moneta: Herr Baur, Sie waren in den 2010er-Jahren massgeblich daran beteiligt, die Pläne des Bundes für eine ökologische Steuerreform zu erarbeiten. Worin bestanden diese?
Martin Baur: Es ging im Wesentlichen darum, das bestehende Fördersystem mit einem umfassenden Lenkungssystem zu ersetzen. Wir hätten die bestehende CO2-Abgabe, die seit 2008 auf fossilen Brennstoffen erhoben wird, ausgeweitet, und zwar auf Treibstoffe und Strom.
Warum strebte der Bund damals einen Systemwechsel an – weg von Subventionen hin zu Lenkungsabgaben?
Weil es das effizientere System ist. Es gibt seit 40 Jahren eine Flut an wissenschaftlichen Studien, die zeigen, dass Lenkungsabgaben das beste Instrument sind, um die Ziele der Energiewende zu erreichen. Sie sind viel effizienter als Förderbeiträge, weil sie keine sogenannten Mitnahmeeffekte haben. Diese treten ein, wenn man mit Subventionen Dinge fördert, die sowieso gemacht worden wären.
Beispielsweise, wenn Hausbesitzerinnen und -besitzer auf erneuerbare Heizungssysteme umstellen, ohne dass sie staatliche Förderbeiträge erhalten?
Genau. Generell kann man sagen, dass Lenkungsabgaben das beste Instrument sind, um die Energieumstellung eines Landes zu fördern, weil sie die tiefsten volkswirtschaftlichen Kosten haben. Denn Subventionen kosten den Staat Geld. Man muss sie finanzieren, durch Steuern oder durch Einsparung bei anderen Ausgaben. Im Gegensatz dazu nimmt man bei den Lenkungsabgaben Geld ein, das man zur Finanzierung von Staatsausgaben, zur Senkung von bestehenden Steuern oder zur Rückverteilung verwenden kann.
War denn damals geplant, die Einnahmen des neuen Lenkungssystems an die Bevölkerung und die Unternehmen zurück zu verteilen, so wie das bei der bestehenden CO2-Abgabe auch gemacht wird?
Die Rückverteilung pro Kopf ist nur eine mögliche Variante. Wir prüften damals im Auftrag des Bundesrats auch, was passieren würde, wenn man die Einnahmen für eine Senkung der direkten Bundessteuer (Einkommenssteuer) oder der AHV-Beiträge verwendet hätte. Beides hätte aber gemäss den Modellrechnungen negative Verteilungseffekte gehabt.
Inwiefern?
Mit einer Senkung der Einkommenssteuer auf Bundesebene wären gemäss den damaligen Berechnungen die oberen Einkommensklassen überproportional stark entlastet worden. Ähnlich sah es bei einer möglichen Senkung der AHV-Beiträge aus. Die Rückverteilung pro Kopf war also die einzige Variante, die aus sozialpolitischer Sicht wirklich überzeugt hat.
Warum?
Weil dadurch korrigiert wird, dass untere Einkommensklassen durch die Lenkungsabgabe relativ stärker belastet sind als obere Einkommensklassen. Im politischen Prozess spielen diese Verteilungswirkungen eine wichtige Rolle.
Die Vorlage kam aber nie an die Urne. Warum?
Der Bundesrat stimmte dem Projekt zu und verabschiedete es, aber das Parlament lehnte es ab. Das Projekt war von allen Seiten unter Beschuss gekommen. Die bürgerliche Seite war sowieso skeptisch gegenüber Steuererhöhungen.
Auch die FDP? Ein Lenkungssystem ist doch ein zutiefst liberales Instrument, da müsste doch zumindest die FDP dafür sein.
Sie haben absolut recht, ein Lenkungssystem ist zutiefst liberal: Es gibt Anreize und funktioniert nach dem Verursacherprinzip, jeder ist frei zu entscheiden, wie er sein Verhalten anpassen will. Darum ist es auch in der Wissenschaft so populär – gerade unter liberalen, eher rechtsstehenden Ökonomen gibt es wohl keinen, der nicht für eine Lenkungsabgabe wäre. In der Politik spielen aber nicht nur ökonomische Argumente eine Rolle.
Welche Vorbehalte gab es denn von bürgerlicher Seite?
Die SVP war prinzipiell dagegen. Die FDP und die CVP machten sich Sorgen um die Wirtschaft – obwohl die Unternehmen auch profitiert hätten. Wir hätten mit den Einnahmen die Lohnnebenkosten gesenkt, wovon grössere, arbeitsintensive Betriebe profitiert hätten. Auch dass die Bevölkerung auf dem Land stärker aufs Auto angewiesen ist als jene in den Städten, hätte man über die Rückverteilung korrigieren können, indem beispielsweise der rückverteilte Betrag für Bewohnerinnen und Bewohner in ländlichen Gebieten ohne dichtes Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln höher ausgefallen wäre.
Und warum waren die Linken dagegen?
Weil wir parallel zur schrittweisen Einführung der Lenkungsabgaben die Subventionen zurückfahren wollten. Das verärgerte viele Leute bei SP und Grünen, die gerne sowohl die Lenkungsabgaben als auch die Subventionen gehabt hätten.
Was geschah, nachdem das Parlament die Vorlage abgelehnt hatte?
Nach dem klaren Nein des Parlaments war es meiner Meinung nach verständlich, dass das Thema nicht mehr weiterverfolgt wurde. Stattdessen wurden aber das Klimaschutzgesetz und die Energiestrategie weiterentwickelt.
Aktuell wird wieder ein ähnlicher Vorstoss diskutiert. Mit einer parlamentarischen Initiative verlangt Mitte-Präsident Gerhard Pfister eine Lenkungsabgabe auf allen CO2-Emissionen.
Das ist ein interessanter Vorschlag. Er nimmt auch vieles von dem auf, was wir damals erarbeiteten und berechneten. Auch die Rückverteilung pro Kopf ist drin.
Auch das CO2-Gesetz, das eine moderate Erweiterung der CO2-Abgabe vorsah, beinhaltete eine Rückverteilung pro Kopf. Dennoch scheiterte es im Juni 2021 knapp an der Urne. Konnte die Pro-Seite Ihrer Meinung nach nicht klar genug aufzeigen, dass viele Menschen vom neuen CO2-Gesetz profitiert hätten, nämlich jene, die wenig CO2 verursachen?
Die Sache mit der Rückverteilung ist kommunikativ ein Riesenproblem. Wir bekommen ja schon heute die CO2-Abgabe pro Kopf zurückbezahlt, via Krankenkasse. Aber viele Leute wissen das nicht. Das geht völlig unter in der Krankenkassenrechnung einmal im Jahr, im November. Man schaut die Rechnung vielleicht gar nicht so richtig an oder regt sich gerade darüber auf, dass aufs kommende Jahr hin schon wieder eine Prämienerhöhung angekündigt ist, und irgendwo, auf Seite 3, steht noch: «Rückverteilung der CO2- und der VOC-Abgabe CHF 52.17» oder so.
Wie könnte man es besser machen?
Wenn wir beispielsweise jeder Person gleichzeitig mit der Steuerrechnung einen Check schicken und in einem separaten Brief schreiben könnten: «Aufgrund der CO2-Agaben, die Sie bezahlt haben, bekommen Sie jetzt so und so viele Franken zurück», dann wäre die Sichtbarkeit dieser Massnahme massiv besser.
Wo sehen Sie denn ganz allgemein die Gründe dafür, dass es in der Politik und der Bevölkerung so grosse Widerstände gegen Lenkungsabgaben gibt – obwohl diese, wie Sie gesagt haben, aus ökonomischer Sicht das effizienteste Instrument wären, um die CO2-Emissionen zu senken?
Eigentlich ist es der Erfolg des Instruments, seine Transparenz und Wirksamkeit, die es politisch so umstritten machen.
Das müssen Sie mir erklären.
Gerade weil die Lenkungsabgabe so transparent ist, ist sie so unpopulär. Jeder weiss: Wenn ich mich so und so verhalte, kostet mich das so und so viel. Das weckt natürlich Widerstände. Und eine Subvention, als alternatives Instrument, ist beliebt, weil man nichts direkt bezahlen muss, sondern etwas vom Staat erhält. Wer Subventionen bekommt, ist glücklich und kämpft politisch dafür, dass es so bleibt, und alle anderen kümmert es nicht.
Das heisst also, weil von einem Lenkungssystem alle betroffen sind, führt es auch zu vielfältigem Widerstand?
Ja, es bündelt alle Widerstände, das macht’s politökonomisch so schwierig. Jeder ist betroffen, und jeder regt sich irgendwo auf. Auch sind Autofahren und Fliegen sehr emotionale Themen. Wenn man da die Abgaben erhöht, fühlen sich viele in ihrer Freiheit eingeschränkt. Beim Heizen sind die Widerstände ja nicht so gross, auch bei der Industrie nicht.
Zumindest nicht in der Schweiz. In Deutschland gab es im vergangenen Jahr heftigen Widerstand gegen ein neues Heizungsgesetz, mit dem die Regierung den Einbau von fossilen Heizungen ab 2024 verbieten wollte. Als Reaktion darauf wurde das Gesetz schliesslich abgemildert.
Diese Gesetzesvorlage war aber vermutlich auch nicht genügend ausgereift. Wenn man in der Schweiz sagen würde: Übermorgen gibt’s keine Ölheizungen mehr, gäbe es auch einen Aufstand. Gemessen daran, dass wir ein direktdemokratisches System haben, bei dem die Bevölkerung überall mitreden kann, stehen wir eigentlich international recht gut da. Wir haben von allen OECD-Ländern die dritthöchste CO2-Abgabe. Nur Schweden und Dänemark haben eine leicht höhere. Da ist allerdings zum Teil das Benzin noch dabei, bei uns nicht. Unsere CO2-Abgabe wird ja nur auf Brennstoffen erhoben und ist deshalb nur für rund die Hälfte der Emissionen wirksam.
Fänden Sie es denn sinnvoll, die CO2-Agabe auch in der Schweiz auf Treibstoffe auszuweiten?
Vor zehn Jahren wäre das absolut sinnvoll gewesen. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher.
Warum?
Die Elektrifizierung der Autos geht extrem schnell voran. In ein paar Jahren werden wir wahrscheinlich nur noch Elektro- und Hybrid-Autos haben, deshalb wäre eine CO2-Abgabe auf dem Benzin bestenfalls eine Übergangslösung. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur in den nächsten Jahren grundsätzlich überdacht werden muss. Die rückläufigen Einnahmen der Mineralölsteuer könnten durch ein Mobility Pricing ersetzt werden, das unter Umständen auch mit ökologischen Kriterien angereichert werden könnte.
Und beim importierten Strom, der mit Öl oder Gas produziert wurde?
Da könnte man versuchen, eine Art Grenzausgleichsmechanismus einzuführen. Wie man das genau machen kann, damit es WTO-verträglich ist, ist allerdings kompliziert. Die EU arbeitet im Moment an so einem Modell. Und wenn das auf EU-Ebene funktioniert, kann die Schweiz da allenfalls aufspringen.
Wo würden Sie sonst noch ansetzen, um das Schweizer Steuersystem umweltfreundlicher zu gestalten?
Ich fände es sinnvoll, die heutige Begrenzung des CO2-Preises von 120 Franken pro Tonne hinaufsetzen, beispielsweise auf 240 Franken, ergänzt durch eine Abschaffung von ökologisch fragwürdigen Ausnahmen bei gewissen Steuern (zum Beispiel der Mineralölsteuer). Grundsätzlich geht es darum, dass umweltschädliches Verhalten teurer werden muss, um Verhaltensänderungen zu bewirken.