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5 x Freude an der Arbeit

In fünf Porträts erzählen Frauen und Männer aus verschiedenen Berufen, was ihnen bei der Arbeit Freude macht. Illustrationen: Clerici Partner Design

Artikel in Thema Freude

#1


Als ausgebildete Ethnologin bin ich neugierig auf die Welt. Ich möchte verstehen, wie Gesellschaften funktionieren und welchen Einfluss die jeweiligen geschichtlichen Ereignisse auf sie haben. In der Literatur lassen sich viele Aspekte einer Gesellschaft erkennen: Wie sieht der Alltag aus, wie ergeht es den Menschen? Das Lesen ist somit eine einmalige Gelegenheit, sich auf andere Gesellschaften einzulassen und sich Menschen in anderen Ländern anzunähern. Die letzten zwanzig Jahre war ich in der Entwicklungszusammenarbeit, aber auch verlegerisch tätig. Bücher haben mich somit schon immer begleitet. Die Buchhandlung «Mille et deux feuilles» mit thematischem Fokus auf den Mittelmeerraum, die ich vor zwei Jahren mit meiner Kollegin eröffnet habe, ist ein gemeinsames Herzensprojekt. Ich schätze es, selbst zu entscheiden, welche Bücher, CDs und Filme wir in unser Sortiment aufnehmen. Dafür sind wir bereit, das wirtschaftliche Risiko einer eigenen Buchhandlung auf uns zu nehmen und uns leidenschaftlich für sie zu engagieren. Besonders befriedigend finde ich, dass unsere Arbeit vielfältig und unmittelbar ist. Unsere Kundinnen und Kunden kommen zu uns, weil sie unserer Beratung vertrauen. Der Kontakt mit ihnen ist eine Bereicherung für mich. Und wenn sie sich durch die Literatur für andere Gesellschaften zu interessieren beginnen oder von einem Buch begeistert sind, ist das ein Erfolgserlebnis.

Charlotte Nager
Ethnologin
Mitinhaberin der Buchhandlung Mille et deut feuilles, Zürich

#2


Schon als Kind wusste ich, dass ich einmal Coiffeur werden möchte. Ich verbrachte als kleiner Junge viel Zeit im Salon meines Vaters in Neapel. Er war mit Leib und Seele «Barbiere», und ich mag meinen Beruf ebenso. Haare sind für Menschen unglaublich wichtig. Ich habe Kundinnen, die während Jahren dieselbe Frisur tragen. Und plötzlich wollen sie etwas ganz anderes; einen Kurzhaarschnitt oder eine andere Farbe. Im Lauf des Gesprächs kommt dann meist heraus, dass sie gerade eine grosse Veränderung durchleben. Ein innerer Wandel will immer auch nach aussen ausgedrückt werden. In Filmen wird dieser Umstand übrigens oft als Stilmittel eingesetzt, um die Entwicklung der Protagonisten zu versinnbildlichen. Gerade aus diesem Grund ist der Coiffeur als Person auch so wichtig: Man sucht jemanden, der die jeweilige Befindlichkeit durch die passende Frisur am besten zum Ausdruck bringt. Jeder Coiffeur macht das anders, denn jeder ist ein Künstler. Deshalb gibt es auch so viele Friseursalons. In meinem Beruf muss man aber nicht nur über künstlerisches und handwerkliches Geschick verfügen, sondern vor allem ein gutes Gespür für Menschen haben. Und man muss Menschen mögen. Menschen machen für mich denn auch die Freude am Beruf aus. Jeder Kunde und jede Kundin ist wie ein Buch, in dem ich jedes Mal, wenn sie zu mir kommen, ein weiteres Kapitel lesen darf.
Eugenio Esposito
Coiffeur Enio Hairstyling, Basel

#3


Wäre ich vor einem Monat für dieses Porträt angefragt worden, hätte ich nicht mitgemacht. Ich habe gerade eine schwierige Zeit hinter mir, in der mir die Freude am Beruf vorübergehend abhandengekommen ist. Durch unglückliche Zufälle musste ich in dieser Phase viele Tiere aufgrund ihres hohen Alters oder ihres schlechten Gesundheitszustandes einschläfern. Die meisten dieser Katzen und Hunde kannte ich schon länger, und es tat mir sehr leid, dass diese Leben nun beendet werden mussten. Aber diese Seite gehört ebenso zu meinem Beruf wie der Umstand, dass ich dank meinen Fachkenntnissen Tiere heilen oder ihnen zumindest helfen kann. Egal, ob Hund, Katze oder Wildtiere wie Maus und Igel –, wenn ich Leiden mindern kann, ist das ein grosser Aufsteller und motiviert mich jeden Tag aufs Neue. Auch gibt es immer wieder urkomische Situationen im Praxisalltag; es wird nie langweilig. Ich könnte hingegen nicht in der Humanmedizin arbeiten, da mich kranke oder verletzte Menschen hemmen. Bei Tieren macht mir das erstaunlicherweise nichts aus. Wenn sie aus Krankheitsgründen streng riechen oder nach einem Unfall übel zugerichtet sind, kann ich damit umgehen. Schon als Kind nahm ich verletzte Vögel, Igel und Eidechsen heim, die ich draussen gefunden hatte. Ich liebe Tiere, zudem haben mich Natur, Biologie, aber auch Medizin schon immer fasziniert. Meine Berufswahl fiel mir also leicht, und ich bereue sie bis heute nicht.

Regina Tschachtli
Tierärztin Kleintierpraxis Zampa, Binningen

#4


Ursprünglich wollte ich Astronomie studieren, dann begeisterte ich mich für Physik. Gleich nach dem Studium landete ich per Zufall bei der neu gegründeten NGO Green Cross, wo ich heute noch arbeite. Neben Kenntnissen in Naturwissenschaft brauche ich in meinem Alltag viel Verhandlungsgeschick. Ich schätze neue Herausforderungen. Das begann schon bei meiner ersten Aufgabe vor 24 Jahren, als ich Russland und die USA bei der Vernichtung ihrer Chemiewaffenarsenale unterstützte. Der Prozess stockte immer wieder. Dass Russland im September die letzte solche Waffe zerstört hat, ist für mich eine besondere persönliche Genugtuung. Mein Antrieb für die Arbeit ist denn auch, die Lebenssituation der lokalen Bevölkerung etwas sicherer zu machen. Heute arbeite ich vor allem an der Vernichtung von Pestizidaltlasten. Die Reisen und insbesondere die Begegnung mit Menschen aus komplett anderen Kulturkreisen sind enorm inspirierend. Vor meiner Heirat war ich bis zu fünf Monaten pro Jahr im Ausland, bei Schulungen oder auf Projektbesuch. Heute sind es noch ein bis drei Monate jährlich. Die übrige Zeit arbeite ich von daheim aus, eine tolle Balance: Nach ein paar Monaten am heimischen Schreibtisch werde ich unruhig und freue mich auf den nächsten Flug in den Osten. Und komme ich dort an, frage ich mich, wie es wohl meiner Familie geht.

Stephan Robinson
Physiker und Bereichsleiter Wasser und Abrüstung bei Green Cross Schweiz, Basel

#5


Als Ergotherapeutin arbeite ich mit Patientinnen und Patienten, die an Verletzungen oder Erkrankungen der oberen Extremitäten leiden und dadurch in ihrer Selbstständigkeit eingeschränkt sind. Mein Arbeitsfeld ist sehr vielfältig. Eine der Hauptaufgaben der Ergotherapie besteht darin, mit individuell zusammengestellten Bewegungsübungen die Handlungsfähigkeit zu verbessern. Ergotherapie geht davon aus, dass gezielt eingesetzte Übungen therapeutisch wirken. Um einen Menschen richtig zu therapieren, muss er darum in seiner gesamten Lebenssituation erfasst werden. Es ist gerade diese Herausforderung, die meinen Beruf spannend und auch kreativ macht. Jeder Mensch ist anders und reagiert unterschiedlich auf eine Therapie, selbst wenn die Diagnose dieselbe ist. Deshalb ist es für eine erfolgreiche Behandlung unabdingbar, den passenden Behandlungsansatz zu finden und dass sich die Patientinnen und Patienten an der Behandlung beteiligen. Ihre Schmerzen zu lindern und sie zurück ins Arbeitsleben zu begleiten, ist meine grösste Motivation. Ich helfe ihnen mit meinem Wissen nicht nur, dass es ihnen körperlich besser geht, sondern sie werden durch die wiedergewonnene Selbstständigkeit auch wieder selbstbewusster. Wenn sie Fortschritte machen, ist dies meine schönste Bestätigung und macht die Freude in meinem Beruf aus.
Claudia Meili
diplomiert Ergotherapeutin FH / BSc und zertifizierte Handtherapeutin Schweiz Ergotherapie Meili, Basel
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