moneta: Ulrike Langbein, haben Sie persönlich ein liebstes Erbstück?
Ulrike Langbein: Einen Führerschein aus dem Jahr 1926, der meiner Grossmutter gehörte. Dazu ein Foto aus demselben Jahr, das sie, mit Bubikopf und lachend, stolz in ihrem ersten Auto – mit offenem Verdeck – zeigt. Das Auto hatte sie vom Patenonkel zur Volljährigkeit geschenkt bekommen. Er vergötterte seine Nichte und mochte ihre emanzipierte Wildheit.
Eine Ihrer Kernthesen ist, dass es beim Erben nicht nur um materielle Werte geht.
Ja, Erbe meint die Übertragung von Werten, die sich materiell und ideell ausbuchstabieren. Ideell werden über das Erbe elementare Wertvorstellungen unserer Gesellschaft weitergegeben. Es geht oft um Leistung, Erfolg, bei Frauen auch um Hingabe, Entsagung. In manchen Familien ist es der Stolz auf die Herkunft, in anderen die Botschaft, dass das Leben schwer ist und man lebenslang ackern muss. Diese Wertvorstellungen werden im Erbfall sichtbar, geprüft und verhandelt.
Sie beschreiben Erben nicht nur als Nehmen, sondern auch als Geben. Wie kann denn der Erbe etwas zurückgeben?
Die Weitergabe der Güter knüpft sich an Erwartungen und Hoffnungen. Ein Erbe ist ein Auftrag, ob ausgesprochen oder nicht: Es gilt, die im Erbe materialisierten Werte zu bewahren, sich des Erbes würdig zu erweisen. Wir kennen das: Geld gibt es für gute Noten, bei schlechten wird Taschengeld abgezogen. Geld ist Steuerungsmittel des Familienwillens, und das Erbe natürlich auch.
Ihre Forschung basiert auf Fallgeschichten, dafür führten Sie lange Interviews. Welche Geschichten haben Sie da angetroffen?
Sehr viele verschiedene, viele tragische. Eine Frau wollte einen Steinway-Flügel verkaufen, weil sie zu wenig Platz hatte. Überdies hatte ihr Vater, ein protestantischer Pfarrer, sie öfter geohrfeigt, wenn sie nicht genug geübt hatte. Die Mutter verhinderte den Verkauf. Für sie verkörperte der Flügel die Hausmusik und damit eine Musikkultur, die dem Pfarrerpaar aus repräsentativen und religiösen Gründen wichtig war.
Ein gescheiterter Befreiungsakt. Haben Sie auch Fälle gefunden, wo die Befreiung geglückt ist?
So halb: Einem Mann wurde der Geldhahn zugedreht, weil er in der Schule schon nicht gut genug war und später Musik statt Medizin studierte. Der Vater, ein erfolgreicher Neurologe, machte sich zum Mass aller Dinge und verachtete seine Söhne, weil sie nicht seinen Ehrgeiz und Erfolg entwickelten. Es gab auch körperliche Gewalt. Dann erbte der Sohn viel Geld von seinem Vater. Er nannte das Erbe «Schmerzensgeld» und «moralische Wiedergutmachung». Das Erbe floss dann in viele Jahre Psychotherapie. Und es floss in exakt jene Statussymbole, die der Vater schon nutzte – der Sohn schaffte sie aber neu an: eine andere Uhr, ein anderes Auto, eine andere Feder für den Füller.
Die Familie als «Tresor», in dem Werte sicher aufgehoben sind. Funktioniert das noch, oder ändert sich da etwas im gesellschaftlichen Gefüge?
Erbe wird traditionell als familiäres Eigentum gedacht, es kann die Besitzer wechseln, soll aber für den «Clan» – die Familie in der Zeit – erhalten bleiben. Das Gut fliesst wie das Blut, heisst ein altes Sprichwort. Dieses familiäre Konzept des Erbes bricht sich heute an starken gesellschaftlichen Veränderungen: an der Individualisierung, an neuen Lebensformen wie Patchworkfamilien oder auch Singlehaushalten. Damit endet die traditionelle Erbkette. Es entstehen aber neue Formen, die eher auf Bindung und Nähe beruhen. Rechtlich wäre es übrigens auch an der Zeit, dass sich etwas ändert.
Inwiefern?
Klare Verhältnisse hätten wir nur, wenn jeder für sich seinen letzten Willen formulieren würde, aber viele machen es nicht. Denn wer testiert, muss der eigenen Endlichkeit ins Auge sehen. Und wir sollten beginnen, genauer hinzuschauen: In vielen Familien existieren Dinge aus jüdischem Besitz, ohne dass es jemand weiss. Die Herkunftsforschung, die deutsche Museen zu Recht betreiben müssen, lohnt sich in allen Ländern, die wohlhabend und nicht weit von Deutschland entfernt sind. Und sie lohnt auch in Familien.