ja, wenn die Userinnen und User, die Investoren oder der Gesetzgeber einen gewissen Druck ausüben. Eine Anwendung «nützlich» und «praktisch» zu machen, reicht nicht mehr aus, das rechtfertigt nicht alle Nachteile, die das mit sich bringt. Die Erwartungen in Bezug auf die Achtung gesellschaftlicher Grundwerte sind klar gestiegen. Das gilt bereits im Bereich der Daten und wird bald auch in Bezug auf die Gesichtserkennung, prädiktive Algorithmen oder auch Technologien, die Informatik und Medizin miteinander verbinden, der Fall sein.
Ethik dient also nicht einfach als Alibi, sondern kann tatsächlich ein Gegenmittel zur schrankenlosen Gewinnmaximierung darstellen?
Es gibt zwei Sichtweisen der Ethik. Man kann die Unternehmen radikal kritisieren. Oder aber man lässt sich auf eine Diskussion ein, tauscht Ansichten aus und einigt sich mit den Unternehmen auf Werte, die verteidigt werden sollen. Wir haben uns für den zweiten Ansatz entschieden und betrachten die Risiken und Chancen, die eine Technologie mit sich bringt. Meiner Ansicht nach haben die Unternehmen kaum eine Wahl. Diejenigen, die sich nicht freiwillig auf den Dialog einlassen, werden früher oder später dazu gezwungen sein. Die Konsequenzen von katastrophalen Fehlentscheiden der grossen Firmen fallen weltweit auf die anderen Akteure der Branche zurück. Und Werte wie individuelle Freiheit und Respekt bekommen gerade ein noch nie da gewesenes soziales Momentum.
Wäre ethische Kohärenz ein Verkaufsargument für Unternehmen?
Aber sicher! Die Innovationsbranche ist sehr wettbewerbsorientiert, nicht nur bei der Gewinnung von Kunden, sondern auch von qualifizierten Mitarbeitenden. Indem Unternehmen öffentlich zeigen, dass sie an ihren Werten und deren Auswirkungen arbeiten, senden sie ein starkes Signal – Usern, aber auch den zukünftigen Angestellten gegenüber. Ein Unternehmen, das zum «Warum» seines Geschäftsmodells Stellung bezieht, baut Vertrauen auf und schafft sich gleichzeitig die Basis für wirtschaftlichen Erfolg.